Subtile Zeitkommentare

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Zum 150. GeburtstaG des autors: ein blick in das vielschichtiGe Werk arthur schnitZlers.

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Zum 150. GeburtstaG des autors: ein blick in das vielschichtiGe Werk arthur schnitZlers.

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Arthur Schnitzler gilt als Klassiker der Wiener Moderne. Doch die Rezeption seines Werks ist ziemlich selektiv. Das aktuelle Interesse der Theater wie der Filmindustrie gilt vor allem seinen psychologisch ausdifferenzierten "Beziehungsstücken"; dass überkommene Rollenbilder unter Druck geraten, verbindet schließlich die beiden Datumssprünge von 1900 und 2000. Eifersucht und Treue, Affären und offene Beziehungskonzepte dekliniert Schnitzler von den frühen Einaktern bis zur "Traumnovelle" (1926) immer wieder durch. Diese Optik überdeckt aber leicht die eingebauten Tiefendimensionen und subtilen (Zeit)Kommentare. Das Beziehungsgeflecht in seinem Ehe-Stück "Das weite Land" (1911) etwa thematisiert auch das Auf und Ab von Firmenimperien im Zuge der Modernisierungsprozesse der Gründerzeit.

Zweiter Boden

Arthur Schnitzler gilt und galt schon in den 1920er Jahren als Repräsentant des Wiener Fin de Siècle, der nach 1918 den Anschluss an die neue Zeit verpasst hat. Das ist genauso falsch wie das Bild des jungen Autors als Vertreter der Moderne. Die Plaudereien seines Einakterzyklus "Anatol" (1893) sind eher Salonstücke in der Tradition der französischen Unterhaltungskomödie. Brüchigkeit der bürgerlichen Moral, Verführung und Verführbarkeit waren das Generalthema des 19. Jahrhunderts. Vorabdrucke der Einakter erschienen denn auch in der als Fanal des Aufbruchs geltenden, kurzlebigen Zeitschrift "Moderne Dichtung" ebenso wie im Familienblatt "An der schönen blauen Donau" unter der Rubrik "Haustheater".

Freilich ist schon hier ein zweiter Boden eingebaut. Anatols Affärenreigen zeigt mit der Rastlosigkeit und Austauschbarkeit der Objekte der Begierde auch den Verlust einer erinnerungsund erlebnisfähigen Ich-Identität -selbst wenn das leicht mit konventionellen Versatzstücken ins Schwankhafte kippt. Das ist vielleicht ein Grund, dass Schnitzlers Stücke boulevardesker Inszenierung oft wenig Widerstand entgegensetzen. 1893 wurden die erotischen Causerien durchaus als "naturalistisch" wahrgenommen und auch verunglimpft, Schnitzler gar als einer der "Führer" des Naturalismus tituliert. Der brachte ein verstärktes Interesse für das Schicksal der Verführten, das Schnitzler in "Das Märchen" (1893) und "Liebelei" (1895) in den Blick nimmt. Der 1896/97 entstandene "Reigen" stellt dann in den zehn Liebesbegegnungen unterschiedlichste soziale Charaktermasken in ihrer Rede und ihrem Gebaren aus. Doch während in keiner der Szenen der Verweis auf die Gefahr syphilitischer Ansteckung fehlt, werden ungewollte Schwangerschaften nie angetippt, mit der die Frauen nach dem Abgang der flüchtigen oder sozial unbelangbaren Herren im Fall allein zurückbleiben.

Rascher Aufstieg

Schnitzler war 31, als mit "Anatol", seiner ersten Buchpublikation, nach Jahren der Unentschiedenheit und schwankender Lebensentwürfe der Erfolg einsetzte. Im selben Jahr wurde "Das Märchen" am Deutschen Volkstheater uraufgeführt, mit "Liebelei" ist er 1895 bereits im Burgtheater angekommen -die weibliche Hauptrolle spielte beide Male Adele Sandrock. 1899 erhält Schnitzler gemeinsam mit Ferdinand von Saar den Eduard von Bauer feld-Preis, der eine ist 37, der andere 66 Jahre alt.

Der Aufstieg dieser jungen Autorengeneration vollzog sich überraschend schnell, um 1900 verkörpern sie ein anerkanntes Milieu. Der Generationswechsel und das aktiv betriebene Networking verschafften ihnen Zugang zu Verlagen, Medien und Theatern, auch wenn ihre künstlerischen Äußerungen immer noch -mitunter auch gezielt inszenierte -Skandale provozieren konnten. Sie sind die Söhne der Gründerzeitväter, die den Status quo zu erhalten trachteten; für eine Karriere qualifizierte nicht nur die Herkunft - das ist eine überzeitliche Konstante -, sondern auch das gediegene Altherren-Aussehen. Die überlieferten Fotos zeigen, wie rasch die Autoren von "Jung Wien" - Autorinnen spielten noch ausschließlich Solo - mit ihrem Aufstieg alterten. Gleichsam über Nacht wuchsen die Bäuchlein und wurden dem Objektiv entgegen gereckt, Spazierstöckchen nicht mehr dandyhaft geschwungen, sondern als Stütze inszeniert. Die Künstler-Söhne verweigerten die vorgesehenen Karrieren in der Erbfolge, in Schnitzlers Fall die des Arztes, behielten aber die Werteskalen der Väter durchaus bei, im Kulturbetrieb war das der hohe Symbolwert des Burgtheaters und der "Neuen Freien Presse". Hier ist Schnitzler Weihnachten 1899 mit der Erzählung "Um eine Stunde" angelangt, der zweite Abdruck ein Jahr später ist dann seine Meisternovelle "Lieutenant Gustl".

Barbarei des Krieges

Ganz sicher ungerecht aber ist der Vorwurf, Schnitzler habe nach 1918 an der Vorkriegsrealität weitergeschrieben -und er hatte verhängnisvolle Langzeitfolgen. Denn kanonisiert wurden jene Werke, die diesem Klischee, zumindest bei oberflächlicher Lektüre, entsprachen - etwa wenn man bei "Fräulein Else" (1924) nur die Handlungszeit 1896 sieht und nicht die Verarbeitung der Inflationsjahre. Unterbewertet blieben dabei der neusachlich orientierte Roman "Therese. Chronik eines Frauenlebens" (1928) oder die "Komödie der Verführung" (1924). Das Stück analysiert, wie es dazu kam, dass ein zivilisiertes Gemeinwesen flächendeckend die Barbarei des Krieges bejubelte, und es stellt die rage des cui bono. Die Nachricht von der Kriegserklärung erreicht die Gesellschaft dann in einem dänischen Badeort, ein realistischer Verweis darauf, dass die geschlossene Gesellschaft der Besitzenden und Einflussreichen Kriegsfolgen meist nur als Renditenerhöhung zu spüren bekommt. "Prinz Arduin existiert nach wie vor, wenn er sich auch vielleicht für eine Weile etwas zurückgezogen" hat, schrieb Schnitzler in Verteidigung seines Stücks an Jakob Wassermann. Das reflektiert das rasche Wiedererstarken der alten Kräfte, so wie Schnitz4 ler nach 1918 immer wieder die Zeithistorie einspielt.

Die zeittypische Thematisierung von Vorkriegs-und Nachkriegsmoral in Bezug auf das Geschlechterverhältnis wie das Geschäftsgebaren etwa durchzieht sein 1930 geschriebenes Stück "Zug der Schatten". Und schon die Novelle "Casanovas Heimfahrt" (1918) ist lesbar als Auseinandersetzung mit der neuen Frauengeneration. Dass bei Marcolina, der Tochter seiner einstigen Geliebten, keine seiner bewährten Charme-Offensiven anschlägt, ja dass sie diese zum Teil gar nicht zur Kenntnis nimmt, hat nicht nur mit seinem Alter zu tun. Casanova versteht einfach nicht, dass Marcolina ihr Leben nach völlig neuen Regeln organisiert und damit auch andere Erwartungshaltungen entwickelt. Den Kindesmissbrauch an der 13-jährigen Teresina hingegen beschreibt Schnitzler bestürzend nonchalant und ohne ihn anders zu kommentieren als mit Casanovas Zufriedenheit, sich die dritte Generation einverleibt zu haben.

Die prekäre Lage der Töchter den überkommenen Familienpatriarchen gegenüber thematisierte Schnitzler hingegen schon 1906 im "Ruf des Lebens", wo eine Vatermörderin mit Gift das Sterben des tyrannischen Vaters beschleunigt und auf einen verständnisvollen Arzt trifft, der die Tat vertuscht. Das Thema hat übrigens auch Marie von Ebner-Eschenbach bearbeitet, bei ihr begeht der Arzt den Mord selbst und ermöglicht so der Tochter einen unbeschwerten Neustart.

Auf die Darstellung des jüdischen Schiebers als zeittypische Figur der 1920er Jahre freilich hat Schnitzler verzichtet. Wohl auch, weil er das Erstarken des Antisemitismus im Wien Karl Luegers sehr bewusst miterlebte, denn das historisch Bleibende dieser Ära war nicht die verspätet nachgeholte Modernisierung kommunaler Einrichtungen, sondern die Implementierung des Antisemitismus als Mittel politischer Propaganda. "Die Verschwägerung mit S. Ehrenberg könnte ihm doch am Ende die Ministerkarriere erschweren -heutzutag" , heißt es zu Beginn des Romans "Der Weg ins Freie" (1908), und das mit Gedankenstrich angehängte "heutzutag" resümiert die Stimmung ein Jahr nach Luegers Amtsantritt. Der Antisemitismus, systematisch als Agitationsmittel in Gang gebracht, invadiert die Gesellschaft auf allen Ebenen. In "Professor Bernhardi", dem klassischen Modellstück für politische Intrigen, rechnen die Herren Ordinarii pausenlos und mit unterschiedlichen Intentionen einander vor, wer wie viele jüdische oder arische Assistenten beschäftigt; keiner aber kann über die Rassenzugehörigkeit der Mitakteure nicht Bescheid wissen.

Ära Lueger

Das Stück verstand damals jeder als bündige Zusammenfassung der Ära Lueger, auch die Zensurbehörde. Die Aufführung wurde wegen "tendenziöser" Schilderung "hierländischer" Verhältnisse verboten. Die Uraufführung erfolgte 1912 in Berlin, die österreichische Erstaufführung erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie, als sich die antisemitischen Schlachtrufe nahtlos auf das Klischeebild des jüdischen Schiebers übertrugen. Karl Kraus, so notiert Schnitzler im Oktober 1918 in seinem Tagebuch, sei, obwohl "er in vielem was er sagt recht hat, ein Verläumder schon dadurch, daß er so vieles verschweigt - was er weiß. Er weiß nur von jüdischen Kriegsgewinnern und Wucherern". Drei Jahre später bei der Wiener Erstaufführung des "Reigen" riefen die rechtsradikalen Randalierer nicht zufällig: "Pfui Juden . Schibah". Den Untergang der Ersten Republik in Austrofaschismus und Nationalsozialismus musste Schnitzler nicht mehr erleben, er verstarb am 21. Oktober 1931.

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