Altmänner-Erinnerungsprosa

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Heinz Ludwig Arnolds Monografie über "Die Gruppe 47" lässt Einiges zu wünschen übrig: vor allem eine weitere historische Aufarbeitung.

Zeitgleich mit der überarbeiteten Neuauflage seiner "Gruppe 47"-Sondernummer in der Reihe Text + Kritik legte der rührige Literaturwissenschaftler Heinz Ludwig Arnold eine "rowohlt monographie" zum Thema vor und konnte dabei zweifellos aus dem vollen Wissen schöpfen. Doch irritierend ist nicht nur das neue Layout, für das sich der Verlag vor einiger Zeit entschied. Textbeispiele, Bildunterschriften und die an sich sehr nützliche Zeitachse als Kopfzeile, die eine rasche Orientierung im besprochenen Zeitraum erleichtert, prangen fast schmerzlich blau auf der glattglänzenden Oberfläche des hauchdünnen Papiers.

Bekannte Fakten

In chronologischem Abriss stellt Arnold die bekannten Fakten der "Betriebsgeschichte" der wichtigsten pressure group der Nachkriegsliteratur in Deutschland dar. Die Gründung durch Hans Werner Richter 1947 als "aufgeklärter absoluter Monarch" erfolgte unter dem Motto "ich lade alle Leute ein, die mir passen". Die Königsidee einer Preisverleihung sicherte dem Gruppengeschehen ab 1950 öffentliches Interesse. Es folgten die großen Auftritte von Aichinger, Bachmann, Grass oder dann Peter Handke - vor dem selten erwähnten Hintergrund der Proteste gegen den Vietnam-Krieg.

Arnold beschreibt die Rituale der Tagungsabläufe im Wandel vom intimen Kollegenkreis zur Etablierung der Kritikerriege, die den Höhepunkt der medialen Wahrnehmung brachte und zugleich das Ende der "Gruppe 47" und ihres Selbstverständnisses einleitete. Da die Protagonisten der Szene - allen voran natürlich Richter - eifrige Selbstdokumentierer waren, ist das Material üppig und in vielen Punkten sind die darin kolportierten Mythen, wie Arnold zeigt, seit langem enttarnt.

Trotzdem lässt einen der Band unbefriedigt zurück. Zwar spricht Arnold problematische Themenfelder an und zitiert zum Teil auch die Wissenschaftler, die zuerst darauf aufmerksam gemacht haben, doch er umgeht es oft etwas nonchalant, die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen, die so erst im Lesen gegen den Strich des Textes erarbeitet werden müssen. Auch auf neuere Analysemethoden über Wirkungsweisen kultureller Netzwerke verzichtet der Autor völlig.

Arnold beschreibt etwa ausführlich die Ursprünge der "Gruppe 47" im us-amerikanischen Kriegsgefangenenlager, berichtet, dass Richters erste Buchpublikation 1947 eine Anthologie mit "Gedichten deutscher Kriegsgefangener" war, dass er bei der ersten Tagung 1947 die "auf die Aussage zielende Sprache der Landser'" als gemeinsames ästhetisches Programm hervorhob, und noch 1966 vom "Corpsgeist" spricht, den er unter der literarischen Elite "züchten" wollte. Doch die Analyse dieser und vieler ähnlich verräterischer Partikel überlässt Arnold dem Leser. Sie wurzeln alle im politisch keineswegs unproblematischen Selbstverständnis der jungen "Gruppe 47". Damit sind nicht primär die kleineren ns-Verstrickungen einiger Intimi der ersten Stunde (Alfred Andersch, Wolfgang Weyrauch oder Günter Eich) gemeint, oder die Tatsache, dass das zweite Treffen im Haus von Hanns Arens, einst Mitarbeiter des Völkischen Beobachters, stattfand - was Arnold mit der rhetorischen Frage umschifft: "Wusste Richter nicht, wer Arens war?"

Das wirklich Problematische liegt schon im Grundverständnis der Gruppe, die sich aus dem Heimkehrer-Mythos entwickelte, in dem sich Täter wie Opfer, Mitläufer wie Vertriebene wundersam unieren. "Walther kam aus dem Krieg zurück, auch einer, der glaubte, zum Heiligen geworden zu sein, weil er gelitten hatte {...} ein Opfer auch er, nichts als Opfer", lautet Dorothea Zeemanns lakonischer Kommentar dazu. Das Konstrukt "Heimkehrer" impliziert auch einen geschlechtsspezifisch blinden Fleck. Marianne Vogel hat schon vor einiger Zeit untersucht, wie durchgängig die junge Generation nach 1945 mit der Generation der Heimkehrer und Frontsoldaten gleichgesetzt wurde, im zeitgenössischen Diskurs ebenso wie in der Forschung - bis ins Jahr 2004.

Die "Gruppe 47" tat sich "schwer" mit den "älteren" Exilautoren, so formuliert Arnold und deutet damit einen Generationenkonflikt an. Doch es war wohl derselbe Mechanismus mit im Spiel, der bis zur Preisverleihung an Elias Canetti 1967 dafür gesorgt hat, dass im Exil lebende Autoren vom Österreichischen Staatspreis ausgeschlossen blieben.

Die "Gruppe 47" war auch ein machtpolitisches Netzwerk für die Daheimgebliebenen ebenso wie für den Nachwuchs, schließlich wussten alle sehr genau, dass die bedeutendere deutsche Literatur 1938 ins Ausland getrieben worden war. "Schwer" tat sich die "Gruppe 47" bekanntlich auch mit dem Antisemitismus, der wohl nicht nur als "latent" bezeichnet werden kann. Kommentare wie "er liest ja wie Goebbels" oder mit einem "Singsang ... wie in der Synagoge", zum Vortrag von Paul Celans "Todesfuge" bei der Tagung 1952 als "taktlos" zu bewerten, sollte heute ebenso wenig hingenommen werden wie Arnolds Versuch, die Schuld dafür auf den "sensible(n), in sich gekehrte(n)" Celan abzuschieben, der die "rauen Umgangstöne" [!] des "Freundeskreises" nicht ertrug.

Neue Erkenntnisse

Homophile Männerstrukturen und ihre ideologischen Konstrukte scheinen sich männlichen Wissenschaftlern nicht leicht zu erschließen. Eine historische Aufarbeitung der "Gruppe 47", unter Einbeziehung neuerer Ansätze und Erkenntnisse bleibt ein dringendes Desiderat.

Ein gutes Ausgangsmaterial dafür könnte Hans Werner Richters 1986 erschienener Band "Im Etablissement der Schmetterlinge" sein, den der Wagenbach Verlag nach der Taschenbuchausgabe bei dtv von 1993 soeben wieder aufgelegt hat - unverständlicherweise ohne analysierendes Vorwort. Dabei hätte ein genauerer Blick auf Aufbau, Bildsprache und Inszenierung dieser 21 Porträts wesentlich mehr über die Funktionsweise des Literaturbetriebs der Nachkriegszeit sichtbar machen können als Arnolds affirmative Rekonstruktion der Fakten. So ohne Kommentar dargeboten hinterlässt der Band heute allerdings stark den Eindruck eines schwer erträglichen Stücks Altmänner-Erinnerungsprosa. Und das keineswegs nur aufgrund der offen ungustiösen Indiskretionen über in fremden Zimmern vergessene Nachthemden, kollektive Bordellbesuche oder in Zimmern von Autorinnen versteckte nackte Kollegen.

Die Gruppe 47

Von Heinz Ludwig Arnold

Verlag Rowohlt, Reinbek 2004

159 Seiten, kart., e 8,50

Im Etablissement der Schmetterlinge 21 Portraits aus der Gruppe 47

Von Hans Werner Richter

Mit Photos von Renate von Mangoldt

Wagenbach Verlag, Berlin 2004

275 Seiten, geb., e 11,90

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