Auf in die Vergangenheit!

Werbung
Werbung
Werbung

Das junge Theater sucht Anleihen bei den Meistern von damals: Der Beginn des Young Directors Projects in Salzburg.

Das politische Theater von heute ist das politische Theater von gestern und vorgestern. Bevor die junge Generation in die Zukunft sieht, Utopien kennt sie nämlich nicht, blickt sie zurück in die Vergangenheit. Das führt zu seltsamen Ergebnissen. Zwei davon waren im Rahmen des Young Directors Projects der Salzburger Festspiele zu sehen, das aufstrebenden Regisseuren ein Forum bietet.

Mit dem Drama "Der Stein" schrieb Marius von Mayenburg ein Stück, das an jene Zeit erinnert, als das politische Theater in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder laufen lernte. In den sechziger Jahren wurde es einer jungen Riege von Autoren zu bunt und sie machten die ungemütliche deutsche Geschichte zum Thema. Gerade waren die neuen Wohlstandsbürger stolz, wieder wer zu sein, schon hielten ihnen Literaten vor, doch nur Täter und Verdränger zu sein. Martin Walser, man denke nur an sein Drama "Eiche und Angora", war damals einer der eifrigen Publikumsbeschimpfer aus moralischer Dringlichkeit.

Gegen das große Vergessen

Von Mayenburg setzt diese Tradition fort, sieht er doch, wie nach dem kampflosen Sieg des Kapitalismus das große Vergessen schon wieder begonnen hat. Dagegen setzt er eine Geschichte, die am Beispiel eines Hauses und deren wechselnden Besitzern deutsche Verhältnisse von den Nazijahren über die Zeit des Kalten Krieges bis zur großen Wiedervereinigung abwickelt. Wo man hinschaut, nur Leichen im Keller. Die Notlage jüdischer Bewohner wurde ausgenutzt, der brave Familienvater ein mieser Betrüger, der deutsche Kleinbürger ein devoter Mitläufer und mickriger Feigling - der Befund wiederholt jenen, der in den sechziger Jahren schon einmal getroffen wurde, er wird nur in die unmittelbare Gegenwart verlängert.

In der Regie von Ingo Berk bekommt die Inszenierung einen merkwürdig konservativen Anstrich. Er macht Schluss mit Experimenten, ist bestrebt, die Geschichte, so sprunghaft sie sich durch die Zeiten bewegt, klar und deutlich auf den moralischen Punkt zu bringen. Dieses Theater will belehren, verteilt Strafpunkte für die Bösen und weiß sich auf dem sicheren Boden der Integrität. Es bietet nicht Stoff zur Diskussion, sondern stellt den Zuseher vor fertige Entscheidungen. Autor und Regisseur, verstärkt durch ein engagiertes Schauspielerteam, haben sich Gedanken gemacht, die es nur noch abzunicken gilt.

Empörung zum Abnicken

Natürlich haben sie Recht, das macht die Inszenierung auch zu einem ausgesprochen sympathischen Beitrag im Festspielprogramm. Die Jungen empören sich, es ist ihnen eben nicht gleichgültig, mit welchen Lügen wir leben. Sie wehren sich gegen herrschende Verhältnisse, indem sie belehren. Das gerät ihnen zu einer siebenschlauen Demonstration. Sie ziehen eine Linie der Mentalität des Duckmäusertums quer durch das 20. Jahrhundert bis heute. Irgendwie haben wir das immer schon geahnt, aber hier wird es mit so viel Emphase vorgeführt, dass es auch noch den Charakter der Notwendigkeit bekommt. Das ist auch in der verbissenen schauspielerischen Haltung nicht besonders gelungen, aber lässt hoffen auf eine durchaus aufregende Theaterzukunft.

Da tritt die norwegische Truppe um den Regisseur Tore Vagn Lid ganz anders auf. Sie gehen noch weiter zurück in die Geschichte, in eine Zeit, als das politische Theater den Gleichschritt erfand. 1930 schrieb Bertolt Brecht "Die Maßnahme", Hanns Eisler komponierte die Musik dazu, und herausgekommen ist nicht nur ein schlechtes Drama, sondern auch ein ideologisches Machwerk. Damals geriet das Stück unter Beschuss, weil man in ihm die stalinistischen Säuberungsprozesse gerechtfertigt sah. Brecht und Eisler stimmten einem Aufführungsverbot zu, erst vor Kurzem wurde es aufgehoben.

Brecht in alten Klamotten

Wie geht man mit solch einem Stück um, nachdem die früheren Turbulenzen sich beruhigt haben? Als Zuseher fühlte man sich zurückversetzt in eine Zeit, als die politischen Kämpfe grobschlächtig geführt wurden. Die Inszenierung tut nichts dazu, die veraltete Gattung Lehrstück auch nur im Ansatz auf die Probe zu stellen. Arbeiterchöre dröhnen mächtig, das Pathos der revolutionären Selbstgewissheit schwappt ungebrochen in den Raum, jeder Darsteller ist ein Funktionsträger, abgrundtief böse die Peitsche schwingend oder erbärmlich gedemütigt einen schweren Schleppkahn ziehend. Das ist Marx für Volkshochschule.

Zum Problem wird das Stück, als fünf kommunistische Agitatoren in diese Gesellschaft einbrechen, um eine Revolution anzuzetteln. Einer verlässt die Parteilinie und wird deshalb von den anderen erschossen. Der Fehler des Abtrünnigen besteht darin, seinem eigenen Gewissen zu gehorchen, Mitleid zu empfinden, Solidarität mit dem Einzelnen zu pflegen und damit das große Ganze, das die Partei stets im Auge hat, zu vernachlässigen. Die Täter spielen Szenen vor einem Parteigericht nach, um sich zu rechtfertigen.

Tore Vagn Lid und sein Ensemble gehen dem alten Brecht auf den Leim. So sieht historisches Klamottentheater aus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung