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Österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die über ihre Heimat schreiben, tragen einiges von Gewicht im Gepäck: schwer wiegt die Geschichte ihres Landes.

Betrachten wir den Fall Leo Perutz. In den zwanziger Jahren galt Perutz als Erfolgsautor. Er traf auf ein Publikum, das seine Romane nicht nur liebte, sondern verschlang. Als er 1938 nach Palästina emigrieren musste, hatte er seine Leser verloren. Plötzlich bewegte er sich in einem ihm fremden Sprachraum in einer fremden Kultur. Er tat sich schwer mit dem Schreiben. Nach dem Krieg war er vergessen. Perutz stieß auf erhebliche Widerstände, wieder Fuß zu fassen in Europa. 1950 wurde der Roman "Der schwedische Reiter" neu aufgelegt, 1951 folgte "St. Petri-Schnee", ein neuer Roman sollte noch im Herbst des Jahres erscheinen.

Doch gerade mit dem letzten wollte der Verleger nichts zu tun haben. Die Ablehnung begründete Paul Zsolnay ausführlich: "Seit Sie Österreich verlassen haben, ist eine neue Jugend dort aufgewachsen, die nicht Zugang zu Ihren Werken hatte und der Ihr Name daher nicht mehr sehr geläufig ist … Es würde unsere Aufgabe natürlich wesentlich erleichtern, wenn wir mit einem neuen Buch von Ihnen herauskämen; jedoch sollte es nicht wie das vorliegende durch das Thema oder vielmehr durch das Milieu Widerständen begegnen, die ich Sie bitte, nicht unterschätzen zu wollen."

Das zum Stand der Dinge im Österreich des Jahres 1951, in einer zielstrebig auf den neuen wirtschaftlichen Aufschwung hinarbeitenden Nachkriegsgesellschaft. Perutz war nicht nur Jude, sein Roman "Nachts unter der steinernen Brücke" war zu großen Teilen im jüdischen Prag angesiedelt. Hier wird die Erinnerung wachgehalten an das, was soeben noch der Vernichtung preisgegeben worden war. Wenn ein kleiner Jude in einer Gefängniszelle auf seine Hinrichtung wartet, konnte man in der Nachkriegsgesellschaft nicht von der Vernichtung der Juden durch die Nazis absehen. Ein so unverhofft zu Demokraten gereiftes Volk wollte nicht an seine eigene schmutzige Vergangenheit erinnert werden. Die Welt der Juden, das Getto, die Pogrome, selbst die im Verborgenen arbeitenden Alchimisten und die verschrobenen Mystiker, die armen Hungerkünstler und die wohlhabenden Händler, das alles waren Themen, die die sensible Seele der Österreicher hätte verletzen können.

Das zeigt auch eine Episode aus dem Jahr 1946, die vielversprechend beginnt: Perutz stößt im Caféhaus unverhofft auf ein Exemplar der Zeitung "Die Presse", der Nachfolgerin der "Neuen Freien Presse" aus der Zwischenkriegszeit. Ermutigt vom neuen Geist in Wien sandte Perutz einige Kapitel des Romans "Nachts unter der steinernen Brücke" an Richard Charmatz von der "Presse", und zu Weihnachten wurde das Kapitel "Des Kaisers Tisch" tatsächlich gedruckt. Es wurde aber einer gründlichen Bearbeitung unterzogen. Alle Passagen, in denen Juden eine Rolle spielen, sind getilgt.

Wer über Österreich schreibt, dem sitzt die Geschichte im Nacken. Er schreibt über das Hier und Jetzt und kommt nicht umhin, die Vergangenheit mitzudenken, die zu diesem Augenblickszustand geführt hat. Er schreibt über die Vergangenheit aus österreichischer Warte und die unterscheidet sich deutlich von der deutschen Sichtweise. Der österreichische Weg in den Nationalsozialismus gestaltete sich umständlicher als der deutsche. Als in Deutschland die Nazis schon die Macht übernommen hatten, waren in Österreich noch Sozialisten und Kommunisten aktiv. Sie rechneten sich Chancen aus, die Geschichte zu zwingen, ihnen Recht zu geben, bis der Traum mit dem Bürgerkrieg von 1934 jäh beendet wurde. Der Austrofaschismus als die mildere Variante des Rechtsradikalismus durfte sich noch lange Chancen ausrechnen, die Oberhand im Land zu behalten. Hella Pick, eine britische Journalistin, die noch vor dem Zweiten Weltkrieg das nationalsozialistische Wien nach England verlassen konnte, fand für dieses Österreich den Begriff "schuldiges Opfer". Österreich wurde nicht im Sturm überrollt von einer braunen Flut. Plötzlich stellte man wieder etwas dar in der Welt, stand auf der Seite der Sieger. Nach dem Krieg gelang es Österreich, sich mit den neuen Siegern zu solidarisieren. Schuld waren die anderen, die Österreicher aber waren Opfer.

Im Rückblick stets siegreich

Österreichische Geschichte ist eine der Verzögerung und im Rückblick betrachtet stets siegreich. Wenn wir auf der Seite der Verlierer stehen, dann münzen wir den Verlust um in einen Sieg, weil wir auf die Seite des historischen Fortschritts gefallen sind. Von der kleinen Monarchie bleibt ein kleines Restösterreich - das geht in Ordnung, das 20. Jahrhundert ist ja aufgeklärt und demokratisch. Bis zum Jahr 1938 nimmt sich Österreich eine Atempause, die keine war.

Benno Weiser Varon, geboren 1913 in Czernowitz, verbrachte seine Jugend in Wien, und er beobachtete genau, wie sich das politische Klima veränderte. Bald nachdem er 1938 nach Ecuador ausgewandert war, begann er in spanischer Sprache den Roman "Ich war Europäer" (soeben im Verlag Picus aufgelegt) zu schreiben, in dem er die österreichischen Zustände zu einem Zeitpunkt beschrieb, als noch nicht abzusehen war, wie alles enden würde. Er hält aus dem unmittelbaren Erleben heraus fest, wie zerrissen sich die österreichische Gesellschaft vor dem "Anschluss" darbietet. "Immerhin waren die österreichischen Sozialisten außer den spanischen Republikanern die einzigen, die zu den Waffen griffen, als sie meinten, die Stunde der Verteidigung gegen den Faschismus sei gekommen", so definiert er die gescheiterten Februarkämpfe 1934, die allen demokratischen Hoffnungen ein Ende setzten. Weiser Varon stellt Beobachtungen an und zieht seine Schlüsse. Der Student Jesserer war Funktionär des sozialistischen Schutzbunds und wurde von Heimwehr-Leuten ermordet. "Das Absurde daran war", schreibt Weiser Varon, "dass diejenigen, die ihn erhängten, ebenfalls glaubten, Österreich gegen die braune Pest zu verteidigen." Schuschnigg oder Hitler, "das ist uns egal", meinten die Schutzbündler. Dieser eng an der eigenen Biografie angelehnte Roman erzählt vom österreichischen Dilemma, nicht auf eigenen Beinen stehen zu können. So fällt Weiser Varon ein tolerantes Urteil über den Ständestaat und Schuschnigg: "Man kann geteilter Meinung über seine Regierung sein. Eines bleibt: Vier Jahre lang ist es ihm gelungen, die Nazis von ihrer so begehrten Beute fernzuhalten."

Unentschiedenheit des Kindes

Der österreichischen Literatur eignet etwas Zögerliches, gar Behäbiges, wenn sie sich diesem großen Geschichtsstoff nähert. Das ist selbst bei Ruth Klüger (Jahrgang 1931) so, deren erstes Kapitel ihrer Autobiografie "weiter leben" der Kindheit in Wien gewidmet ist. Die Klügersche Zögerlichkeit ist ein Ergebnis der Unentschiedenheit des Kindes, das vor der Zeit ins Alter der Reife katapultiert worden ist und dabei durchaus kindliche Züge aufweist. Die Autorin porträtiert ein Intelligenzmonster mit Naivitätsbonus. Die Menschen sind bornierte, aggressive Kleinbürger, denen nicht über den Weg zu trauen ist, aber mit sieben Jahren erweist sich das Mädchen als Österreich-Patriotin, die mit der Ostmark nichts zu schaffen haben will. Bei Klüger wirkt die Phase bis zur Machtergreifung als gedehnte Zeit, als ein Warten auf die Katastrophe bei gleichzeitiger Selbstbeschwichtigung.

Benno Weiser Varon und Ruth Klüger korrigieren als Autoren, die vom amerikanischen Kontinent aus österreichische Vergangenheit reflektieren, hiesige Opfermentalität. Aber bei beiden sieht man das Bangen in diesem Zwischenraum, in dem sich eine Existenz befindet, die feststellt, dass in unmittelbarer Nachbarschaft das Wüten schon begonnen hat. Österreich als Hoffnung und Utopie wie als Abstellkammer des Kleinmuts und der Perfidie, alles ist da in den Büchern der beiden. Wer anfängt, über Österreich zu schreiben, wird nicht fertig mit diesem Land.

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