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Das Wissen vom Ende

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Die Wiederkehr des 50. Todestages Arthur Schnitzlers ist der A nlaß eines internationalen Symposions der österreichischen Gesellschaft für Literatur. Vorträge namhafter Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen umkreisen ein Thema, das in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des internationalen Interesses gerückt ist. Von der historischen und politischen Situation zurZeit Schnitzlers spannt sich der Bogen bis zum Podiumsgespräch über Schnitzler auf dem Theater und A usschnitten aus Schnitzler- Verfilmungen.

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Die Wiederkehr des 50. Todestages Arthur Schnitzlers ist der A nlaß eines internationalen Symposions der österreichischen Gesellschaft für Literatur. Vorträge namhafter Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen umkreisen ein Thema, das in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des internationalen Interesses gerückt ist. Von der historischen und politischen Situation zurZeit Schnitzlers spannt sich der Bogen bis zum Podiumsgespräch über Schnitzler auf dem Theater und A usschnitten aus Schnitzler- Verfilmungen.

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Als hundert Jahre seit seiner Geburt vergangen waren, fand Ernst Lothar in seiner Burgtheater-Rede das schöne Wort von der „Geburtagsfeier der Unsterblichkeit“.

Da nun fünfzig Jahre seit seinem Tod vergangen sind, stellt sich die Frage, ob die Unsterblichkeit Arthur Schnitzlers tatsächlich gesichert ist.

Es geht seltsam zu mit den Größten in Österreich: Adalbert Stifter war nach seinem Tod wie verschwunden. Johann Nestroy ist sehr spät und nur allmählich wiedergekehrt. Selbst Franz Schubert, sogar Mozart, wenn auch nie ganz verschollen, wurden erst in unserem Jahrhundert in ihrer ganzen Größe erkannt.

Theodor Herzl, dessen Wort in diesem Zusammenhang von besonderem Gewicht ist, hat von Arthur Schnitzler gesagt, er gehöre zu Österreich wie Franz Schubert.

Arthur Schnitzler gehört auch insofern zu Österreich, als die Oberfläche den Blick auf die Tiefe verdeckt hat, insofern als er (wie Mozart, wie Schubert) so heiter, so leicht schien. Er erzählte von Offizieren, bürgerlichen Familien und ihren Affären, von Liebeleien und süßen Mädeln, und er schien überlebt, als die Welt, die er darstellte, untergegangen war.

Es bedurfte gar nicht der Verfemung durch die Hitlerzeit; Schnitzler schien schon in seinen letzten Lebensjahren ein Mann von gestern; und als er wieder da sein durfte, kam er nur ganz allmählich zu den Nachgeborenen. Kennen wir ihn schon ganz? Wir fangen erst an, ihn und seine Größe zu ermessen.

Er war ein Meister des Angedeuteten. Er war ein Prophet des Kommenden, ohne das, was er vorhersah, beim Namen zu nennen. Und das gilt nicht nur für den Zusammenbruch der Welt des Habsburgerreichs.

Arthur Schnitzler hat in seiner Novelle „Leutnant Gustl“ als erster in deutscher Sprache den „inneren Monolog“ erprobt, der für die Literatur des neuen Jahrhunderts wichtig wurde. Er hat in dem Einakter „Der grüne Kakadu“ vorweggenommen, was Luigo Pirandello dann so oft auf die Bühne brachte: das Changieren von Realität und Vortäuschung. Und in seinem Einakter „Paracelsus“ hat er die Wirklichkeit der Träume erkannt. Aber er hat nur Türen geöffnet und ist nicht durch sie hindurchgegangen. Er wollte nicht aktuell, nicht „modern“ sein. Er wollte nur, immer wieder, immer neu „von Lieb’ und Spiel und Tod das wohlvertraute Lied“ singen.

Die Zeitgenossen haben in Schnitzlers Werk über der Liebelei die Liebe ignoriert, sie haben das, was er als Spiel bezeichnete, mißverstanden. In einer frühen germanistischen Arbeit wurde als Leitmotiv seiner Werke „Das Wissen vom Ende“ erkannt. Schnitzler ist der Dichter der großen Vergeblichkeit. Hatte Ibsen noch gegen die Lebenslüge zu kämpfen versucht, nahm sie Schnitzler (wie der ihm verwandte Tschechow) als gegeben in das Leben hinein.

Da es ihn in diesen Tagen zu ehren gilt, sei rühmend auf seine Haltung im Ersten Weltkrieg hingewiesen. Er war ein Pazifist, nicht nur vorher und nachher. auch während des Ersten Weltkriegs. Anders als die meisten seiner berühmten Kollegen hat er den Krieg in keiner Zeile verherrlicht; er hat geschwiegen. Und sein Schweigen war beredt.

Ein einziges Mal brach er das Schweigen, als ihm von Österreichs Gegnern fälschlich negative Äußerungen über Tolstoi und andere „feindliche" Autoren vorgeworfen wurden. Er schrieb einen Brief, der im Dezember 1914 in der Schweiz veröffentlicht wurde: „...daß das Schöne immer das Schöne, das Große immer das Große bleiben wird, selbst wenn es Nationen gehört, mit welchen sein“ (Schnitzlers) „Vaterland Krieg führt...“

Er hat sich sein Leben lang immer wieder durch anständige Haltung unbe-’ liebt gemacht. In Schnitzlers Werk ist Wien, ist Österreich aufbewahrt wie Frankreich bei Balzac, England bei Dickens, die Vereinigten Staaten bei (dem literarisch ihnen nicht ebenbürtigen) Sinclair Lewis. Vielleicht ist sein Jubiläum die Todestagsfeier seiner endgültigen Auferstehung.

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