Tanz der Familie, Ballett der Bücklinge

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In Wien hat am vergangenen Wochenende die neue Theatersaison begonnen, die im Zeichen der Neuanfänge steht. Das Theater in der Josefstadt eröffnete mit Hauptmanns "Vor Sonnenuntergang", am Burgtheater machte ein kurzweiliger "Revisor" von Gogol den Auftakt.

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In Wien hat am vergangenen Wochenende die neue Theatersaison begonnen, die im Zeichen der Neuanfänge steht. Das Theater in der Josefstadt eröffnete mit Hauptmanns "Vor Sonnenuntergang", am Burgtheater machte ein kurzweiliger "Revisor" von Gogol den Auftakt.

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Eine Redensart sagt, kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. In der Tat hat die am vergangenen Wochenende begonnene Theatersaison, die in Wien zweifellos immer ein Ereignis darstellt, schon im Vorfeld für viel Spannung gesorgt. Zum einen wurde das Burgtheater unter der Intendanz von Karin Bergmann gerade erst zum "Theater des Jahres" gewählt, was die Erwartungshaltung bei Kritik und Publikum steigern dürfte, und zum anderen geht das Volkstheater in eine neue Ära. Der zehnjährigen Intendanz von Michael Schottenberg folgt nun Anna Badora als zweite weibliche Intendantin des Hauses. Damit liegt die Mehrheit der großen Sprechtheaterbühnen in der Bundeshauptstadt zum ersten Mal überhaupt in weiblicher Hand.

Mit gemischten Gefühlen

Der Auftakt in die Saison war dem Haus mit dem dienstältesten Intendanten vorbehalten, der damit auch ein Jubiläum begeht, das Ausdruck in einer Publikation mit dem ebenso unbescheidenen wie leicht ironischen Titel "Höhenflüge und Zwischenlandungen" findet. Herbert Föttinger, seit nunmehr zehn Jahren Intendant des Theaters in der Josefstadt und auserwählt, die künstlerischen Geschicke des Hauses noch bis 2021 zu bestimmen, eröffnete pikanterweise mit einem Alterswerk.

Als Gerhart Hauptmann 1932 der Uraufführung seines Schauspiels "Vor Sonnenuntergang" beiwohnte, war er 70 und längst jener gefeierte Staatskünstler und literarische Repräsentationsfigur an der - wie Thomas Mann spitz anmerkte -etwas "Attrappenhaftes, Bedeutsam-Nichtiges" anhafte.

Die Wahl nun, die Saison mit diesem Schauspiel zu eröffnen, ruft gemischte Gefühle hervor. Einerseits hat "Vor Sonnenuntergang" viele gute Rollen und bietet einem Ensemble die Gelegenheit sich vorzustellen, andererseits aber wirkt das Stück etwas aus der Zeit gefallen. Geschildert wird der Kampf des geheimen Kommerzienrats Matthias Clausen (den Michael König überaus glaubwürdig darzustellen vermag) gegen seine Kinder. Der rüstige 70-Jährige schickt sich nämlich an, die 50 Jahre jüngere Inken Peters (Martina Ebm) zu ehelichen, was die drei erwachsenen Kinder und deren Angeheiratete nicht eben schicklich finden. Es geht ihnen - wollte man Hauptmann nur glauben - weniger um Erbschaft, also Besitz und Einfluss, als vielmehr um sittliche Entrüstung. Denn die Auserwählte ist nicht nur (zu) jung, sondern entstammt auch noch einfachsten Verhältnissen. Ihr Vater hatte einst in Untersuchungshaft, in die er ungerechtfertigter Weise geraten ist, Selbstmord begangen. Nun weist diese Konfliktkonstellation jenseits des Kampfs um Freiheit und Selbstbestimmung im Alter doch recht unzeitgemäße Züge auf, und es gelingt Regisseur Janusz Kica auch nicht, über die Ausgestaltung der Figuren jenseits vom Text, die Konfliktlinien etwa dahin gehend zu schärfen, die moralische Aufwallung der bösen Familie bloß als Mittel zu pekuniärem Zwecke zu zeichnen, den Patriarchen mittels Entmündigung aus dem Weg zu räumen. Kica folgt Hauptmann auch in dessen regressiv lebensphilosophischen Ansichten, das so erbarmungslose, kalte Schicksal, gleichsam als höhere Instanz, das Leben als Schule des Leidens zu verstehen, das letztendlich im Selbstmord enden muss.

Was bei Kicas Inszenierung zu wenig war, hat die Inszenierung von Gogols "Revisor" in der Regie von Alvis Hermanis, mit der das Burgtheater tags darauf die Saison eröffnet hat, vielleicht zu viel: die präzise Ausgestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen, das fast penible Ausstricheln der Figuren und ihrer Träume, die genaue Schilderung des Milieus, die atmosphärische Verdichtung. Das führt dazu, dass Hermanis für seine Interpretation von Gogols zeitlos aktuellem Stück aus dem Jahr 1836 fast fünf Stunden braucht. Freilich sind die trotz der Dehnungen zum größten Teil überaus kurzweilig! Denn Hermanis kann für seine Inszenierung, die an seine 2002 mit dem Jaunais Rı¯gas Tea¯tris erarbeiteten Fassung anknüpft und für die er mit dem "Young Directors Award" ausgezeichnet wurde, auf ein fantastisches Burgtheaterensemble zurückgreifen.

Schmächtig und gefürchtet

Es ist ein Vergnügen, die Schauspieler als spießige Provinzler zu beobachten, die trotz der Überzeichnung etwas zutiefst Menschliches haben. Dass sie nämlich blind sind für das doch so Offensichtliche, dass dieses schmächtige Bubi im Muscleshirt doch niemals auch nur ansatzweise der gefürchtete, inkognito und in geheimen Auftrag reisende Revisor aus der Hauptstadt sein kann, ist bei Hermanis nicht nur der Unterwürfigkeit und Angst vor Entdeckung der eigenen korrupten Machenschaften geschuldet, sondern vielmehr der überbordenden Träume und individuellen Sehnsüchte nach Glück und Bedeutung. Allen voran ist Michael Maertens der einäugige König unter den Blinden, dessen Ehefrau in der Gestaltung der wunderbaren Maria Happel ihm allerdings in nichts nachsteht und ihn an Einbildungskraft weit hinter sich lässt. Fabian Krüger als vermeintlicher Revisor ist weniger ein hochstaplerischer Stenz als vielmehr ein naiver Hallodri mit langer Leitung, dem erst sehr, sehr langsam dämmert, warum die Honoratioren des Provinznests ihm so unterwürfig Geld, Ehefrauen und Töchter zu überlassen bereit sind.

Vor Sonnenuntergang Theater in der Josefstadt, 11.9., 16.9.

Der Revisor Burgtheater, 25.9., 26.9.

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