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Handke und die andern

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Nicht alle Autoren entwickeln sich weiter. Doch bei Pete’ Handke hat sich in seinem neuesten Stück „Die Unvernünftigei sterben aus“, das derzeit im Akademietheater gespielt wird, seine frühere radikal praktizierte Wortakrobatik gewandelt. Das ist nicht dasselbe. — Die Hauptfigur, Herr Quitt, redet in einem Großteil des Stücks über sich selbst, reflektiert über sich langatmig, assoziationsreich. Ünd das vor anderen, ohne Veranlassung, ohne Notwendigkeit, beziehungslos. Ein radikales Einsamkeitsgefühl, eine Unzufriedenheit mit sich selbst geht daraus hervor; die Frage beschäftigt ihn,.wer er nun eigentlich sei, wer er hätte sein sollen. Er spricht dann wieder von altmodischem Ichgefühl, erklärt auch etwa, er möchte wildfremden Menschen die Haare aus der Nase ziehen … r .

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Nicht alle Autoren entwickeln sich weiter. Doch bei Pete’ Handke hat sich in seinem neuesten Stück „Die Unvernünftigei sterben aus“, das derzeit im Akademietheater gespielt wird, seine frühere radikal praktizierte Wortakrobatik gewandelt. Das ist nicht dasselbe. — Die Hauptfigur, Herr Quitt, redet in einem Großteil des Stücks über sich selbst, reflektiert über sich langatmig, assoziationsreich. Ünd das vor anderen, ohne Veranlassung, ohne Notwendigkeit, beziehungslos. Ein radikales Einsamkeitsgefühl, eine Unzufriedenheit mit sich selbst geht daraus hervor; die Frage beschäftigt ihn,.wer er nun eigentlich sei, wer er hätte sein sollen. Er spricht dann wieder von altmodischem Ichgefühl, erklärt auch etwa, er möchte wildfremden Menschen die Haare aus der Nase ziehen … r .

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Wer ist dieser Quitt? Ein weltfremder Spinner, ein Philosoph, der mit sich nicht zurechtkommt? Nein, ein Großunternehmer, der im ersten Teil des Stücks mit einer Unternehmergruppe fast nebenbei eine gemeinsame Aktion beschließt und von dem wir im zweiten Teil erfahren, daß er durch Preisunterbietungen die andern der Gruppe ruiniert hat. Das sollen wir von diesem Menschen glauben? Handke ergibt sich einem Seelenbereich, in dem uferlose, mitunter geistreiche Gedankenakrobatik wogt und vermeint dies einem skrupellosen Geschäftemacher großen Stils zuordnem zu können. Das geht nicht zusammen.

Aber auch Quitts Diener und Vertrauter Hans sowie die einzelnen Unternehmer ergehen sich immer wieder in Selbstaussagen, einfach weil sich der Autor nicht zurückhalten kann. All das führt die Figuren nicht weiter, Quitt rennt am Schluß den Schädel an einem Felsen ein (unrealistisches Bühnenbild), der sich in seinem Zimmer befindet. — Handke glaubt einfach vom überquellend Verbalen her unter knapper Einbeziehung einiger sachlicher Fakten — diesfalls aus Geschäftspraktiken — Theater schaffen zu können. Derlei vermag aber auf der Bühne nicht Leben zu gewinnen. Wollte er das Ungenügen eines tiefer veranlagten Menschen an rein materiell gerichteter Tätigkeit darstellen, hätte hätte es einer anderen Disposition und über das Verbale hinausgreifender, ausgesprochen gestalterischer Fähigkeiten bedurft. Handke verfehlt die Bühne völlig.

Raumandeutungen wie in anderen Inszenierungen dieses Stückes gibt es im Akademietheater nicht, die Bühnenbildnerin Ilona Freyer ordnet lediglich hellgraue, dick gepolsterte Fauteuils vor hellgrauer Verspannung der bühnenbegrenzenden Wände im ersten Teil an; im zweiten gibt es nur noch einen Liegestuhl, ein Pianino und den Felsen des glitzernden Eisberges. Keine Vermittlung des Untemehmermilieus trotz Diener im Frack und weißen Handschuhen. Der Regisseur Wolf Seemann hat Wortergüsse zu inszenieren. Er mußte sich damit begnügen, den Darstellern die Stellungen anzuweisen. Karl-Heinz Marteli bemüht sich, die unvereinbaren Gegensätze im Quint durch Intensität und forsche Gesprächsweise zu vereinen. Franz Morak verlagert den Diener von sich aus etwas ins Skurrile. Klaus Höring, Herbert Kucera, Wolfgang Gasser sind farblos laute Unternehmer, Johanna Matz eine farblose Unternehmerin. Als Kleinak’tionär benimmt sich Hanns Obönya manuskriptgerecht abstrus, Sigrid Marquardt huscht ebenfalls manuskriptgerecht durch das Stüde.

Kriminalstücke sind auf der Bühne sehr selten geworden seit sie das Fernsehen bevorzugt bringt. Dennoch führt derzeit ein Tournee-Ensemble in den Kammerspielen solch ein Stück vor, „Die Falle“ des Franzosen Robert Thomas. Da gibt es zwar einen Kommissar, aber es ist lange nicht einzusehen, weshalb er so beharrlich klären will, ob die Frau, die einem Jungverheirateten einredet, seine verschwundene Gattin zu sein, es tatsächlich ist. Erst gegen Schluß stellt sich heraus, daß ein Mord begangen wurde. Das ist das Besondere an diesem Kriminalstück. Es ergeben sich aber erhebliche Längen. Erik Ode, publikums-, geschätzter „Kommissar“ in einer beliebten Femsehserie, führte Regie und spielt auch hier diese konfektionierte Gestalt, gelassen überlegen, sympathisch. Unter den Mitwirkenden hebt sich neben Dany Sigel als die umstrittene Frauengestalt Eckart Dux als stets erregter Jungverheirateter heraus.

Der Dialog „Flüchtlingsgespräche“ von Bertolt Brecht wurde erst 1962 uraufgeführt, bis vor einem Jahr gab es 37 deutschsprachige Inszenierungen. Derzeit führen ihn die „Komödianten“ im Künstlerhaus vor. Zwei Flüchtlinge, ein Physiker und ein Arbeiter, unterhalten sich während des letzten Kriegs im Bahnhofs restaurant von Helsingfors über Grundfragen der Politik, über Menschlichkeit, Erziehung, Freiheit, Vaterlandsliebe, Heroismus, wobei es zu ebenso schnittscharfen wie mokant geistreichen Formulierungen kommt. Ausrichtung: erstaunlicherweise keineswegs stets stramm sozialistisch. Conny Hannes Meyer und Helmut Wiesner sprechen dies, Textbücher in der Hand, auf einem Podium mit angedeuteter Restaurantecke. Projektionen und Brechts Zwischenworte in den Cäsuren.

Im „experiment am lichtenwerd“ erwies sich der 22jährige Steirer Alois Koller in den beiden uraufge- führten Stücken „Fressen“ und „Mahlzeit“ als ein schwächlicher Nachfolger von Kroetz: die gleichen Milieus, die gleiche Kontaktlosigkeit, das gleiche sprachliche Unvermögen primitiver Menschen. Nur belangloser. Im Gegensatz zu Koller haben Wolfgang Bauer und Peter Turrini nicht damit begonnen, einen andern nachzuahmen, sie setzten originäre Akzente ein. Im übrigen: Wozu überhaupt das Leben einfacher Leute, bei denen sich fast nichts begibt, imitieren? Brecht hat sehr berechtigt vor dem Imitieren gewarnt. — Eine gute Aufführung unter der Regie von Ritz Holy. Kaum nennenswerte Aufgaben für die Schauspieler.

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