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Gegensatze

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John Osborne erklärte, die „verdammten Deutschen“ zu hassen, und er werde es immer tun. Ob das auch für die Österreicher gilt? Nun, er hat die alte österreichisch-ungarische Armee als „die erste wahrhaft internationale stehende Armee seit Römerzeiten“ gepriesen. Ein Begebnis aus diesem Bereich wurde ihm zum Stoff für ein Stück, allerdings ein unerfreuliches, das von Illustriertenschreibern und Filmskribenten schon reichlich genutzt wurde: Die Redl-Affäre aus dem Jahr 1913.

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John Osborne erklärte, die „verdammten Deutschen“ zu hassen, und er werde es immer tun. Ob das auch für die Österreicher gilt? Nun, er hat die alte österreichisch-ungarische Armee als „die erste wahrhaft internationale stehende Armee seit Römerzeiten“ gepriesen. Ein Begebnis aus diesem Bereich wurde ihm zum Stoff für ein Stück, allerdings ein unerfreuliches, das von Illustriertenschreibern und Filmskribenten schon reichlich genutzt wurde: Die Redl-Affäre aus dem Jahr 1913.

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In der Szenenreihe „Ein Patriot für mich“ geht es Osborne merkbar vor allem darum, Homosexuelles mit Behagen darzustellen. Daß aber Redl und andere Offiziere der alten Armee auf einem groß aufgezogenen Homosexuellenball erscheinen und sich da ungetarnt unterhalten, wirkt läppisch. Die Spionagetätigkeit wird im Kintoppniveau vorgeführt. Dieser Oberst verschwieg die Existenz von 75 russischen Divisionen, was am Anfang des ersten Weltkrieges hohe Verluste bedingte; davon erfahren wir nichts. Die Abgründe, die sich gerade in solch einer Gestalt auftun, scheint Osborne nicht einmal zu ahnen. Maximilion Schell hat das arg seichte Stück übersetzt, wobei ihm der wienerische Tonfall strek-kenweit gut gelang. Regisseur Rudolf Kautek akzentuiert im Volks-theater einigermaßen das Bilder-bogengefüge wenig packender Episoden. Der Bühnenbildner Georg Schmid begnügt sich mit andeutenden Projektionen der Schauplätze, vor die er Möbel und Versatzstücke stellt. Die zahlreichen Gestalten werden durchschnittlich gut verkörpert, ohne stärker zu beeindrucken. Das gilt auch für Wolfgang Hübsch als Redl, der für diese Rolle zu jung ist.

Im Ateliertheater ergibt sich ein Test auf eines der frühen Stücke von Bertolt Brecht. Das im Jahre 1926 uraufgeführt Lustspiel „Mann ist Mann“, das erst vor drei Jahren in Graz zur österreichischen Erstaufführung gelangte, erweist eine erstaunliche Voraussicht auf unsere grausigen Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten. In diesem Stück — viel eher eine bittere politische Farce als ein Lustspiel — wird gezeigt, wie in einem primitiven, scheinbar gutmütigen Menschen namens Galy Gay kriegerische Lust, ja Blutgier geweckt werden kann. Das angebliche „Umfunktionieren“ ist nichts als ein Befreien verbrecherischer Urtriebe. Was Brecht da innerhalb der britischen, einst in Indien stationierten Armee vorführt, hat sich in allen Totalitärstaaten bis heute ereignet. Nur allzu leicht sprang überall die Grausamkeit auf. Aber trotz dieser nach wie vor anhaltenden Aktualität greift das Stück nicht mehr. Die Fakten sind uns allzu geläufig, darüber hinaus spüren wir nur die Mache. Doch gäbe es da ein Motiv, das tiefer reichen könnte: die Fragwürdigkeit der Individualität. Aber dieser Ansatz wird wegen des holzhammerartig Lehrhaften, um das es Brecht geht, vertan. Peter M. Birkhofer bietet im brennroten Bühnenraum — Entwurf Peter Stöger — mit Karl Dobravsky als dumpf triebhaftem Galy Gay eine Aufführung, die vor allem auf das Martialische ausgerichtet ist. Im „Experiment am Lichtenwerd“ lernt man durch ein Gastspiel des „Ateliers 65“ das vorletzt entstandene Sprechstück von Samuel Beckett, „Kommen und Gehen“, kennen. Es besteht allerdings nur aus wenigen Sätzen, die von drei Gestalten während fünf Viertelstunden dauernd wiederholt werden. Diesfalls sind es zwei Darsteller und eine Darstellerin, aber das Geschlecht ist belanglos. Die Sätze — meist Frage und Antwort — nehmen auf etwas Bezug, das wir nicht kennen. Durch die ständige Wiederholung nach jeweils langen Pausen wird in uns das Gefühl der Hilflosigkeit Ereignissen gegenüber geweckt, die es merkbar gibt, die wir aber nicht erfassen. Eine Grundsituation des Lebens. Die Wirkung wird durch die Art der Darbietung gesteigert. Die drei Darsteller tragen vor schwarz ausgeschlagener Bühne schwarze Pullover und Hosen, dazu kalkweiße Handschuhe und kalkweiße Socken (ohne Schuhe). Sie sprechen regungslos, monoton, teilen sich in abgezirkelten Bewegungen zur Seite, wechseln die Plätze. Die Sätze erhalten neue, abermals unbekannte Inhalte, wenn die Darsteller dazu lachen oder weinen. Vorzügliche Inszenierung durch W. J. M. Wippersberg mit den Darstellern Tonja Grüner, Herbert Schnellber-ger und Laszlö Varvasovsky. Allerdings sinkt die Teilnahme im Lauf des Abends ab, wir sind keine Asiaten, die sich dem Zeitlosen zu ergeben vermögen. Der Eindruck verstärkt sich, daß Becketts Gestaltungskraft mehr und mehr einschrumpft.

Das amerikanische Hippie-Musical „Hair“ von James Rado und Gerome Ragni mit der Musik von Galt McDermot, das in New York, London, Stockholm und in der Bundesrepublik Sensation erregte, ist nun auch in der Wiener Stadthalle zu sehen. Der Erfolg bestätigt sich. Wodurch? In diesen choreographier-ten Gesangsszenen der Soli und der Chöre bricht mit aller Vehemenz eine Gegenwelt zu unserer vereisten, überrationalisierten, bürokratisier-ten, unentwegt gefährlicher werdenden Zivilisation durch. Das bedingt Protest gegen alles Lebensfeindliche, vor allem gegen Einrückung und Krieg, das bedingt ein Aufschäumen der Lebenslust in Liebe und Sex. Wechselt die ausdrucksstarke Musik von besinnlichen Melodien zu aufpeitschenden Rhythmen über, kommt es bei den Darstellern immer wieder zu ekstatisch wirkenden Explosionen der Bewegung, zur Raserei, Turbulenz, Rausch. Die „berühmt-berüchtigte“ Nacktszene ist keineswegs eine Orgie, sie stellt das Ausgesetztsein des nackten Menschen dem Schicksal gegenüber dar Was unser Jahrhundert völlig ver drängt hat, das Elementare wird hiei Ereignis.

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