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Opa ex machina

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Vor wenigen Jahren, mit Gottschlich als Geisterkönig;, im Burg-, nun in einer Neuinszenierung von Gustav Manker im Volkstheater: Man kann den „Diamanten des Geisterkönigs“ immer wieder sehen. Wenn seine Bombenrollen adäquat besetzt sind, ist die Leuchtkraft dieses Juwels ungebrochen. Freilich - Raimund teilt das Schicksal manches anderen, keineswegs im vollen Einklang mit den eigenen Intentionen für die Kinder okkupierten Autors. Raimund-Vorstellungen sind heute als Kindervorstellungen etabliert - mit Fug und Recht. Anders als etwa die Werke eines Swift braucht man seine freilich nicht erst zu entschärfen. Zu den reizvollsten Facetten seiner Stücke gehört ja gerade die Naivität seines Glaubens an das Gute im Menschen

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Vor wenigen Jahren, mit Gottschlich als Geisterkönig;, im Burg-, nun in einer Neuinszenierung von Gustav Manker im Volkstheater: Man kann den „Diamanten des Geisterkönigs“ immer wieder sehen. Wenn seine Bombenrollen adäquat besetzt sind, ist die Leuchtkraft dieses Juwels ungebrochen. Freilich - Raimund teilt das Schicksal manches anderen, keineswegs im vollen Einklang mit den eigenen Intentionen für die Kinder okkupierten Autors. Raimund-Vorstellungen sind heute als Kindervorstellungen etabliert - mit Fug und Recht. Anders als etwa die Werke eines Swift braucht man seine freilich nicht erst zu entschärfen. Zu den reizvollsten Facetten seiner Stücke gehört ja gerade die Naivität seines Glaubens an das Gute im Menschen

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Raimunds Stücke strahlen Warmherzigkeit aus. Bei Raimund lachen die Menschen anders als bei Nestroy. Gutmütiger, unbeschwerter. Nestroy war sicher der größere, der wirklich große Dichter. Nur hat man gerade den damals nicht in ihm gesehen. Warum mußte dann Raimund Nestroy weichen? Weil Raimund, der sich selbst als Nestroy-Opfer sah, der Naivere war? Weil Nestroy noch bühnenwirksamer oder, wie viele Zeitgenossen meinten, derber und volkstümlicher schrieb?

Raimund steht noch immer tief im Schatten Nestroys - wohl allzusehr. Die Neuinszenierung des „Diamanten“ im Volkstheater und des „Verschwenders“ im Burgtheater geben nicht zuletzt Gelegenheit, über die Unterschiede zwischen diesen beiden urwienerischen Autoren und Komödianten nachzudenken. Der ebenso spontane wie internationale Erfolg, der dem „Diamanten des Geisterkönigs“ bei den Zeitgenossen Raimunds beschieden war, bedarf zu seiner Erklärung keines Rückgriffes auf politische Anspielungen und Bezüge. Er liegt in der Qualität des Werkes begründet. Der Geschmackwandel, der sich darin ausdrückt, daß die Wiener sich plötzlich so undankbar gegen Raimund erweisen, dem sie doch so viel Vergnügen verdanken, und in Scharen Nestroy zulaufen, hat aber tiefere Gründe, wie mir scheint. Hier spiegelt sich in den Werken zweier Dichter wirklich die Grundstimmung ihrer Epoche - bei Nestroy freilich eine ganz andere als bei Raimund.

Bei Raimund kann man sich noch auf die oberen Instanzen verlassen. Bei ihm kann man noch glauben und hoffen, kann man noch Mensch sein, ohne sich aufzulehnen. Nestroy ist das Kind einer anderen Zeit. Als Raimund Wanderschauspieler war und später am Theater in der Josefstadt seßhaft wurde, war Österreich noch, wieder einmal, eine Insel der Seligen - die Französische Revolution vergessen und verdrängt, die Welt von Metternich wohl geordnet, und was da noch immer oder schon wieder im Untergrund grollte, das konnte man - im Glauben an die oberen Instanzen -schon noch ein Weilchen überhören. Der Luftballon, in dem die liebenswürdige Ordnungsmacht herabsteigt, der Vulkan, der einen gütigen Opa ausspeit - das sind bei Raimund nicht nur Konzessionen an die Schaulust seines Publikums, das sind Symbole eines ungebrochenen politischen Ur-vertrauens. Vielleicht tun seine Stücke uns, die wir dieses politische Urver-trauen gründlich verloren haben, gewürzt mit ein bisserl Aufmüpfigkeit, wie es gerade der „Diamant“ ist, deshalb so gut.

Nestroy ist der Autor einer Generation, die sich die Ohren nicht mehr zuhalten kann, es grollt schon zu laut. Raimund und Nestroy - für mich repräsentieren diese beiden Männer die beiden Seiten des Wiener Volkscharakters, unser janusköpfiges Verhältnis zur Wirklichkeit. Die Tendenz, sich die Wirklichkeit vom Leib zu halten, so lang es geht - bei keinem so menschlich, so ergreifend und sympathisch verkörpert wie bei Ferdinand Raimund - der zuletzt scheitert. Nestroy nimmt zur Kenntnis, verdaut, verarbeitet, bewältigt die Wirklichkeit, bringt seine Resultate in eine vortrefflich getarnte, gerade noch akzeptable (für die Zensur!) Form.

Raimund wie Nestroy waren Volksschauspieler. Nestroy feierte einen seiner frühen Triumphe als Raimundscher „Geisterkönig“. Wenige Jahre später wurde er als Ausbund von „Ordinärheit“ und „Gemeinheit“ apostrophiert. Wurden seine aufsässigen, verschlagenen Domestikentypen als das verstanden, was sie waren? Waren sie Chiffren für die Situation, in der sich ein großer Teil seines Publikums befand? Raimund starb 12 Jahre vor der Revolution. Nestroy überlebte sie, aber er wurde nur einmal ganz deut-lieh. Mit seiner „Freiheit in Krähwinkel“. Warum ist sie eigentlich eines seiner am seltensten gespielten Stük-ke?

Gedanken anläßlich einer Neuinszenierung, die, weniger opulent als die seinerzeitige des Burgtheaters, selbiger doch auch einiges voraus hat Herbert Propst ist ein ganz ausgezeichneter Geisterkönig Longimanus: biederer als Gottschlich, noch im Zorn hausväterlich, eine Parodie zum Greifen des „guten Kaisers Franz“. Er regiert äußerst undemokratisch, aber gerecht. Undenkbar, daß er auf die Idee kommen könnte, wirklich einen Kopf rollen zu lassen; soweit gröbere Arbeit getan werden muß, bleibt sie ganz und gar dem bösen Geist Kolo-phonius (Mario Kranz) überlassen. Das Zauberstück rollt seine eigenen Hintergründe auf, zeigt seinen Mechanismus her: Sieh an, der Deus ex machina ist ja ein lieber Opa!

Kern der Aufführung ist - in der bei der Uraufführung von Raimund selbst gespielten Rolle des Florian - Heinz Petters. Der hat einen großen Abend. Ich habe den Eindruck, dieser Schauspieler steht an einem Scheideweg. Kann es sich künftig leicht machen, auf g'mahten Wiesen tummeln. Oder arbeiten und zu einem echten Wiener Volksschauspieler heranreifen. Auf der einen Seite als eher warnendes Beispiel Heinz Conrads. Auf der anderen als Ideal und fernes Vorbild -Meinrad.

Kitty Speiser ist ein so richtig vormärzlich realistisches Mariandl, Friedrich Haupt ein sehr glaubwürdiger Pamphilius, Oskar Willner als Ve-ritatius, Herrscher über die Insel der Wahrheit, repräsentiert gespenstisch das Prinzip leicht angetrottelter, aber in ihrem Selbstverständnis ungebrochener Autokratie. Doris Weiner: mehr Wiener Lausbub als Götterbote, dies ganz im Sinne des Erfinders. Unmöglich, alle zu nennen, die es verdient hätten. Intim und biedermeierlich das Bühnenbild von Rolf Langenfass.

Die Inszenierung von Gustav Manker vermeidet wohltuend die am Volkstheater zeitweise übliche Outrage. Die Schauspieler werden nicht losgelassen, sondern geführt, die Konturen des Stückes herausgearbeitet, die historischen Bezüge unter dem Spaß sichtbar, spürbar. Nur die Zaubergarten-Szene erscheint mir viel zu lieblos und kurz exekutiert.

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