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Vorwarts ins Biedermeier?

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Das erste jener Theaterstücke, die heutige Autoren, angeregt von älteren Stücken und mit fixen Aufträgen des Burgtheaters, schreiben sollen, ist fertig. „Der Traum vom Glück“ von Willi P e v n y wurde im Akademietheater mit erheblichem personellem und technischem Aufwand inszeniert. Und es ist auch wirklich eine sehr anregende Sache geworden. Warten nicht alle auf Stücke, die das Denken und Fühlen heutiger Menschen spiegeln? Hier ist eines!

Dabei habe ich allerdings den Verdacht, daß Pevny gar nicht alles, was aus seinem Stück spricht, sagen wollte. Daß ihm bei der Beschäftigung mit dem Nestroy-Stück „Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Uberflüssige“ allerhand daneben- und durcheinandergeraten ist. Aber das mindert ja nicht die Aussagekraft eines Stückes. Im Gegenteil. Was einem Autor so durchrutscht, wenn er beim Schreiben ausrutscht, läßt oft besonders deutlich erkennen, wie es in seinem Kopf aussieht Willi Pevny hat Nestroy zitiert - und die Gespenster des Vormärz sind ihm erschienen. Er hat heftig mit ihnen gerungen. Die Frage, wer dabei die Oberhand behalten hat, macht seinen „Traum“ so vielschichtig, interessant, ja wichtig zum Verständnis einer heute weitverbreiteten Haltung gegenüber der sozialen und politischen Realität, wenn nicht gar eines Lebensgefühls. Als Stück ist dieser „Traum“ nichts Besonderes, aber als Traum eines Autors, der zur Analyse reizt, ist dieses Stück unbezahlbar!

Nestroys „Schlafwandler“ wurden 1836 uraufgeführt Bei Nestroy hat der arme Seilermeister Faden durch seine Nachtwandlerei das Hannerl seines Gesellen Strick kompromittiert und obendrein seine Braut Babette verloren, doch macht er sein Glück, indem er - nachtwandelnd - den Lord Ho-wart vor Räubern rettet Pevny dreht das Rad der Geschichte zunächst sehr konsequent ein paar Zähne weiter. Die Seilerei steht jetzt im Schatten der riesigen Seilfabrik „Howard und Whatfield“, und Faden ist nicht nur arm, sondern ruiniert. Da wird er zum Rebellen und schmeißt Steine gegen das Fabrikstor. Aus dem Fabrikstor stürmen Soldaten und legen auf ihn an.

Aber während bei Nestroy alles seinen realistischen Gang nimmt, beginnt Faden beiPevny unvermittelt zu träumen: „Faden steht plötzlich im Nachthemd da.“ Vielleicht ist er angesichts der Bajonette in Ohnmacht gefallen und träumt, daß er träumt? Bei Nestroy wetten die spleenigen Lords Howart und Whatfield, bei Pevny die Fabrikanten, daß Howard den Seüer-meister glücklich machen wird, indem er ihm jeden auf Notwendiges gerichteten Wunsch erfüllt - nur, wenn sich Faden etwas Überflüssiges wünscht, soll er in die Armut zurückgestoßen werden. Bei Nestroy geht die Wette um die Hand des Fräuleins Whatfield, bei

Pevny um Aktienpakete. In beiden Stücken erfüllen die Engländer die absurdesten Wünsche ihres Versuchskaninchens (bei Nestroy bekommt Faden Whatfields Schloß, bei Pevny wird er Generaldirektor), weil sich Faden prompt in ein sehr kapriziöses Fräulein von Stand verliebt und weil es ihre und nicht seine Wünsche sind und sie halt für ihn eine Notwendigkeit ist Bei Nestroy stolpert Faden zur Erleichterung Howarts, dem Fadens Wünsche langsam an die Substanz gehen, über die nun wirklich überflüssige Forderung, einen altmodischen Zopf abgeschnitten zu sehen. Bei Pevny will er nicht mehr und nicht weniger als die Entfernung der Fabrik und die Wiederherstellung seiner heilen Welt mit Fisch' im Bach und Blattl auf dem vergifteten Baum.

Nestroys Stück könnte auch „Traum vom Glück“ heißen; es gibt ein Happy-End mit kleinem Häuschen und dank feudalem Großmut sinkt alles einander in die standesgemäßen Arme. Bei Pevny geht Faden als Arbeiter in die Fabrik: „So a Schicht geht eh bald vorbei. Im Leben geht ja alles vorbei! 's ganze Leben geht vorbei!“

Das wäre realistisch und logisch. Aber vorher geht es bei Nestroy dramaturgisch einwandfrei und auch sozial glaubwürdig oder wenigstens möglich zu, nur die Sprache erhebt sich in die Sphären der Dichtung. Bei Pevny ist es umgekehrt. Seine Zuer-findungen'stellen Nestroy gegenüber eine Rückentwicklung in Richtung auf Raimunds Zauberstückwelt dar, nur leider ohne Raimunds dichterische Qualität

Bei Nestroy hält Faden die Lords für Geister, denen alles möglich ist, warum soll er also bescheiden sein? Bei Pevny landen die Kapitalisten im Luftballon vor der Fabrik, um getreu dem Firmenmotto „immer das Notwendige - nie das Uberflüssige“ mit ihren Uberflüssigkeiten die ganze Welt glücklich zu machen. (Bei Nestroy eine Laune als agens einer Handlung, bei Pevny die ultima ratio des Industriezeitalters, wie der kleine Moritz sie sich vorstellt, auf eine schiefe, weil fremde Formel gebracht.) Pevnys Faden wird in seinem Traum alt, wird zum hörigen Hahnrei, zum willfährigen Subjekt der Kapitalisten, die er schließlich Emilie zuliebe hintergeht, um zuletzt auf der Straße zu landen. Das Motiv des Umseinerselbstwillen-oder Umseinesgeldeswülen-Geliebt-werdens kommt auch noch hinein,und allerlei an Deftigkeit und Vergrö-berung, dazu ein zum Kleiderständer für alle möglichen Gedanken aufgewertetes Hannerl, und vor dem Erwachen ein kräftiger Schuß Sentimentalität - um den Krapfen besser zu machen, hat halt Pevny alles, was er in seiner Küche finden konnte, in den Nestroy'schen Germteig eingerührt. Aber sei's drum, wir wollen den Traum ja nicht künstlerisch, sondern inhaltlich deuten. Und dabei erweist er sich als die-frappierende Registratur eines Bewußtseins.

Nestroys Faden verdreht der Reichtum ein bisserl den Kopf. Pevnys Faden träumt nicht von Glück und Reichtum, sondern wird träumend ein anderer, ein ganz mieser Typ. Im Wachzustand rafft er sich zu einer Geste der Auflehnung auf - träumend ist er nur ein Getriebener, ein Sklave der Aufsteigermentalität, ein Wolf unter Wölfen und dabei Spielball von Kräften, die er nie durchschaut. Die aber auch den Autor kaum interessieren. Pevny stellt sie als zwei Halbgötter im Luftballon dar, denen man sich nur verweigern kann, die um mächtige Aktienpakete wetten, ohne daß man erfährt, wie die Sache zwischen ihnen ausgeht. Wenn dieses Stück eine Aussage hat, dann ist es die Weigerung, sich mit den die Industriegesellschaft bewegenden Kräften überhaupt auseinanderzusetzen. Man kann eh nix dagegen machen.

Also ein Stück, das Nestroy an Biedermeierlichkeit weit übertrifft Mit seiner Ablehnung, die die Fäden ziehenden Kräfte zu untersuchen, aber auch alles andere als ein aufklärerisches Stück. Und schon gar kein marxistisches. Dafür ein Hauch von Rousseau, von „Zurück zur Natur“. Und damit ist dieser „Traum vom Glück“ Ausdruckeines Lebensgefühles. Nämlich des Lebensgefühles jener Schichten, die heute vom Rückzug aus der Leistungsgesellschaft und aus den Großstädten träumen und ihn da und dort auf sehr individualistische Weise vollziehen. Aber auch Ausdruck des Theoriedefizits dieser Gruppen. Denn wie solche Lebensformen breiteren Schichten ermöglichen? „Irgendwie wird's schon gehen“ als Gegenstück zum „Man kann eh nix machen“.

Als Ausdruck dieser Haltung, die heute rapid Anhänger gewinnt, ist das Stück ernst zu nehmen, kann es Geltung beanspruchen, sollte es diskutiert werden. Regisseur Dieter Berner hätte nach der Pause stark kürzen sollen - da kommt nämlich Langeweile und zeitweise Peinlichkeit auf. Das Bühnenbild von Matthias Kralj ist in den realistischen Szenen sehr gut. Xe-nia Hausner ließ sich effektvolle Kostüme einfallen. Was an von Schauspielern realisierbaren Möglichkeiten im Text steckt, wird von der vom Bürgtheater aufgewendeten Superbeset-zung (Otto Tausig spielt den Faden, Wolfgang Hübsch seinen Gehilfen Strick, Helmut Janatsch den Fabriksdirektor Geier, Hugo Gottschlich den Wirt, Burgi Mattuschka das Hannerl, Eva Rieck die Emilie, Hannes Siegl und Fritz Crieb sind die im Luftballon landenden Unternehmer, und so weiter, und so weiter) herausgeholt.

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