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Unsterblicher Nestroy

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Die I o s e f s t a d t hat vor rund einem Dutzend Jahren Nestroys „Talisman“ den hungernden Wienern als ein sozial-revolutionäres Stück präsentiert. Karl Paryla als Titus Feuerfuchs, lieber jener Aufführung lagen noch die Brände der nahen Vergangenheit, die so viel verzehrt hatten... Nestroy ist kein Brandstifter. Der Wiener Komödiant und Volksdichter Nestroy besitzt aber — Nestroy ist Gegenwart — den Blick in die Tiefe des gesellschaftlichen Elends. Nichts entgeht ihm, dem Taucher, was da unten brodelt in der Schlangengrube der grausamgierigen Herzen. Sein „Talisman“ kann in diesem Sinne präsentiert werden als Satire auf ein Strebertum, eine Arroganz, eine Eitelkeit und Verblendung, die sich in allen Gesellschaften aller Zeiten finden. Heinrich Schnitzler legt in seiner Neufassung des Talisman im März 1958 das Gewicht auf andere Akzente, die ebenfalls in dieser Komödie vorhanden sind. Ohne die letzten Spuren des Gesellschaftskritischen zu verwischen, wird nun das Dichterische herausgearbeitet: der Mensch, dieser „Viehskerl“, wie ihn Nestroy anspricht, dieses Wesen mit all seiner herzhaften Narrheit, grenzenlosen Selbstsucht und eigentümlichen Liebenswürdigkeit gerade im Scheitern, wenn die Hosennähte platzen und das dumme Herz weinend losbricht, der vielgeliebte arme, närrische, liebenswerte Mensch steht im Vordergrund dieser beglückenden Aufführung. Heinz Conrads als Titus Feuerfuchs ist ein solches „Mannsbild“; ein pfiffiger, ja gerissener Bursche, der dreist sein Glück beim Schopf, das heißt beim Herzen von drei Frauen, zu packen sucht, zugleich ein Hase, der in seiner Angst, entdeckt zu werden, nach vorne flieht. Ganz prächtig Luzi Neudecker als Salome Pockerl, als Gänseliesl; diese junge Schauspielerin erweist sich im Couplet als eine Künstlerin, die aufhocrchen macht. Grete Zimmer, klug und charmant in ihrer Parodie vormärzlicher Eitelkeiten, als Frau von Cypressenburg. Otto Schenk, Helli Servi, Leopold Esterle saftig, rund, farbig in den „Rollen“. Kurt Nachmann hat mit Geschick Zusatzstrophen zu Nestroy geschrieben, die sich wohltuend diskret abheben von den bei dieser Gelegenheit üblichen Platitüden. Niedermosers Bühnenbild läßt das Biedermeier vor hundert Jahren erstehen. — Ein großer Erfolg der Josefstadt.

In den Karnmerspielen bringt Fritz Eckhardt eine Fortsetzung seines Stücks „Rendezvous in Wien“ heraus, das vor inigen Jahren hier herauskam. Nun heißt es: „Rendezvous in Moskau.“ Darf als Symptom für eine gewissen Wiener Atmosphäre angesehen werden, daß da hier, nah am Vorhang, ganz unbekümmert Moskau, das heutige Moskau, als Schauplatz eines Lustspiels gewählt wird, in dem vor allem Ernst Waldbrunn sich selbst darstellt und als Bruder West Peter Weck, und als Bruder Ost Bruno Dallansky Anlaß gegeben wird zu familiären Spaßen? Auf den „Inhalt“ kommt es ja bei Stücken dieses Genres nicht an. Wichtig ist, daß mit Lust und Liebe gespielt wird, daß es Rollen gibt, über die das Publikum lachen kann, und daß in ein, zwei Figuren ein Gran Menschlichkeit spürbar wird, die das Ganze einfärbt und anziehend macht. Dieses Gran ist da, nicht zuletzt bei der verliebten Russin Lotte Ledl, die auf ihre Weise um ihren Mann kämpft. Stimmungsmusik machen zwei Möbelpacker und ein Telephon, wodurch die kabarettistische Wirkung dieses Komödchens erhöht wird.

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