Jodeln mit Nestroy, ein Missverständnis

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Matthias Hartmann hat einen aufwendigen "Lumpazivagabundus“ eingerichtet, mit einer bunten Mischung an Ideen und Assoziationen, und ohne roten Faden. Und so präsentiert sich das bekannte Stück als sonderbar hohle Mischung irgendwo zwischen Löwinger-Bühnen-Persiflage, EU-Anspielungen und Jodel-Kurs.

Das Grundproblem besteht darin, dass Hartmann Nestroy als Lustigmacher (miss)versteht. Doch sind Nestroys Possen keineswegs für schlampige Bühnen und allerhand Schabernack geeignet. Sie sind bitterböse Satiren auf eine Gesellschaft, in der Selbstgerechtigkeit, Willkür und Zensur vorherrschen. Nestroys im Wortwitz verborgene Kritik lässt sich als Folie ins Heute transportieren, liegen doch seine Spitzen in der Feinheit und Raffinesse der Sprache.

Hartmann aber adaptiert die Geschichte(n) als konkrete Anspielungen auf aktuelle Wirklichkeiten: Die Feenwelt ist im EU-Himmel, die Göttin Fortuna wird in Maria Happels glorioser Angela-Merkel-Persiflage eine veritable Lachnummer, und Mavie Hörbiger preist als Lilo-Wanders-Imitation die wahre Liebe an. Das ist im ersten Moment lustig, erzählt aber insgesamt wenig. So zieht die Regie an vielen Interpretationsfransen, und es passiert doch weiter nichts, als dass sich der grandiose Textteppich in lauter Einzelfäden auflöst. Denn das Stück selbst funktioniert auch ohne Mehrdeutung, im Sinne von: Weniger ist mehr.

Lumpazi mit Stöckelschuh

Dass der böse Geist Lumpazivagabundus eine hermaphroditische Erscheinung sein muss - an einem Fuß einen Stöckelschuh, am anderen barfuß - irritiert wirklich. Max Mayer rekelt seinen nackten Oberkörper lasziv, während sein Kopf wie der eines aus dem Nest gefallenen Vogels wackelt. Und tatsächlich blutet eine große Wunde mitten auf der Glatze.

Das liederliche Kleeblatt ist zwar hochkarätig besetzt, findet aber zu keiner eigenen Interpretation: Michael Maertens stolziert als Schneidermeister Zwirn mit fransigem Haar über die Bühne, doch quetscht und presst er eine Kunstfigur zutage, die kaum Variationen zustande bringt. Ja freilich, lustig ist er schon, vor allem, wenn er im prunkvollen Palast sein durch und durch vergoldetes Reich präsentiert. Dieses besteht aus Pappkulissen (wie auch die Himmelswolken im Feenreich), welche nicht besonders stabil sind und daher gerne umkippen. Auch das sorgt für viel Komik und eine ausgelassene Stimmung im Publikum. Diese wird durch interaktive Momente verbessert, etwa wenn Schuster Knieriem im Wirtshaus seinen Nonsens-Kanon "Eduard und Kunigunde“ anstimmt und das Publikum zum Mitsingen animiert. Dann bieten Parkett und Galerie Gesangseinlagen, die Nicholas Ofczarek als Knieriem von der Bühne aus dirigiert.

Ofczarek liefert in dieser Rolle eine fantastische Performance als Helmut-Qualtinger-Kopie, der die Figur in der Verfilmung von Edwin Zbonek (an der Seite von Kurt Sowinetz als Zwirn und Alfred Böhm als Leim) zwischen beeindruckender Brutalität und gleichzeitiger Hellsichtigkeit interpretierte. Ofczareks Knieriem ist auch in Hartmanns "Lumpazivagabundus“ die interessanteste Figur, auch wenn Qualtingers Abgründigkeit einzigartig und selbst für Ofczarek unnachahmbar bleibt.

Florian Teichtmeisters braver Tischler Leim zeigt sich - nach dem großem Lottogewinn - als Personifizierung des Nestroy-Satzes "Es gibt viel gute Menschen, aber grundschlechte Leut’“. Vom Reichtum manipuliert, entpuppt sich Leim als zwänglerischer Machtmensch. Seine Freunde versucht er in die kleinbürgerliche Ordnung zu drängen, was bedeutet: unter seine Kontrolle zu bringen. Er geht soweit, dass er Knieriem einsperrt. Damit wird Leim selbst Teil jenes Biedermeier-Polizeistaates, in dem Individualität und Meinungsfreiheit erdrückt und bestraft wurden.

Bierzelt-Atmosphäre

Doch selbst in diesen Szenen bleibt das Lachen schlicht heiter und an der Oberfläche. Ausgelassen amüsiert man sich über die Familie Hobelmann, die in kleinkarierter Shorts- und Rockuniform die Generation Golf aufs Korn nimmt. Dazu spielt die Combo (Karsten Riedel, Tommy Hojsa und Bernhard Moshammer) reichlich (manchmal leicht verzerrte) Volksmusik, Lieder der Kastelruther Spatzen, und die Bierzeltatmosphäre lässt da schon manch müdes Herz erweichen. Da fehlt zum Mitschunkeln nicht mehr viel - die Burg scheint sich als Riesenheuriger erfolgreich zu etablieren.

Die entscheidende Frage kann aber nicht lauten, ob Nestroy lustig ist. Nestroy bietet ein Feuerwerk an Komik, doch liegt sein Witz in der Sprache und in der Wortwahl und trifft genau deshalb. Der Versuch, dieser feinen Mischung mit deftigen Schmähs und einer Ansammlung von Gags und Schenkelklopf-Humor zu begegnen, zerstört das Geheimnis und macht die Spitze der Nestroy’schen Feder stumpf. Matthias Hartmann reduziert diesen intelligenten Dramatiker auf einen niedrigen Schwänkeführer und Scherztreiber.

Der böse Geist Lumpazivagabundus

Burgtheater

14., 22., 29. September, 11., 18., 23., 31. Oktober

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