Eine Hetz, die aus dem Leim ging

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Nestroys "Lumpazivagabundus" in einer vergnüglichen, aber nicht ganz überzeugenden Festspielinszenierung in Reichenau.

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Nestroys "Lumpazivagabundus" in einer vergnüglichen, aber nicht ganz überzeugenden Festspielinszenierung in Reichenau.

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Es treibe sich ein böser Geist im Feenreich herum, klagen am Anfang die alten Zauberer. Er verführe die Söhne zum Spielen, Trinken, Verjuxen des Geldes. So kommt es in Johann Nestroys Zauberposse "Der böse Geist Lumpazivagabundus" oder "Das liederliche Kleeblatt" zum berühmten Wettstreit zwischen diesem bösen Geist und der Glücksfee Fortuna, doch nur einer der drei von ihr durch ein Glückslos mit Reichtum überschütteten Handwerksburschen weiß sein Glück zu schätzen und zu bewahren. Die beiden anderen haben mit Dolce vita, mit Liebschaften und Saufereien binnen kurzer Zeit ihr Vermögen durchgebracht. Fortuna muß klein beigeben und erkennen, daß höchstens wahre Liebe - hier personifiziert als Fee Amorosa - eine Chance gegen Lumpazivagabundus besitzt.

Wenn das nicht ein ständig gültiges Spiegelbild unserer Gesellschaft ist! Da neigt doch wohl auch die Mehrheit eher zu fröhlichem Nichtstun und Konsumieren statt zu Sparsamkeit und Ordnung. Pünktlich zur heurigen Reichenauer Premiere dieses Stückes wurde eine Jugendstudie veröffentlicht, die Handy, Internet, Zungenpiercing und Markenkleidung als besonders "in", und Politiker, Kirche, Sparsamkeit und Bescheidenheit als besonders "out" ausweist.

Das Publikum ist folglich auf der Seite des Lumpazivagabundus und seiner "Brüderln", während der anständige, biedere Tischler Leim, nachdem er seine Peppi geheiratet hat, rasch an Sympathien verliert, als er anfängt, seinen liederlichen Kumpanen Zwirn und Knieriem Moralpredigten zu halten.

Die klassische Moralität im Sinne eines Kampfes der guten und bösen Geister um die Seelen der Menschen, hier von Regisseur Helmut Wiesner durch mehrfache Begegnungen der konkurrierenden Geister während des Stückes angedeutet, wird bei Nestroy aber nur parodiert, die Entscheidung zwischen einem soliden oder einem lockeren Leben hat keine existentielle Bedeutung, sondern nur Unterhaltungswert. Nestroys unglaubwürdiger Schluß mit Zwirn und Knieriem als braven, geläuterten Ehemännern wurde richtigerweise als unpassend eliminiert, aber leider nicht adäquat ersetzt. So hängt dieser "Lumpazivagabundus" als große Hetz in der Luft, der Regie, die den - bei diesem Stück sicher nicht einfachen - Weg zu ein wenig Tiefgang nicht fand, ging die Inszenierung im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Leim. Mit der auf Knieriems Hang zur Astronomie Bezug nehmenden Bühne (Peter Loidolt) freundet man sich leichter an als mit manchen der Kostüme (Sigrid Puxbaum).

Also tragen, wie so oft bei Nestroy, die Schauspieler den Abend, vor allem Martin Zauner als Knieriem: keine vordergründige Trunkenbold-Komik, sondern subtil dargestellter fortschreitender Alkoholismus mit seinen tragischen und komischen Facetten. Boris Eder (Leim) und Herbert Föttinger (Zwirn) kommen mit den ihnen nicht auf den Leib geschriebenen Rollen passabel zurecht. Die echteste Nestroy-Figur zeichnet Edd Stavjanik (Hobelmann). Elisabeth Augustin, Mirjam Slamar, Sandra Cervik, Tanina Bees sowie Bernd Birkhahn, Urs Hefti, Hermann Scheidleder, Alexander Rossi und Franz Robert Ceeh schlagen sich teils beachtlich mit jeweils mindestens zwei Rollen herum.

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