6716441-1964_44_15.jpg
Digital In Arbeit

Heiter und Bitter

Werbung
Werbung
Werbung

„Das kann i net! Aber i sieh, das gfallt, i hab’ selber lachen müssen “, soll der melancholische Raimund nach der Vorstellung von Nestroys „Der böse Geist Lumpacivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“ gesagt haben. Nestroys volkstümlichste Posse gefällt denn auch heute noch und macht herzhaft lachen. Die einen nehmen das heitere, liederliche Kleeblatt der drei Handwerksburschen, die noch keine soziale Frage kennen, naiv hin. Andere genießen die Parodie und schauen durch die bieder- meierliche Maskerade auf die menschlichen Typen, den in Suff und Fatalismus vor dem bevorstehenden Weltuntergang merkwürdige Bosheiten raunzenden Schuster Knieriem, den aus jugendlicher Verliebtheit zu bravem Spießertum strebenden Tischler Leim und den renommierenden Gecken und Windhund Zwirn. In dieser Posse, die erst am Anfang der „großen“ Nestroy-Stücke steht, geht die Welt Raimunds zu Ende. Die Welt der Zauberer und Feen, der Magier und Geister ist machtlos geworden. Beschützt von Lumpacivagabundus lehnen sich die liederlichen Söhne gegen ihre überirdischen Eltern auf.

Regisseur Edwin Zbonek und Hans Weigel, die Bearbeiter und Einrichter, haben denn auch den Schluß des Stük- kes geändert. Nachdem der Feenkönig resigniert das Ende seines Reiches verkündet hat, wandern die beiden unverbesserlichen Hallodri statt den Pfad bürgerlicher Tugend die endlose Landstraße lustigen Elends. Im Theater ir der Josefstadt dominierte das lustige Kleeblatt. Helmut Qualtinger, etwas zu massiv als der dicke, astronomiebesessene Schuster, ließ hinter dem komischen das bösartige Ungetüm durchscheinen. Kurt Sowinetz gab den Schneider als spitzbärtigen, behenden. lüsternen Kerl. Alfred Böhm spielte den biederen, herzensfröhlichen Tischlerkumpan. Die eher auf Kammerton gestimmte Aufführung sprühte nicht eben vor Lebenslust; dagegen wirkte nach dem Auftritt der adeligen Parasiten (C. W. Fernbach, Carl Bosse) die Szene der Dämchen Palpitti (Lotte Lang, Elfriede Ott, Marianne Chapuis), die im Prager Salon des reichgewordenen Zwirn die Opernparodie singen und mimen, komödiantisch überdreht. Dies und gewisse Längen und Schwächen des Stückes konnten jedoch die gute Laune des Publikums nicht stören. Die hübschen, blitzschnelle Verwandlungen aus dem Geisterreich in die recht handfeste Wirklichkeit ermöglichenden Bühnenbilder stammen von Walter Hoesslin.

Das Volkstheater spielt das Schauspiel „Wassa Schelesnowa“ von Maxim Gorki fälschlich unter dem Titel „Die Mutter“ und verwechselte es damit mit der dramatisierten Fassung von Gorkis Roman „Die Mutter“. Aber die Hauptfigur in dem von Gorki revolutionär gedachten Sittenbild aus dem zaristischen Rußland hat nur wenig Mütterliches an sich. Sie verkörpert vielmehr den rücksichtslosen Kapitalismus und ist im Kreise ihrer verkommenen Familie ausschließlich auf Mehrung ihrer Hausmacht und ihres Besitzes erpicht, wofür sie buchstäblich über Leichen geht. Wahrscheinlich sollte das 1910 entstandene Stück zeigen, daß die Revolution in Rußland kommen mußte, weil die bürgerliche Gesellschaft reif zum Untergang war. Das hätte eines jener üblen Thesenstücke abgeben können, wie sie auch später zu Dutzenden entstanden sind. Aber Maxim Gorki war nicht nur ein Humanist, der zeitlebens eine merkwürdige Haßverehrung für Dostojewski hegte, sondern auch ein großer Menschenschilderer. Wie so viele unter den Naturalisten von damals, nahm es Gorki nicht nur mit dem Sittlichen und der Anklage, sondern auch mit dem Menschen als solchen genau. (Darum wirkt die energiegeladene, böse, alles korrumpierende Reedersfrau Wassa trotz ihrer

Teufeleien zugleich gluckhennenhaft mütterlich und großmütterlich.) Es ist eine die Gerechtigkeit wahrende Kunst der Menschengestaltung.

Gewiß. Gorki war als Epiker bedeutender denn als Dramatiker. Von seinen drei Akten ist denn auch nur der erste kraftvoll geführt; nachher wird die Handlung dünn und kennt keine Entwicklung. Die Schelesnowa bekommt im dritten Akt einen Herzanfall und stirbt einfach weg, worauf sich die gesamte verrottete Sippe wie die Aasgeier auf das Erbe stürzt. Der Abend gehörte auf der Bühne Dorothea Neff, die als Schelesnowa alle anderen Leistungen überragte. Doch hatte Hans Rüdgers das Stück so inszeniert, daß fast jede Gestalt präzis charakterisiert und eindrucksvoll agierte. Von den zahlreichen Mitwirkenden seien noch genannt: die beiden Töchter, Claudia Clemens, infantil hysterisch, Paoloa J oow, seelisch verkommen und weltüberdriissig, Harry Fuß als liederlicher, versoffener Bruder Prochor, Marianne Gerzner als Faktotum Anna, beflissen und hinterlistig wie ein weiblicher Tartuffe, Julia Gschnitzer als unglückseliges Stubenmädchen Lisa, während Traute Wassler in der schwierigen Rolle der intellektuellen jungen Revolutionärin, die ganz allein als Gegenspielerin der kapitalistischen Wassa auzutre- ten hat, schon vom Autor wie ein Stiefkind behandelt wurde. Der Beifall für die Schauspieler war groß und anhaltend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung