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„Projekt N.“ am Ensembletheater in Wien: Susanne Lietzow liefert einen zeitgemäßen Blick auf Nestroy, Andreas Erstling eine politische Auseinandersetzung mit seinem Werk.

„Ich bin halt nicht postdramatisch!“ Oder glücklicherweise gerade eben doch? In Susanne Lietzows Inszenierung „Das Schaukeln wirkt erschlaffend auf die Organe des Gehirns. Austro-Pop“ ist Johann Nestroys Ottilie (Martina Spitzer) eine Figur, die alle seine Fräulein repräsentiert: Sie ist kokett, wackelt mit dem Popo und nimmt das Melancholische des Alters bereits vorweg. Ihr Pendant ist Pepi Amsel (Sybil Urban), einst Schauspielerin in der Provinz, deren Lorbeeren jetzt aber nur mehr für die Suppentöpfe reichen.

Pepi kündigt zu Beginn an, welchen Nestroy das gesamte „Projekt N.“ nicht zeigen will: jenen, der gerne als Possenschreiber verstanden wird, wie ihn etwa Elfriede Ott in ihren Nestroy-Spielen vereinfacht. So stellt auch Pepi zu Beginn enttäuscht fest, dass „die Ott no ned do is“, und kann es später doppeldeutig erklären: „De Ott hat sich verweigelt.“

Dreigeteiltes Bühnenprojekt

Mit ein wenig zu großen Ohren und Nasen sind Lietzows Figuren tragikomische, Fleisch gewordene Sätze aus Nestroys Werk. Willibald, der böse Bube, ist zugleich ein Zerrissener, bis hin zu seiner Liebe zu Ottilie. Helmut Bohatsch raubt das große Stoffherz, das ihr in den Rock gerutscht ist, und ersingt sich Austropop persiflierend eine Zuversicht, die er als Todesengel kostümiert (Marie Luise Lichtenthal) für alle Nestroys braucht. Paul Skrepek ist ein Musik machender Aff’, die Rolle des Bräutigams (nach dem gleichnamigen Stück) bleibt Bohatsch vorbehalten. Lietzows hochinteressante Interpretation liefert professionelles, sorgfältig gearbeitetes Ensemblespiel und einen tatsächlich neuen, zeitgemäßen Blick auf Nestroys zeitlose satirische Kraft. Lietzows Inszenierung ist ein wirkliches Highlight in der jüngeren theatralen Nestroy-Rezeption, aber auch im dreigeteilten „Projekt N.“

Um fair zu bleiben: Auch Regisseur Andreas Erstling, der den Beginn des Abends übernommen hat, bringt in seinem Konglomerat aus Nestroy’schen Szenen eine spannende und hochpolitische Auseinandersetzung mit dem Werk. Oben auf der Stiege des Fatty-George-Jazzsaloons thront der jugendliche Florian Pertiet Zigarre rauchend; er verfügt über Macht, also Geld, meint man. Unten, „zu ebener Erd“, sitzen drei das Glück Suchende (Alexander Braunshör, Gottfried Neuner, Lilly Prohaska), welches ihnen „Herr Bossi“ aus dem Fernsehen mustergültig beschreibt. Ihre Suche zieht sich durch sämtliche Nestroy-Stücke. Aber das Glück lässt sich nicht kaufen, was an den drei Lottogewinnern Zwirn, Knieriem und Hobel oder am heruntergekommenen Hausknecht zu sehen ist. Das Geld, das die Reichen auf Kosten der Armen anhäufen, ist Erstlings Kernthema. In den fragwürdigen Happy Ends dreht Fortuna den Spieß um, sodass die reichen Spekulanten am Ende auf die Unterstützung der zu Wohlstand gekommenen Schlucker angewiesen sind.

Über den dritten Teil, den Daniel Schrader als Video-Performance eingerichtet hat, lässt sich nur sagen: ein Missverständnis. Also, in der Pause gehen oder frei nach Nestroy: Wenn sich die Lage bessert, kann alles noch gut werden.

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