6689671-1962_32_13.jpg
Digital In Arbeit

Dreimal Burgtheater

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wiener Burgtheater kam heuer nicht mit einer Welturaufführung nach Bregenz, sondern mit drei erfolgssicheren Werken, deren Reihung — Wiener Humor, altenglischer Witz, tragischer Ernst — außerordentlich glücklich wirkte und zu einer Steigerung der Spannung des Bregen-zer Festspielpublikums führte.

Johann N e s t r o y kämpft im „T a 1 i s-m a n“ gegen das Vorurteil. Zwei Menschen müssen leiden, weil sie rote Haare haben. Waren die Tabus zu Nestroys Zeiten noch so harmlos? Konnte er sich nicht eine Welt vorstellen, wo es völlig genügte, Jude oder am falschen Ort „Schwarzer“ oder „Roter“ zu sein? Und wie rasch hilft doch der „Talisman“ in Gestalt der schwarzen Perücke? Zeitgemäß gesprochen: letzt hat Titus Feuerfuchs plötzlich den arischen Stammbaum oder die richtige Parteilegitimation in der Tasche. Für Titus Feuerfuchs genügt es, daß sich nun gleich drei Witwen, jede in ihrer Art reizvoll, um ihn reißen. Was aber, wenn die schwarze Perücke plötzlich fällt und die roten Haare zum Vorschein kommen? Es steht frei, den Vergleich in der Richtung der Rasse oder der Parteimitgliedschaft fortzusetzen ... Die Darsteller brauchen vor allem einen guten Schuß Wiener Humors. So Heinrich Schweiger als Titus Feuerfuchs, Franz Bchcim als Gärtnergehilfe und Hermann Thimig als Bier-versilberer. Glänzend waren die weiblichen Hauptrollen besetzt: Alma Seidler als vornehme Witwe, Elisabeth Stembetger als Kammerfrau und Gusti Wolf als lebensnahe Gärtnerin. Alle überragt hat Inge Konradi als rotkopfige Gänsehüterin, die schließlich ihr Glück macht.

Wie wenig braucht doch William Shakespeare, um seinen angelsächsischen Witz sprühen zu lassen. Es genügt ein Mädel, das sich durch Verkleidung in einen bildhübschen Burschen verwandelt, und ein angeteppter Haushofmeister, der den vieldeutigen Brief des Kammerkätzchens geradezu herausfordert. Nun rollt ein Feuerwerk von Sprüchen ab, von Or-sinos Liebesschmerzen bis zu Junker Tobias' — ansonsten bei Shakespeare Sir John Falstaff genannt — Derbheiten. Hier kommt alles auf die Darsteller an, den schmachtenden Orsini (Jürgen Wilke), das lunkerpaar Fred Liewehr und Joachim Teege, überragt vom Malvolio (Boy Go-bert). Heinrich Schweiger finden wir wieder in der Gestalt des Narren, Annemarie Düringer gab eine mädchenhaft zarte und zugleich bübisch kecke Viola, während Anaid Iplicjian zu einer stolzen Olivia wurde. Ein Kabinettstück für sich war Blanche Aubry als KammermiJJien, bei der die Kette des Witzes scheinbar nicht abreißen wollte.

Und *nun Peripethie und Ausklang der Brcgenzer Burgtheater-Trilojie: „Egino n t“ von Goethe mit der Musik von Beethoven. Hier ist nicht der Ort, die alte Frage zu beantworten, ob Goethe am Schluß seines Werkes einem Operntext näherkam als dem Drama der Sprechbühne. Auch steht nicht zur Debatte, wieviel oder wiewenig der Goethesche Egmont mit seinem historischen Vorbild zu tun hat. Wir sahen nur die Gewalt, in der das Burgtheater den Helden der Freiheit interpretiert. Fred Liewehr in der Titelrolle, Stefan Skodler als sein Gegenspieler Alba und Heinz Woester als der so ganz anders geartete Oranien, dazu Liselotte Schreiner als Regentin Margarethe, Martha Wallner als Klärchen und Alma Seidler als deren Mutter waren jenes Burgtheater, durch das Österreich die künstlerische Grenze sprengt und — um bei naheliegenden Vergleichen zu bleiben — in einer europäischen, wenn nicht weltbürgerlichen Integration aufgeht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung