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Shakespeare in der Burg

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Shakespeares „König Heinrich IV.“ Im Burgtheater; die beiden Teile„ gerafft, an einem Abend. Woran liegt es, daß wir in Wien so selten Shakespeares Königsdramen sehen? Vielleicht an der richtigen Einsicht: an diesem großen Theater dürfen sich nur große Könner versuchen; und die reichen nicht heran, um das Zauberwerk zu erwecken, wenn sie nicht mehr sind als dies. — Nun, in der Burg ist ein großer Abend gelungen. Oskar Werner als Prinz Heinz (Heinrich V.), Albin Skoda als König Heinrich IV. und Hermann Schömberg als Falstaff tragen, drei mächtige Säulen, das Gewölbe dieses Dramas. Skoda verkörpert als siecher König die Blutschuld und Größe von dreihundert Jahren englischer Königsgeschichte: sie zu entsühnen, Englands unbewäitigte Vergangenheit in der Helle und Gefährdung des elisabethanischen Tages zu überwinden, ist ja der oft übersehene politische Hintersinn der Königsdramen Shakespeares. Oskar Werner, hier heimkehrend in die Burg, besitzt die Strahlung, die von diesem Prinz Heinz ausgeht: ein grüner Blitz des Frühlings, wetterleuchtend unter morschen Menschentrümmern, Trunkenbolden, Dieben und armen Teufeln, die Ritter Falstaff umgeben. Hermann Schömberg leibt sich die Rolle Falstaffs ein und wächst in ihr zur mächtigen Gestalt: ein Vulkan, der aus der Tiefe der Verkommenheit aufbricht, berstend von jenem Lachen, das Alteuropa so herrlich kannte, und das es seit der Reformation und Revolution verlernte. Um diesen Berg Schömberg kreisen, laufen, saufen und buhlen, wie um einen Bocksberg, die Elenden, das englische Niedervolk, das Shakespeare schonungslos, ohne jede Sentimentalität auf die Bühne wie über die Klinge soringen läßt, und das er doch liebt...

Die- Verflechtung der hochpolitischen Tragödie, rund um die Rebellion des Percy Heißsporn (prächtig Fred Liewehr), wird durch die starken Kürzungen nicht eben verständlich. Wie denn überhaupt die hohe Politik zurücktritt in der Linienführung der Regie durch Leopold L i n d t b e r g : bis nahe an den Schluß, der ein einzigartiger Höhepunkt der Aufführung ist. Von den vielen Mitspielern sollen zumindest genannt werden: Judith Holzmeister, Erika Pluhar und Inge Konradi, Alexander Trojan und Günther Haenel. — Ein schöner, ein großer Abend der Burg.

Zwölf Bilder aus der jüngsten Vergangenheit: so nennt Johannes Mario Simmel sein Zeitstück „D er Schulfreund“, das in der Regie Hans Jarays im Theater in der Josefstadt herausgebracht worden ist. Simmel gehört in den Rahmet &i- Ssterreichlscten TV die Ntreh-kriegszeit, deren Geschichte nicht sobald geschrieben werden dürfte. Der hochbegabte junge Autor der neunzehnhundertfünfziger Jahre geht nach Deutschland, wird Drehbuchautor und Starautor von Illustrierten. Dieses sein erstes Theaterstück bezeugt dementsprechend einige Nachteile, aber auch einige technische Errungenschaften dieses Genres. Dennoch gelingt es Simmel — und das ist auch ein politisches Verdienst —, aus dem Gespensterreigen unserer jüngsten Vergangenheit einige Szenen herauszuschneiden, die nicht so bald vergessen werden: von jenen Zu-sehern im Publikum, die nicht bereits im Sitzen das eben Gesehene verdrängen. Gewiß: man kann der Ansicht sein, daß das Schreckliche und Furchtbare sich nicht dafür eigne, dergestalt aufgelöst zu werden. Dem ist aber zu erwidern: wenn wir auf einen österreichischen Shakespeare warten wollen, der unsere Grausamkeit, unsere Barbarei an die Wand des Welttheaters malen wird, können wir lange warten. Es ist besser, durch Simmeis „Reigen“, einen Reigen kleiner Leute, die als Narren, Mitmacher, Schuldige und weniger Schuldige durch das Dritte Reich taumelten, erinnert zu werden, als sich weiterhin einem vornehm scheinenden, in Wirklichkeit feigen Hinwegsehen zu überlassen. Einige Gestalten aus Simmeis Wien von 1944 wirken nicht nur leibhaftig echt für Hitlers Wien von 1938 bis 1945, sondern begegnen' uns tagtäglich in unserem Wien von i960. Gespielt wird zudem ganz vortrefflich. Einst Waldbrunn als verlegener Kleinbürger und Träumer, als Geldbriefträger Fuchs, Karl Fochler und Guido Wieland als NS-Ärzte, Heribert Aichinger beklemmend nah als Blockleiter, Otto Schenk als Krimineller, Günther Tabor und Christian Moeller als „rechte“ und „linke“ Leutnants. Nein, man soll nicht einfach „nein“ sagen zu diesem Stück; oft nur deshalb, weil es uns an die Haut greift, und jene Illusionen zerzaust, die man sich hierzulande gern von Wien und vom Wiener Herzen macht. Simmel könnte ein neuer Ödön von Horvath werden; wenn er sich die Zeit dazu nehmen würde... Friedrich Heer

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