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Wider die Burg-Historie

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Die Erstaufführung des historischen Schauspiels „E u g e n i e“ von Hans Müller- Einigen im Burgtheater verpflichtet jeden aufmerksamen Beobachter, den Ruf des Einspruchs, der Mahnung und Warnung zu erheben.

Nein, so geht es nicht weiter, so sollte, dürft es nidtt weitergehen — wenn wir unsere erste Staatsbühne nicht mit dem Verruf der Lächerlichkeit eines falschen Popanzwesens belastet sehen wollen.

Nach der letzten Premiere, dem abgeschmackt unseligen „Münchhauscn“ Hasen- clevers, nun diese hochaufgedonnerte Nichtigkeit, die eine Sünde wider den besten Geist der Burg darstellt, eine sdiwere Sünde, der allerdings durch die Stücke der letzten Spielzeit der Boden vorbereitet wurde. Man bedenke also: dem Autor stand ein zeitnaher, hochdramatischer Vorwurf zur Verfügung. Das Leben und Schicksal eines von Macht und Geltungsrausch, von persönlicher Eitelkeit, von Glanz und Herrschsucht besessenen Menschen, jenes Napoleons III, der im Erlebnisraum unserer Epoche wirkte und viel dazu beigetragen hat zur unseligen Entwicklung der politischen Geschichte Europas im vergangenen Jahrhundert. Alle Gegebenheiten der Wirklichkeit kommen hier zusammen, um dem Bühnenmann seine Arbeit zu erleichtern: der zweideutige Held der Macht ist — eine Frau. Es fallen also von vornherein alle jene Versuchungen zu phrasenhafter Pathetik, Scheinüberhöhung und Glorifizierung, aber auch zu ebenso billiger Verdammung fort, die heut das leben der großen Spieler der Macht — auf der Bühne — bedrohen. Das Leben einer Frau eignet sich als dramatischer Vorwurf weder für Schimpfkanonaden noch für rhetorische Ergüsse, es fordert psychologische Vertiefung. — Kein billiger Firmenschild des Pro und Kontra, des Politischen und Tendenziösen kann hier das wahre Kampffeld verstellen: das Innensein eines Menschen, in dessen Brust jene Entscheidungen fallen, welche die Sdilachtfelder der Weltgeschidite nur nachvollziehen! Und wahrhaftig: das Leben der Eugenie von Montijo, dieser kleinen spanischen Gräfin, die sich zuerst zur Gattin Napoleons III., dann zur Regentin und Herrscherin Frankreichs, schließlich zu einer politisdien Weltmacht emporarbeitet, bietet illustre und makabre Exempel genug! Das Eingreifen dieser herrschsüditigen und ränkekundigen Frau in die Innen- und Außenpolitik des zweiten Kaiserreichs, ihre Mitschuld am Ausbruch des deutsch-französischen Krieges von 18 0, geschärft durch den Griffel eines Dramatikers, gestatten dutzendfach Möglichkeiten, in Furcht und Ehrfurcht vor dem Erlebnis unserer eigenen Zeit, die Tragödie eines Menschen, der den Versuchungen seiner herrscher- lichen Stellung erliegt, zu gestalten.

Jawohl — ein Thema für die „Studie eines Charakters und einer Zeit“, wie Hans Müller sein Stück zu nennen wagt. Nichts von alldem in seinem Elaborat! Der Autor „benützt“ die große Geschichte nur, um in zehn buntscheckigen Bildern „kleine Geschichten" zu erzählen. Kaffeehauswitze, Anekdoten, wie sie einst die Wiener Klatschpresse zierten, fadenscheinige Bemerkungen, die sich vergeblich als Bonmots zu tarnen suchen. Dazu scheut er nicht vor unerlaubten Tricks, vor ganz unstatthaften Mätzchen zurück: um des lieben Publikumerfolges willen muß sich zum Beispiel die Fürstin Pauline Metternich, die durch ihren Geist, ihre Eleganz und nicht zuletzt durch ihre hohe Kultur und ihre gesellschaftlichen Fähigkeiten Paris wahrhaft tonangebend beherrschte, am Hof der Eugenie als kleine resche, fesche Naschmarktwienerin (im Dialekt!) gerieren.

Nichts von Tiefe, nichts von Tiefenwirkung. Nichts vom Schicksal der Völker, nichts vom echten im Schmerz erfahrenen Schicksal der Persönlichkeit. Die Ära der Saßmannschen Pseudohistorien scheint, in noch depravierterer Form, auf der Bühne der Burg wiedergekehrt: Auflösung einer großen Wirklichkeitslinie in teils sentimen- talische, teils neckisch-preziöse Pünktchen. Das Schlimmste: dem unerfahrenen, harmlos-naiven Beschauer — nicht jeder kommt gewappnet mit der Vorsicht des oftmals Getäuschten — wird hier das Gemälde einer Scheinhumanität vorgetäuscht, einer Menschlichkeit, eines scheinbar voll- reifen Menschentums, das in Wirklichkeit nur ein Flick- und Blendwerk billig bunter Lappen ist.

Und hier verbindet sich auf verhängnisvollste Weise mit der Sünde des Autors die Sünde der Burg. Es muß — und es sei dies mit allem Nachdruck gesagt — als im tiefsten Sinne unschamhaft bezeichnet werden, wie hier ein in keiner Weise zu rechtfertigender Aufwand von 45 Personen, von Staatskulissen, welche für die Staatsaktion, zumindest das Prunkbegräbnis eines Barock- kaisers. ausgereicht hätten, von besten Schauspielern eingesetzt wird für die Anreicherung und Auffüllung einer Sache, die vor dem Gericht des Geistes und dem unserer Zeit nicht verantwortet werden kann. Die hohe Kunst Aslans und Maria Beckers, von vielen anderen zu schweigen, muß dazu dienen, ein schales Rollenwerk aufzufüllen mit allem Glanz warmen, reifen Lebens!

Mit Bitterkeit und Schmerz vermerken wir: die Völker Europas haben wahrhaftig in diesen' letzten Jahrzehnten und gerade seit den Tagen Napoleons III. Geschichte erlitten — Geschichte, die von Männern und Frauen „gemacht“, das heißt oft in entsetzlichem Leichtsinn vertan wurde. Fehlt es an Stoffen, fehlt es an Einzelschicksalen? An jeder Straßenecke, in jedem Flüchtlingslager — und, wenn man will, sogar auf jeder internationalen Konferenz kann von wißbegierigen Autoren schockweise Gesdiichte, die wahre Geschichte beinhaltet, eingesammelt werden! Unsere Burg aber, die sich seit 1945 mit der Vor bereitung einiger großer Werke der Weltliteratur abquält, flieht in billige Schauhistorien. Drei Dutzend Zeremonienmeister und Romanschriftsteller, Obersthofmeister und Minister, Prinzen und Prinzessinnen, Lakaien und Stubenmädchen — dies das Aufgebot der „Eugenie“ — genügen nicht, um c i(n e n historischen Charakter zu erstellen, einen Menschen, der in seinem Lebensschicksal eine Zeit, eine Epoche repräsentiert, weil er in Tat und Untat ihre Höhen und Tiefen auslotet. — Eine Schwäche der Burg — Vorliebe für historisierende, völlig unverbindliche Bilderbogen, die man je nach Bedarf von hinten nach vorne und von vorne nach rückwärts abspielen kann, feiert hier nochmals einen verhängnisvollen Triumph. Die Gegenwart aber fordert: Gesdiichte statt Ge- schichtchen, Leidenschaft an Stelle von Sentimentalitäten, Charaktere statt popanzhafter Kostümrollen, Geist statt Geistrsiche- leien, Ideen statt Phraseologien — in Drama an Stelle eines Zuschneiderstücks, einen Dichter für einen Anekdotenschreiber, ein Burgtheater an Stelle der Ronacher-Burg, die, auf einer Schallplatte, mit Recht heute abwechselnd Theo Lingen und Müllers „Eugenie“ abspielt.

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