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Nestroy und die Zensur

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Das Stück begann mit einem Lied:

„Was z'viel ist, ist z'viel

Lang gnug warn wier still...“

Noch ruhte der Bleistift des Theaterzensors. Aber wenige Zeilen tiefer wurde er zum ersten Mal energisch angesetzt. Da läßt Nestroy einen Richter sagen: „Als Vorsteher der Gerechtigkeit, muß mir zuerst Gerechtigkeit werden, sonst soll der Teufel die Gerechtigkeit hohlen“. Er durfte sagen: „Mir muß zuerst Gerechtigkeit werden“ — mehr nicht.

Die historisch-kritische Nestroy-Gesamtausgabe ist ein Jahrhundertwerk, und es wird noch viele Jahre an ihr gearbeitet werden. Zwei neue Bände liegen vor, die Bände 6 und 21. Sie sind eine besonders aufregende Lektüre, denn in diesen beiden Bänden konnten, so Herausgeber Jürgen Hein (Band 21), „zum ersten Mal die erhaltenen Originalhandschriften Nestroys herangezogen werden, die interessante Einblik-ke in Nestroys Arbeitsweise, seine Vorlagenaneignung und Schreibweise, aber auch die Eingriffe durch Selbstzensur gewähren“.

In Band 21 ist, neben dem Einakter „Hinüber — Herüber“, „Der Zerrissene“ abgedruckt, Nestroys, großer, nur durch wenige Kriti-ker-Einwände in Frage gestellter Erfolg von 1844. Die im Hinblick auf Eingriffe der Zensur bereits von Nestroy selbst im Manuskript mit roter Tinte angebrachten Striche beweisen, daß Nestroys stummer Dialog mit dem Zensor in allen Stadien des Schaffensprozesses stattfand.

Ein Beispiel dafür: „Die reichen Leut'“, läßt Nestroy den Schlosser Gluthammer sagen, „haben halt doch ein göttliches Leben, einen Theil vertrincken sden andern Theil verfressen sa paar Theil verschlafen s', den größten Theil verunterhalten s“ Er weiß, daß das nicht durchgehen kann — und sieht als Ersatz den viel schwächeren Satz vor: „Sie können trincken, schnabulieren, schlafen, sich unterhalten nach Gusto“...

Einen theatergeschichtlichen Glücksfall bedeutete schon vor 60 Jahren (!) die Auffindung der Ur-fassung des 1834 mit Bomben und Granaten durchgefallenen Stük-kes „Der Zauberer Sulphurelec-trimagneticophosphoratus und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis...“, der Titel ist noch viel länger. Nestroy kochte so vor Wut, daß er, als das Publikum nach einem Couplet doch geruhte, ihn „hervorzurufen“, sich eine Viertelstunde weigerte, seine Garderobe zu verlassen.

Herausgeber Friedrich Walla veröffentlicht in Band 6 nicht nur zum ersten Mal (!) die Urschrift, er kann sie auch mit 120 Eingriffen des Zensors konfrontieren, die in ein späteres Theatermanuskript eingetragen waren. Sie betreffen nur die ersten beiden und einen Teil des dritten Aktes.

Die Tendenz der Zensur lief darauf hinaus, vor allem alles auszumerzen, worin auch nur im entferntesten ein Verstoß gegen die dem Volk verordneten sittlichen Normen gewittert werden konnte. Der Leib war so tabu, daß nicht einmal ein Leibsklave vorkommen durfte. Bedenkt man, wie sehr Direktheit zum Wesen jedes echten Volkstheaters gehört, wie typisch gerade für Nestroy das Spiel mit der Mehrdeutigkeit der Wörter ist, kann man sich vorstellen, wieviel nach solchen Eingriffen vom Witz und Charme einer schnell hingeschriebenen Gelegenheitsarbeit übrigblieb.

Dem türkischen Sklavenhändler Achmet hält dessen Frau Ze-rulla vor, daß er angeblich in die Moschee geht, in Wirklichkeit aber auf einen Branntwein. Religiöse Einrichtungen sind geschützt, die Moschee wird gestrichen, hin ist der Witz. Und weil man sich im Vielvölkerstaat auch über keine Völker lustig machen darf, werden die Wörter „Türke“ und „türkisch“ im gesamten Text entfernt. Das Publikum erfährt nicht einmal, daß der Zauberer den Tunichtgut Robert zwecks Besserung als Sklaven in die Türkei gezaubert hat.

In einer köstlichen Sklaven-marktszene wird der Wiener Naschmarkt parodiert. Aber der Hinweis einer orientalischen Frau Sopherl auf die schlechten Geschäfte darf nicht sein.

Eine Reise im Ballon nützt Nestroy für eine seiner mehrdeutigen Pointen: „Weib, das geht hoch! Jetzt bin ich mit dir im Himmel, das ist mir nicht geschehn, so lang wier verheurath sind.“ Natürlich gestrichen.

Der herrliche Komiker und Nestroy-Partner Wenzel Scholz sollte sagen: „Er hat über die Hälfte vom Löwen erwürgt, ich hab nur's hintere Viertel umbracht“. Ein Zensor, der so feinfühlig war, daß er „Roß“ durch „Pferd“ ersetzte, sah natürlich auch im „hinteren Viertel“ etwas Undelikates - Nestroy hatte es schon geahnt.

„Was der Mensch wert ist“: Ersetzt durch „Was einer wert ist“. „Die Alte hat den Teufel im Leib“: Ersetzt durch „Schreckliche Person von einer Fee“. Natürlich war auch die Metapher „Tintenrüh-rer“ für die großen Hände einer schwarzen Sklavin nicht erlaubt.

Band 6 enthält auch „Robert der Teuxel“, Nestroys Parodie auf zeitgenössische Verarbeitungen des historischen Robert-der-Teu-fel-Stoffes, einmal durch den damals hochberühmten Dramatiker Raupach, einmal durch Meyerbeer. Daß bei Nestroy der Teufel Teuxel hieß, dürfte ebenfalls der verniedlichenden Sprachbehandlung der Zensur zu danken sein.

Hingegen übersah die offenbar mitunter doch unaufmerksame Behörde Nestroys anzügliche Variationen auf die Höflichkeitsfloskel „Ich bin so frei“.

JOHANN NESTROY. Historisch-kritische Ausgabe von Jürgen Hein und Johann Hüttner. Stücke 6: „Der Zauberer Sulphurelectri-magneticophosphoratus ...“ und „Robert der Teuxel“. Stücke 2U „Hinüber - Herüber“ und „Der Zerrissene“. Verlag Jugend und Volk. Wien 1985. 432 bzw. 250 Seiten, Ln., je öS 580.-.

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