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Zielpunkt: Theater

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MÜNCHNER KLEINE FREIHEIT. Eine Auswahl aus dem Programm von zehn Jahren. Von Trude K o 1 m a n. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München. 134 Seiten. Preis 5.80 DM. r DES WÜSTEN LEBENS FLÜCHTGER REIZ. Von Johann Nestroy. Aus seinen Stücken ausgewählt von Heinz Politzer. Imlnsel-Vetlag. 1961. 72 Seiten. Preis 3 DM. - SO EIN THEATER.' Von Manfred Vogel. Mit Zeichnungen von Emmy Grimme-Sagai. Wilhelm-Frick-Verlag, Wien. 64 Seiten. Preis 48 S.

Trude Kolman hat die Münchner Kleinkunstbühne „Kleine Freiheit“ begründet und jahrelang geleitet. Sie ist heute Direktorin eines Münchner Theaters. Es hat also im nachhinein seinen guten Sinn, wenn man ihre erste Gründung nicht als Kabarett bezeichnet, wie man es aus formalen Gründen tun könnte. Tatsächlich sind heute die Grenze zwischen Theater und Kabarett ja ungemein fließend geworden, und zwar von beiden Seiten her. Kabarett ist jetzt unbedingt zur „Szene“ geworden, und im Theater der Gegenwart ist die kabarettistische Auflockerung deutlich wahrzunehmen. „Der Herr Karl“ und sein Qualtinger sind das einleuchtende Exempel. Was nun Trude Kolman vorlegt, das ist freilich mehr Kabarett im früheren Sinne, denn begreiflicherweise erscheinen ihr die „Einzelnummern“, das „Solo“, und zwar in gebundener Sprache, als das Charakteristische. Am Anfang stehen also

Chansons von Erich Kästner, und da wird der Bogen zur Dichtung der Gegenwart geschlagen. Das meiste aber verrät den aktuellen Anlaß und daß dieser wichtiger war als die dichterische Bewältigung. Erich Kästner in der Kleinkunst — das ist ja auch ein Glücksfall! Und Glücksfälle kann man auch nicht als die Norm verlangen. Darum sind die anderen Texte zum allergrößten Teil aus dem Walten eines Tages geboren und mit ihm mehr oder minder vergangen. Manches ist einfach veraltet, manches ist genauso aktuell geblieben, nur sagt man Jahre darnach: „Na, und...?“, und manches freilich haksich ganz einfach als „schön“ erhalten können. Schade nur, daß auf jeden Kommentar verzichtet wurde, man würde gern erfahren, in welchem Programm und in welchem Jahr die einzelnen Nummern zum erstenmal gebracht worden sind. Denn dann hätte man klarer das Verständnis dafür, daß dieses Büchlein in seiner Weise Dokumente zu unserer Zeit gesammelt hat.

Theaterlieder, Couplets (Chansons würde man heute sagen) von Nestroy füllen das

Insel-Bändchen aus, das Heinz Politzer zusammengestellt hat. Sehr genau und sehr gewissenhaft hat er es getan. Zu jedem Theaterlied wird angegeben, aus welchem Stück es stammt, wann dieses Stück zum ersten Male gespielt wurde und wo man es in der sechsbändigen Rommel-Ausgabe finden kann. Diese Couplets stehen dem Phänomen Kabarett sehr nahe, denn in ihnen ist so viel aktuelle Kritik des Tages, so viel Satire unmittelbarer Art vorhanden, in ihnen geht Nestroy so knapp an die Rampe heran und singt und spricht so direkt ins Publikum hinein, daß die Analogie zum Kabarett mit Händen zu greifen ist. Es ist nur viel mehr als Kabarett, denn diese Lieder sind nahtlos in das Ganze des jeweiligen Stückes eingefügt — die Aggression von der Bühne herab erfolgt zwat mit allet Schärfe und Deutlichkeit, aber auf einer höheren Ebene —, die Beziehung zu sich selbst vollzieht der Zuschauer durch seine eigene Aktivität. Der Bogen zwischen Bühne und Publikum ist viel intensiver, beinahe könnte man sagen, raffinierter als im Kabarett selbst. Und dazu kommt, daß Nestroy (das wird gesagt, weil es in diesem Zusammenhang gesagt werden muß, obwohl es schon längst gesagt worden ist) ein Magier des Wortes, ein Dichter sui generis ist. Und das bewirkt auch, daß diese Theaterlieder (sosehr sie der Teil eines größeren Ganzen sind) eine beinahe unheimliche Selbständigkeit, ein erschreckendes Eigenleben besitzen. Darum ist die Lektüre dieses kleinen Insel-Bandes so einprägsam und fesselnd.

Den Schlüssel zu dem Bändchen von Manfred Vogel findet man in dem ersten Gedicht (es handelt sich um eine Gedichtsammlung), das den Titel „Das Klingelzeichen“ trägt: „Was mich betrifft — ich liebe das Theater! / Drum möge man dieses Buch verzeihn / Mit seinem Spott. Es will Bekenntnis sein.“ Man hatte Manfred Vogel bisher nur als Kritiker gekannt, und so meint man beim ersten Aufschlagen des Buches, es handle sich hier um gebundene Sprache und Reimfindung „aus gegebenem Anlaß“ — aber diese Meinung muß man bald aufgeben. Es sind Gedichte. Nicht Gedichte der „Sternenordnung“, aber doch Gedichte und keineswegs nur Versifizierun-gen. Der Doppelton „Spott = Bekenntnis“ wird durchgehalten, wobei manchmal der Doppelton zu „Bekenntnis = Spott“ wird. Nur in einem einzigen Fall, in dem Gedicht, das den Titel „Der Kritiker“ trägt, wird der Doppelton zum einfachen. Aber auch hier keineswegs zum „Mono-Ton“.

Die ganze Welt des Theaters ist hier eingefangen, voll und ganz. Das letzte Gedicht, „Der Entbehrliche“ (gemeint ist der Dramatiker), zeigt allerdings sowohl in seinen Versen wie in seiner Stellung innerhalb des Buches eine „alte Masche“. Aber darin liegt ein leidenschaftliches Diskussionsthema unserer Gegenwart, und das kann hier nicht mit ein paar Zeilen abgetan werden. Die Zeichnungen von Emmy Grimme-Sagai sind an sich ausgezeichnet und haben die Stoßkraft zusätzlicher Pointen.

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