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Vielerlei Shows

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Cole Porters „Kiss me Kate“ ist offenbar in einer zweiten Angriffswelle auf europäische Bühnen begriffen. Nachdem die Sensation, die vor eineinhalb Jahrzehnten diesen ersten Vertreter der Gattung Musical umgeben hatte, nun längst verflogen ist, kann man der Shakespeare-Revue jetzt getrost als einer lieben Eekannten begegnen. Daß es in Graz kein enttäuschendes Wiedersehen wurde, dankt man einem Aufführungsteam, das die amerikanische „Widerspenstige“ in einem wahrhaft großstädtischen Format und in einem perfekten Show-Stil über die Bühne des Grazer Opernhauses jagte, so daß dem Publikum gar keine Zeit blieb, über Wert oder Unwert der Reprise nachzudenken.

Staatsintendant Kurt Pscherer vom Münchner Gärtnerplatz-Theater führte Regie, Ronny Reiter hatte die Kostüme entworfen, Kurt Steigerwald war für die schwungvolle, delikate Choreographie verantwortlich, Wolfram Skalickis gescheit und geschmackvoll erfundene Dekorationen ironisierten den Stil-Mischmasch des Werkes, und Walter Goldschmidt, der Unvergleichliche, heizte die Grazer Philharmoniker zu selten erlebten Temperamentsausbrüchen an. Alexander Grill zähmte mit Vitalität die kratzbürstige Üppigkeit Else Kalistas, mit Beate Granzow war einige Night-Club-Atmosphäre ins Ensemble gekommen.

Wenn Karl Paryla inszeniert, erwartet man normalerweise eine sozialkritische, eine politische Studie aus einem linken Blickwinkel heraus. Vermutlich hatte der eigenwillige Künstler mit Raimunds „Diamant des Geisterkönigs“ ähnliches vorgehabt, — zu merken war bei der Aufführung jedenfalls nichts oder fast nichts davon. Sonderlich ergiebig ist das Zauberspiel ja auch wirklich nicht, und so blieb es denn bei der stark akzentuierten Karikatur einer faulenzenden Obrigkeit (der Geisterkönig Longimanus), dessen Hofwesen Karl Paryla mit lauter bobbyhaften Lemuren bevölkerte. Was sonst noch geplant war, wurde nicht ersichtlich; es schien des öfteren, als ob der Regisseur eine Karikatur Raimunds versucht hätte und dann doch auf halbem Wege steckengeblieben war. Immerhin: sieht man von einem zähen, langsam sich vortastenden ersten Akt ab, so gab es an diesem Abend viel Spaßiges, Verfremdetes und Abstruses zu sehen und zu hören — Einfälle, die ihresgleichen suchten, wie etwa ein radschlagender Mozart-Tenor als Herold eines bösen Scheichs, und andere wiederum, deren Qualität nicht ganz goutierbar war, weil sie eben nicht über die Rampe kamen. Ein Teil der Schauspieler war mit Parylas ausgefallenen aber oft köstlichen Ideen überfordert, selbst der ansonsten sehr brave Stephan Paryla, des Meisters Sohn, in der Raimund-Rolle des Florian Waschblau. Insgesamt war's aber doch ein recht amüsantes Raimund-Bilderbuch, in dem das Blättern sich lohnte: gab es doch ein Show-Stück Wiener Vorstadttheaters zu sehen mit allen Ingredienzien, die die Gattung zu bieten hat und die den Bühnenbildner Wolfram Skalicki zu ganz außerordentlichen Zaubereien (im wörtlichen Sinne) inspirierten

Als beklagenswert harmloser Klamauk erwies sich „Der .nackte' Hamlet“ des Amerikaners Joseph Papp, der im Grazer Schauspielhaus zu sehen war. Daß es nicht Motiv, sondern nur mehr Vorwand des Autors sein konnte, Shakespeare dem Publikum näherbringen zu wollen, zeigte allein schon die Brettl-Manier, in der ausgerechnet die Schlegel-Übersetzung des Originaltextes Stück für Stück und Satz für Satz zerlegt und parodiert wurde. Zu allem Überdruß setzte der Regisseur Fritz Zecha dem Ulk noch ein zusammengesammeltes Repertoire an Dancing- und Show-Effekten auf, deren Palette vom immer häufiger mißbrauchten Stroboskop bis zum Strip-tease der Ophelia reichte. Trotz manch guter schauspielerischer Leistungen (besonders von Heribert Sasse als Hamlet) zeigte diese Aufführung, daß ein Sammelsurium unmotivierter Regiegags einfach nicht attraktiv genug sein kann, denkende Jugend fürs Theater zu gewinnen, auch wenn es noch so krampfhaft versucht, sich „in“ zu geben.

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