Menschenfeind mit "Wiener Schmäh"

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Nach der erfolgreichen Inszenierung von Bertolt Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti" | befindet sich das Volkstheater mit Ferdinand Raimunds "Alpenkönig" weiter im Aufwind.

Direktor Michael Schottenberg hat selbst Regie geführt und dafür eine neue Bearbeitung von Ferdinand Raimunds "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" erstellt, die nach den verschlafenen, langatmigen Raimund-Interpretationen an der Burg nun einen gänzlich entstaubten, allerdings stellenweise mit zu vielen plakativen Gags versehenen Wiener Komödiendichter präsentiert.

Wie schon bei seiner "Liliom"-Inszenierung setzt Schottenberg auf Wiener Schmäh und betont diese Linie, indem er jeweils einen prominenten Kabarettisten in der Hauptrolle besetzt. War Robert Palfrader der Hutschenschleuderer Liliom, so gibt Andreas Vitásek den Menschenfeind Rappelkopf als bitzelnden Paranoiker, dem seine Frau (Claudia Sabitzer) eine "dissoziative Soziopathie" diagnostiziert.

Eine Frage der Vorstellungskraft

In Schottenbergs Inszenierung sind die komödiantischen Aspekte betont: Rappelkopf - als depressives, misanthropisches Alter Ego seines Autors Raimund - wird in Vitáseks Spiel zur Karikatur seiner Ängste und Nöte, zur liebenswürdigen, aber lächerlichen Figur. Freilich ist dadurch die Furcht von Familie und Personal vor dem cholerischen Mann nicht mehr nachvollziehbar, beziehungsweise wird diese selbst ironisiert. Schottenbergs Aussage lautet also vereinfacht gesagt: Wie sich die Paranoia des Rappelkopf als gestörte Wahrnehmung zeigt, so ist auch sämtliche Darstellung am Theater nur eine Frage der Vorstellungskraft. Die Welt ist immer so, wie wir sie begreifen, wirklich ist das, was wir im Moment glauben und für wahr halten.

Davon ausgehend behauptet etwa Andy Hallwaxx glaubhaft eine fesche - wenn auch etwas herbe - Köchin, Volkstheater-Altstar Heinz Petters bekommt gar einen Soloauftritt als Onkel Silberkern, der auf das "Herein" der Geistermächte den Raum im Niemandsland betritt und sich damit quasi ungewollt auf einer Bühne befindet. Im scheinbar privat inszenierten Dialog mit der Souffleuse, die ihm den Text reicht, werden die vielen Ebenen des Stücks noch einmal dupliziert: Die Worte, die Petters spricht, sind vorgedruckt, seine Wege von höheren Mächten bestimmt, die Anspielungen auf die Theaterwelt überdeutlich gemacht.

Auf die Theaterwelt wohlgemerkt! Denn trotz Rampen-"Attacke" von Heinz Petters zeigt er in seinem kurzen Auftritt, dass Theaterspielen eben doch mehr bedeutet, als sich gekonnt die Haare zu raufen, wie Vitásek die schwierigen Stellen mit viel Überdruck umschifft. Freilich sind sein Mut und seine Bühnenpräsenz beachtlich, auch wenn die Differenzierung der Rolle zu kurz kommt. Wie schon bei Palfrader hat man bald den Eindruck, dass ihm der Rappelkopf über den Kopf wächst. Gerade dann, wenn die Figur ins Abgründige greift, fehlt Vitásek das schauspielerische Handwerkszeug. Auch Thomas Kamper, der den Alpenkönig Astragalus spielt, bleibt als Gegenspieler etwas hohl, wie auch sein Spiegelspiel, wenn er in der Gestalt des Rappelkopf zur Familie zurückkehrt und den Bösewicht mit donnernder Stimme allzu holzschnittartig gibt.

Raimund gehört auf die (neu) belebte Bühne

So tragen die Nebenfiguren die Inszenierung durch ihre schwachen Stellen, etwa Christoph F. Krutzler, der in bellendem Steirisch den Diener Habakuk spielt und mit seinem leitmotivischen Satz "Ich war zwei Jahr' in Paris" tatsächlich Eindruck schindet. Auch Andrea Bröderbauer überzeugt als Dienstmädchen Lisi, Claudia Sabitzer als brave Frau Sophie, Andrea Wenzl als resolute Tochter Malchen, die ihren Maler August (Matthias Mamedof) ordentlich an die Kandare nimmt. Doch zuvor begegnen die beiden einander am Ort der Vorstellungskraft, nämlich in einer Bildergalerie, deren Wächter der Alpenkönig ist. Die Fantasie der Maler wird in Hans Kudlichs raffinierter Bühne plötzlich lebendig, als wären es Tableaux vivants. Aus dem Gemälde, das eine Köhlerfamilie abbildet, wird eine atmosphärisch starke Szene mit bellenden Hunden, schreienden Kindern und einem hustenden Vater, aus dem Bild eines küssenden Paares realiter ein küssendes Paar.

Raimund gehört nicht ins Museum der Theatergeschichte, sondern (neu) belebt auf die Bühne, das stellt Schottenberg unter Beweis.

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