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Die zwei Schichten des Rappelkopf

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Raimund zu inszenieren, bietet Schwierigkeiten. Nichts liegt unserer Zeit so fern wie das liebenswert Naive, das in jedem seiner Stücke zu finden ist. Auch in seinem romantisch-komischen Märchen „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, das jetzt bei den Salzburger Festspielen im Kleinen Festspielhaus aufgeführt wird. Man muß Raimund von der österreichischen Wesensart her erfassen, die ja, wie es sich immer wieder zeigt, über Österreich hinaus Anziehungskraft besitzt. Im Gegensatz zu Shakespeare und Moliere, die ebenfalls Menschenfeind dargestellt haben, läßt der Österreicher Raimund seinen Rappelkopf in die Gemeinschaft zurückfinden. Der geniale Einfall, ihn durch Gegenüberstellung mit sich selbst, dem Doppelgänger, zu heilen, nimmt — es wurde immer wieder festgestellt — einiges von Freud vorweg. Habe er sich erkannt, werde ihn der Trieb zur Besserung erfassen, sagt der Alpenkönig. Mag zu einer heutigen psychotherapeutischen Behandlung gewiß ein entscheidender Unterschied dadurch bestehen, daß hier keineswegs verdrängte Ursachen im Verhalten des Menschenfeinds bloßgelegt werden und alles im Bewußtseinsbereich verharrt, so kommt Raimund damit doch dieser Therapie erstaunlich nahe. Und deshalb vermag man wohl an die Heilung des Rappelkopfs zu glauben. Malchen allein erwähnt — Vorgeschichte —, Rappelkopf habe Undank und Niederträchtigkeit erlebt. Wir aber sehen ausschließlich, daß Frau, Tochter, Diener, Kammermädchen sich von ihm mißhandeln lassen und ihm dennoch weiterhin anhangen, ihm weiterhin wohlwollen, wie dies auch in biedenmeieriieh patriarchalischer Zeit in diesem Ausmaß kaum wahrscheinlich war. Was bezweckt Batmund damit? Rappelkopf soll für sein unerträgliches Verhalten keinen Grund habe, soll Beute eines Wahns sein. Eines Wahns, der heilbar ist.

. Der Untertitel lautet „romantischkomisches Märchen“, Betonung auf „komisch“. Dieses Komische bildet aber keineswegs nur ein Einsprengsel. Überraschend ist hier — was all-

zusehr übersehen wird —, Nestroy vorgebildet, ja, Nestroy fußt in manchem auf Raimund. Von einzelnen Strecken im Dialog könnte man glauben, Nestroy habe sie geschrieben. Und vor allem ironisiert Raimund, wie später Nestroy, die ernstesten Situationen. Bis an den Rand des psychologisch noch Wahren und Möglichen sprüht — eminent wienerisch! — aus einer Verstörung der Witz auf. Das heißt, Rappelkopf ist in zwei übereinanderliegenden Ebenen angelegt, aus der unteren diffundiert spielerisch Komisches in die Oberschicht der Aggression. Kurt Meisel bietet als Regisseur eine Aufführung, die vordringlich durch die gegebene Eigenart der Schauspieler bestimmt ist. Verzauberungen ergeben die Bühnenbilder von Lois Egg leider nicht, die Waldszenen geraten reichlich konventionell. Die Erscheinungen der drei verstorbenen Frauen und das im Mond aufschimmernde Bild der Lebenden sind Grottenbahnkitsch. Den komischen Untergrund in der Rolle des Rappelkopf spürbar zu machen, liegt Josef Metnrad vorzüglich, doch lächeln wir allzusehr über sein Toben, daher fehlt die Spannung, die der Figur durch Gegensätze erst den richtigen Gehalt gibt. Heinrich Schweiger ist als Astragalus ganz milde, spielt aber den Doppelgänger des Rappelkopf allzu komödiantischspaßhaft aus.

Eine Spitzenleistung bietet Helmut Qualtinger als Habakuk, er wirkt dumm-selbstbewußt, dreckig-überheblich, lächelt hinterhältig-servil, fährt jäh los. Susi Nicoletti glaubt man als Frau des Rappelkopf nicht das schlicht Hingebungsvolle. Kitty Speiser bietet als ihre Tochter Jung-mädchenhaftigkeit. Elisabeth Orth ist ein Kammermädchen von eigenwilliger Prägung, sie bewährt, sich _tnr*ta Gewplets. JoaohimrRißmerr ist ein netter junger Maler, Edd Stavjanik ein biederer Silberkern. Die überaus reizvollen Melodien von Wenzel Müller hat Paul Angerer wirkungsvoll angereichert. Ansprechende Kostüme entwarf Charlotte Flemming. Es gab mehrfach Szenenapplaus, lebhaften Schlußbeifall.

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