Der Kaiser ist kein echter Strizzi

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Am Wiener Volkstheater inszeniert Intendant Michael Schottenberg einen „Prater-Blues“ nach Ferenc Molnárs „Liliom“. Robert „Wir sind Kaiser“ Palfrader ist die vielschichtige, schillernde Titelrolle ein paar Schuhnummern zu groß.

Der Liliom eignet sich wie kein anderer dafür, rund um den zeitlosen Charakter des „Strizzi“ ein typisch wienerisches Milieu mit all seinen Faktota zu schaffen. Schottenberg hat Alfred Polgars Bearbeitung herangezogen und den Text zusammen mit seinem Dramaturgen Hans Mrak behutsam aktualisiert. Knapp über hundert Jahre ist Molnárs bekanntestes Stück, das weltweit Erfolge feierte – als Musical am Broadway, von Fritz Lang verfilmt oder im Jahr 2000 bei den Wiener Festwochen, wo Michael Thalheimers radikal entschlackte Version reüssierte. Schottenberg hingegen geht in die Wiener Vorstadt der Arbeiter, Unterweltler und Spieler. Seine Stärke – das hat er auch bei Nestroys „Talisman“ bewiesen – ist der Blick aufs Milieu und in dem Fall auf den Prater mit seinem Eigenleben.

Unbeholfenes Wienerisch

Schottenberg zeigt einen heutigen Prater; seine Interpretation aber streicht jene Stellen und Moden, die die Zeit längst überholt hat, nicht einfach heraus, sondern spricht sie als historische Aspekte an. So plaudern etwa zu Beginn Julie und ihre Freundin Marie über die Aussagekraft von Uniformen und welchen sozialen Rang sie markieren. Dass es den Gaskassier schon längst nicht mehr gibt, der soziale Status aber bei der Partnerwahl eine maßgebliche Rolle spielen kann, wird zum bitteren Witz: Was ist einer, der eine grüne Uniform und Stiefel trägt, heute? Ein Tierpfleger in Schönbrunn, belachen die zwei Mädels, die bei einem Arzt als Bedienerinnen arbeiten. Leider klingt Nanette Waidmanns Wienerisch (sie spielt die Marie) recht inkonsequent und unbeholfen, sodass man ihr Binnendeutsch lieber ohne dialektale Bemühung gehört hätte. Katharina Straßers Julie ist unklar gezeichnet: einerseits eigenwillig, andererseits schüchtern, mit „Wissbegierde und Intelligenz“ ausstrahlender Brille (Kostüme: Erika Navas) ist sie ein freches Girlie, das von Beginn an den Liliom will. Dieser ist bei Schottenberg kein Hutschenschleuderer mehr, sondern Türsteher in der Café-Bar Rennbahn, das der mit allen Wassern gewaschenen Frau Muskat gehört. Claudia Sabitzer stellt sie als pseudo-mondäne, kaltschnäuzige Geschäftsfrau dar, die den Marktwert ihres besten Pferdchens Liliom zu bezahlen weiß. Doch warum alle Frauen diesem Kerl zu Füßen liegen, diese Frage lässt Robert Palfrader als Liliom wahrlich offen. Weiß doch das Wiener Publikum, dass es eben so ist und freut sich über das bisschen Sozialvoyeurismus.

Nur das Klischee eines Typus

Palfrader verkörpert zwar auf den ersten Blick den Typ des „Wiener Originals“, und er kann diesbezüglich auch recht vom Leder ziehen, doch ansonsten ist ihm die Rolle mehr als eine Nummer zu groß; liegt doch der Erfolg von Molnárs Liliom in der Ambivalenz der Figur, im feinen Balanceakt zwischen wienerischem Schmäh und echtem Charme, hilfloser Brutalität, geradliniger Loyalität und großer Verletzlichkeit. Palfrader weiß nichts von dieser Zerrissenheit zu spielen; etwa wenn ihn die Muskat zurückkaufen will und er zusagt, um sich schließlich doch für die schwangere Julie zu entscheiden. Im schnellen Pingpong der Dialoge entwickeln sich keine Beziehungen und keine Brüche, denn Palfrader markiert nur das Klischee eines Typus. Damit bietet er auch der sonst immer brillanten Katharina Straßer als Julie keinen Widerpart, sodass die Arme buchstäblich im Regen stehen bleibt: An den Fenstern der leer stehenden Fabrikhalle (sorgfältig wie immer: Hans Kudlich), in der Schottenberg alle Szenen angesiedelt hat, prasselt es unentwegt – die Sonne scheint nur den Reichen oder wenigstens Bürgerlichen, die sich hochgeerbt oder spekuliert haben, wie etwa Maries zwanzig Jahre älterer Freund und späterer Mann Wolf Beifeld, den Haymon Maria Buttinger als gutmütigen Einfaltspinsel mit Aufstiegsanspruch spielt.

Dass man mit wenig Text weit mehr erzählen kann als jede Hauptrolle, wenn sie misslingt, zeigt an diesem Abend Andy Hallwaxx. Im Strickjackerl und in Pantoffeln schlurft er als Fotograf Hollunder über die Bühne und verdingt sich mit Hochzeits- und Erotikaufnahmen. Das scheinbar brave Muttersöhnchen attrahiert zwar nicht die Frauen vom Café Rennbahn, Hallwaxx’ stummes Spiel lässt aber mindestens sadomasochistische Kellerkammern oder andere wilde Tiefen vermuten. Wenn er nach seiner Mama ruft, die die Kunden betreut, dann darf man sich über Brigitte Swoboda als böse Wurz’n mit Kopftuch und Einkaufswagerl freuen, und Christoph. F. Krutzler ist als patscherter Kleinkrimineller Ficsur der weitaus bessere Strizzi als Palfrader.

Dass sich professionelles Theater Kabarett-Stars und Medienprominenz beugt, mag zwar kurzfristig die Besucherzahlen stärken, schwächt aber langfristig das Kapital des Theaters: die Schauspieler. Und die sind in Schottenbergs Inszenierung vor allem in den Nebenrollen exzellent.

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