6758736-1968_05_15.jpg
Digital In Arbeit

Prosperos Zaubermacht

Werbung
Werbung
Werbung

Nur selten übt der geistige Mensch unmittelbar Macht aus. A11 die Jahrhunderte her zeigte die Bühne immer wieder Mächtige, die kaum diesem Typ zuzuzählen sind. Als Shakespeare, noch nicht 50 Jahre alt, sein letztes Meisterwerk schrieb, wurde es ein Hohelied auf die Macht des geistigen Menschen. Er zauberte sich, abschiednehmend von seinem Schaffen, diese Macht in dem Zauberlustspiel „Der Sturm“ vor, das derzeit neuinszeniert im Burgtheater aufgeführt wird.

Auf einer wüsten einsamen Insel herrscht, den Büchern zugetan, Prospero, der vertriebene Herzog' von Mailand, über den Luftgeist Ariel und das Halbtier Caliban, Verkörperungen des Guten und des Bösen. Nur seine Tochter Miranda, die kaum weiß, was Menschen sind, ist bei ihm. Durch einen Sturm, den Prospero entfachte, befindet sich nun auch die böse Menschenwelt auf der Insel, der Zaubermächtige ließ das Schiff mit dem verbrecherischen Bruder, dem räuberischen König von Neapel, und seinen Leuten hier stranden. Schon gibt es Mordkomplotte gegen dien König sowie Calibans und zweier vom Schiffisgesinde gegen Prospero. Aber der ihnen durch seine Geisteskräfte Überlegene wendet die Gefahren mit Hilfe des dienstbaren Ariel ab und verzeiht ihnen. Miranda ist dem Sohn des Königs versprochen, Prospero wird wieder über Mailand herrschen.

Diese Insel mit dem Geschehen auf ihr wirkt als ein Symbol der Menschheit. Der innerlich hohe Mensch ist da, er gebietet über die irrationalen Mächte, über die Geister, die Geisteswelt, über die Kräfte der Natur, der verbrecherische Mensch wird gezeigt, der den Spitzenschichten der Gesellschaft ebenso angehört wie dem Mob, den Halbtierischen gibt es, wir haben es erlebt. Der geistige Mensch siegt, befriedet. Ein holdseliges Bild läßt Shakespeare halb träumerisch und fast wehmütig vor sich erstehen, wehmütig, denn alles, heißt es da, selbst der große Erdball,

wird untergehen, spurlos verschwinden.

„Ich möchte den ,Sturm“ nicht aufgeführt sehen“, schrieb Strindberg, „ich will ihn lesen und selbst meine Szenerie aus bloßer Luft und Beleuchtung machen“. Nur aus Luft und Beleuchtung besteht die Inszenierung durch Bernhard Wicki als Regisseur gewiß nicht, aber vielleicht wäre Strindberg doch mit ihr einverstanden gewesen. Dies sei das wunderbarste Labyrinth das je ein Mensch betrat, sagt der König von Neapel. Ein Wirrsal schmaler, hellgrauer Quadern, die sich lotrecht gleichsam zu einem Labyrinth vereinen, läßt der bekannte Bildhauer Otto Herbert Hajek als Bühnenbildner auf der Drehbühne den Hauptteil der Insel bilden. Trefflicher Einfall des Regisseurs: Fallen die Verbrecherischen in Wahnsinn, gesellen sich zu ihnen, Rücken an Rücken, Doppelgänger (Schizophrenie).

Ewald Baiser bietet leider als Prospero nur Deklamation. Frank Hoffmann ist ein ruhig-magischer Ariel, das Dumpfe des Halbtiers Caliban quillt bei Heinrich Schweiger geradezu über, Helma Gautier als Miranda, Heinz Trixner als Ferdinand sind ein reizvolles Liebespaar, unter den übrigen Darstellern hebt sich vor allem Johannes Schauer als versoff en-vitaler Stephano heraus. Die Musik von Paul Kont und drei Mitarbeitern hat sowohl Sphärisches wie Chthomisches. Alois Mitterhuber schuf die treffliche Choreographie, Günther Walbeck die überaus phantasdevollen Kostüme.

Die Schwierigkeiten heranwach- sender Menschen mit der Liebe wurden von Autoren verschiedener Generationen immer Wieder auf dem Theater vorgeführt. In dem Stück „Hotel Racine“ der Französin Michele Perrein, das derzeit im Kleinen Theater der Josefstadt zu sehen ist, wohnen in einem billigen Pariser Hotel zwei Mädchen und zwei junge Männer, zwischen denen sich eine Gemeinschaft ergab. Odette hat, aus Angst nicht normal zu sein, viele Liebhaber gehabt, sie wartet darauf, daß die Frau in ihr erwacht. Aus mangelnder Liebesfähigkeit sucht sie die Freundschaft der drei andern. Macha liebt einen ruppigsympathischen Nichtstuer, will aber doch ihrem Leben einen' Halt geben und verabschiedet ihn schweren Herzens schließlich. Die Gruppe zerfällt. Die Gestalten sind gut gezeichnet, aber was da gezeigt wird, wirkt nicht signifikant und man fragt sich, wozu uns dieser „Einblick“ geboten wird. Unter der subtilen Regie von Heinrich Schnitzler bieten Gertraud Jesserer als Odile, Marianne Nent- wich als Macha, Peter Vogel als der Nichtstuer und Rainer Artenfels als einer der jungen Männer der Vierergruppe, aber auch die anderen Mitwirkenden. treffliche Leistungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung