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Insel und Etruskerbogen

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PROFESSOR MIRKO DEANO- VIČ von der Universität Agram kam 1937 auf die Idee, den sprachlichen Gemeinsamkeiten der mediterranen Völker auf empirischem Weg nachzuforschen. Zwanzig Jahre später wird aus dieser Idee schrittweise Wirklichkeit: Venedig, mit seinem internationalen Prestige, ist imstande — und ist eifrig dabei —, Sprachwissenschaftler in allen jenen Ländern, welche um das Mittelmeer — sowie um das Rote Meer und um das Schwarze Meer — liegen, für ein großes wissenschaftliches Vorhaben, für einen Sprachatlas über das Mittelmeergebiet, zu interessieren. Den Gegenstand der Untersuchung bildet die Terminologie der Fischersprache (terminologia marinaresca). Professor Deanovič referierte 1937 bei einem Romanistenkongreß in Nizza über die erstaunlichen Ähnlichkeiten, die zwischen der Sprache der Fischerleute in seiner Heimatstadt Ragusa und jener in der südfranzösischen Ortschaft Agde bestehen. ,,L’Atlante Linguistico Mediterraneo“ heißt nun die gemeinsame Aktion einer großen Anzahl Professoren und Studenten heute, an deren Spitze die Professoren von Florenz, Agram und Padua, Carlo Battisti, Mirko Deanovič und Gianfranco Folena stehen. Der Sitz des Internationalen Komitees ist auf der Insel San Giorgio Maggiore in Venedig, die Arbeit vollzieht sich im Rahmen der kulturellen Arbeit der „Stiftung Giorgio Cini“.

EINER DER HAUPTMITARBEI- TER des Atlanten, Dr. Manlio Corte- lazzo, zeigt dem Besucher die Orientierungskarte — von Gibraltar bis zur Krim — auf der noch viele weiße Flecke sichtbar sind. Bisher fanden 125 Enqueten in den verschiedenen Ländern statt, wo die Ergebnisse der methodisch vorbereiteten Erhebungen der Mitarbeiter — meist Studenten — miteinander verglichen wurden. Die verwendeten Fragebögen enthalten jeweils 810 Wörter, die sich auf das Meer, auf geomorphologische, meteorologische Begriffe, auf Fauna und Flora, auf die Schiffahrt und die Fischerei, auf den Handel, auf das Leben an Bord und so weiter beziehen. Wie Dr. Cortelazzo bemerkt, kam aus Rußland und aus einigen arabischen Ländern bisher noch keine Antwort. Das kann verschiedene Gründe haben: Mangel an geschulten Kräften, anderweitige Vorhaben und dergleichen. Die Araber stört offenbar, daß Israel eifrig mittut: Albanien und Rumänien haben schon viele Fragebögen beantwortet, aber man kann sich vorstellen, daß Professor Deanovič gleichsam nur auf „neutralem“ venezianischem Boden in das wertvolle Material der Albaner Einblick gewinnen konnte. In Ägypten etwa sind die Mitarbeiter dort ansässige Italiener. Übrigens sind bisher auch aus Frankreich nur Versprechungen eingelangt.

Trotzdem hofft Dr. Cortelazzo, daß der Atlas in zwei Jahren fertig ist. Eine Zeitschrift, „Bollettino dell’ Atlante Linguistico Mediterraneo", informiert über den Fortgang der Arbeit. Ein imposanter Zettelkatalog füllt bereits mehrere Kästen

AUF DER. INSEL SAN GIORGIO MAGGIORE, gegenüber der Piazzetta San Marco, im Klostergebäude des Palladio, wo die Stiftung Giorgio Cini untergebracht ist, füllen die Zettelkataloge (etwa ein noch nie dagewesenes lexikalisches Archiv des venezianischen Dialektes, entnommen aus allen auffindbaren literarischen Texten vieler Jahrhunderte) eine ganze Reihe von Sälen. Es befinden sich hier in dem „Centro di Cultura e civiltä“ noch unter anderem: eine Photothek von 500.000 Aufnahmen venezianischer und byzantinischer Kunstwerke, 14.000 Opernpartituren, die „Biblioteca Rolandi“, die 40.000 Opernlibretti aus der ganzen Welt enthält, Photokopien venezianischer Musikwerke, vornehmlich aus dem 16. Jahrhundert, entsprechend katalogisiert. Eine Sammlung venezianischer Melodramen, venezianisches Theater, Folklore, Kostümkunde, schließlich die berühmten venezianischen Botschaftermeldungen, wie auch bereits fast alle auffindbaren Dokumente über die venezianische Geschichte. Dies alles bezieht sich also auf Venedig. Aber auch die anschließenden Fachbibliotheken der orientalischen Sprachen und Geschichte („Venedig und der Orient“) und so weiter, verfügen über den Apparat modernster wissenschaftlicher Institute: Den Forschern stehen auf Mikrofilmen unter anderem auch der Schatz der Pekinger Staatsbibliothek, der Washingtoner Kongreßbibliothek zur Verfügung. Umfassende Vortragstätigkeit, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Kongresse und Tagungen gehören mit zum Aufgabenkreis dieses einzigartigen kulturellen Zentrums.

Ein Rundgang auf der Insel führt durch Säulengänge, durch das monumentale Treppenhaus von Baldassare Longhena, von der Loggia im Obergeschoß des Klosters blickt man in zwei Klosterhöfe, deren erster von Palladio geschaffen wurde; das an den zweiten Klosterhof grenzende Dormitorium des Giovanni Buora stammt aus dem 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts und ist der älteste Teil des Klosters, in dem neben den Instituten der Stiftung Giorgio Cini seit 1957, nach 150 Jahren Abwesenheit, auch wieder Benediktinermönche wohnen und arbeiten. Auf der Insel befindet sich schließlich auch eine Marineschule, an der kleinen Mole liegt meist em Schulschiff vor Anker.

Die Insel diente vermutlich schon in römischer Zeit den Schiffen als Zufluchtshafen. Sie hieß Cypressen- insel. Durch Schenkung des Dogen Tribūno Memmo gründete dort der Patrizier Giovanni Morosini 982 das erste Bendediktinerkloster. Feuersbrünste, Erdbeben, machten immer neue Bauarbeiten notwendig. 1109 überführten hierher fromme venezianische Seefahrer die Gebeine des hl. Stephan. Seither kam der Doge jedes Jahr — bis zum Untergang der Republik — in das Kloster zu Besuch. Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts entstand der Umbauplan Palladios. Kirche und Kloster wurden durch ihn und viele andere Künstler vollendet. Mit dem Sturz der Republik von San Marco begannen auch auf der Insel die Verwüstungen und die Plünderungen. Unter der österreichischen Herrschaft schließlich residierten hier militärische Dienststellen. Man errichtete zahlreiche Schuppen, Barak- ken, im Kloster selbst wurden die monumentalen Säle meist zu Büro- und Wohnzwecken unterteilt.

1951 erst erhielt die damals so-1 eben gegründete „Stiftung Giorgio Cini“ die Genehmigung, sich auf der Insel einzurichten und mit den Wiederherstellungsarbeiten zu beginnen. Das (bereits längst italienische) Militär räumte die Insel, und das Denkmalamt übernahm die Aufsicht Das „Centro di Cultura e Civiltä“ hat eine würdige Heimstätte gefunden.

WÄHREND AUF DER INSEL San Giorgio Maggiore die glanzvolle Geschichte Venedigs und die reiche venezianische Folklore der Hauptgęgenstand der Forschertätigkeit sind und auch die Kontakte hauptsächlich mit dem Mittelmeerraum gepflogen werden, strahlt die Italienische Universität für Ausländer aus Perugia in die ganze Welt aus. Diese Universität hat Weltruf, und zwar aus vielerlei Gründen. Viele tausende Studenten aus allen Ländern der Welt erlernen hier die italienische Sprache so, daß sie befähigt werden, in ihren Heimatländern als Lehrer für Italienisch zu wirken. In der Gegend von Perugia spricht man ein gutes Italienisch; der toskanische Dialekt gilt als klassisch, und Perugia liegt zwar in Umbrien, aber unweit von Toskana. Die 1925 gegründete Universität verdankt ferner einen Großteil ihres Rufes der besonderen Sprachmethode von Romano Guar- nieri. Nach der „Methode Guarnieri“ können Schüler mit verschiedener

Muttersprache in gemeinsamen Kursen rasch und gründlich die italienische Sprache erlernen. Guarnieri wirkte jahrzehntelang in Holland als Sprachlehrer. Als er 1955 starb, verlor in ihm die Universität Perugia einen ihrer besten „Botschafter“ im Ausland Der Rektor der Universität, Präsident Carlo Vischia, der es sich nicht nehmen läßt, den Besucher persönlich durch die prachtvollen Repräsentationsräume, durch die Hörsäle und die Aufenthaltsräume der Studenten zu begleiten, nennt noch einen Grund für den guten Ruf seines Institutes. Zwischen 1921, als die Hochschulkurse begannen, und 1963 kamen 36.000 Studenten aus 116 Ländern nach Perugia und kehrten nach Abschluß ihres Studiums in ihre Heimatländer zurück. Jährlich studieren hier 3000 Studenten bei 65 Professoren. (Österreich war 1963 durch 98 Studierende vertreten.) Die meisten Studenten wohnen aber bei Familien in den mehrstöckigen Häusern entlang der engen Gassen, wo jeder Stein ein Zeuge von Jahrhunderten ist. Aber alle Studenten zusammen bilden auch eine große Familie. Viele kommen Jahre, Jahr

zehnte später zurück und feiern ein Wiedersehen. Der Palazzo Gallenga, neben dem Etruskischen Tor, diesem Wahrzeichen der Universität, ist für sie eine zweite Heimat geworden.

Die Universität ist von April bis Dezember für Ausländer jeder Nationalität geöffnet. Sie brauchen keinerlei Schulzeugnisse vorzulegen, nur dann, wenn sie zum Examen des Oberkurses zugelassen werden wollen. Mit dieser Prüfung erwerben sie ein Diplom zur Lehrbefähigung der italienischen Sprache im Ausland; beim Vorbereitungs- und Mittelkurs jedoch nur ein Zeugnis über ihre Kenntnisse der italienischen Sprache. Es gibt außerdem noch Kurse über italienische Literatur und Kunstgeschichte, Geographie, Pädagogik und über italische Altertumskunde und Etruskologie. Man muß dem Präsidenten Vischia glauben: Die ausländischen Studenten von Perugia haben allen Grund, sich als Mitglieder einer großen, glücklichen Familie zu fühlen. Man versteht, daß viele von ihnen eigentlich gar nicht mehr fort möchten. Wieso sie dann trotzdem eines Tages ihre Koffer packen, ist beinahe ein Rätsel.

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