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Kunst der Marionetten

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An einem blitzblanken Frühsommertag des Jahres 1895 saß in der argverschnitzelten Bank am hinteren Ende der Fensterreihe der Schüler der 4a-Klasse Richard Teschner und war mit seinen Gedanken wieder einmal in einer ganz anderen Welt. Er belebte sie auf seine Art mit schönen, aber traumhaft unwirklichen Gestalten und Heldentaten. Freilich die Herren Professoren der Leitmeritzer Realschule hatten gerade für diese zeitweilige Abwesenheit des eigenwilligen Burschen ein besonders gutes Auge und so sprachen sie denn, auf der gefürchteten Notenkonferenz versammelt, ihr „Schuldig“. Vater Teschner, der seinen in Karlsbad geborenen Sohn nicht unbedingt der wissenschaftlichen Laufbahn zuführen wollte, begnügte sich mit der Erkenntnis, die ihm mit Hilfe einer ausgiebigen Tischlerrechnung für die zwar kunstvoll, aber denn doch zu arg verschnitzelte Schulbank seines handwerklich so stark vorbelasteten Sohnes überkam, und als zünftiger Lithograph wußte er auch die gelegentlich auf den Leitmeritzer städtischen Ankündigungstafeln in Großformat erscheinenden treffsicheren Kreidekonturen des Lehrkörpers, die der kleine Nichtsnutz sogar mit RiTe signiert hatte, richtig zu deuten: So errang der ehemalige Realschüler nach dem Umsatteln gleich auf Anhieb in einem Vorbereitungskursus für die Akademieprüfung aus Anatomie und Perspektive einen Erfolg, der mit einem Schülerpreis und der Aufnahme in die Malklasse des Professors Brozik in der Prager Akademie verbunden war. Hier blieb Richard Teschner drei Jahre und wurde Maler. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien, ging der junge Künstler zu seinen Eltern nach Leitmeritz zurück und hier im väterlichen Lithographenbetrieb setzte er sich mit seinen eigenen künstlerischen Einfällen auseinander und probierte seine Schaffensfreude an allen möglichen Teckniken der Kunst einmal aus: Lithographie — Holzschnitt — Radierung — Malerei (Aquarell, öl, Pastell, Tempera)— Gelegenheitsgraphiken: Ansichtskarten, Exlibris und Plakaten —. Aber auch eine Konzession an seine feine Musikalität und seine unübertreffliche Handgeschicklichkeit entstand; eine selbstgebaute Baßguitarre war unter seinen Arbeiten. Schon das erste Jahrzehnt im neuen Jahrhundert brachte ihm als Maler Erfolg, Anerkennung und Preise, doch sein Arbeitswille trieb ihn zu immer neuen Aufgaben, an denen er seine Kräfte erproben wollte. Das Deutsche Theater in Prag ließ von Teschner die Dekorationen zu „Pelleas und Melisande“ entwerfen und — etwas ungewöhnlich — auch gleich ausführen. Die Prager Künstlerzeit brachte für Teschner eine Unmenge von Arbeit, doch war ihm das Künstlerleben auf die Dauer dann doch zu laut, so daß er mit den besten Vorsätzen nach Wien zog.

Unendlich reich ist Richard Teschner nicht nur in sich, sondern auch in der Fülle der Ausdrucksmittel. Die Sehnsucht, das Unorganische mit Lebenshauch zu versehen, unterstreicht die ganze kommende Epoche in Wien, ganz gleich, ob er Marmor, Elfenbein, Holz oder Bernstein, Speckstein, Edelmetall oder Edelsteine formt. Die „Wiener Werkstätte“ hat in ihm einen erfolgreichen Kleinplastiker und so ganz nebenbei, erwirbt er an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien ein Zeugnis als gelernter Lithograph. Ihm steht überhaupt alles zur Verfügung, was der Künstler gut gebrauchen kann: Neben der unermeßlichen Liebefähigkeit zu den Dingen eine geradezu verblüffende Handgeschicklichkeit, eine niemals versiegende Erfindungskraft, eine nie ermüdende Ausdauer, die mit Gründlichkeit und Genauigkeit Hand in Hand geht. Keines der vielen Spezialgebiete, in denen er beachtliche Leistungen erzielte, war jedoch imstande, seine auf ein Gesamtkunstwerk zielenden Bestrebungen, zu befriedigen. So wird der Maler-Bildhauer-Handwerker folgerichtig Puppenspieler. Allerdings ein Puppenspieler von schledithin einmaliger Prägung. Er führt nicht — wie es sonst allgemein üblich ist — ein Stück auf, das ein anderer geschrieben hat, mit Marionetten, die ein dritter geformt hat, in einem. Rahmen und Bühnenbild, das ein vierter und fünfter dazu entworfen hat. Er ahmt nicht mit seinen Puppen die große Bühne, das Theater mit lebenden Menschen nach, ja er geht noch weiter, wenn er auf die zweifellos weder im Stil noch im Format zu den weit unterlebensgroßen Puppen passende „lebensgroße“ Stimme des Sprechers hinter der Bühne vollständig verzichtet. Der Puppenspieler Teschner, dem eine- ganze Skala künstlerischer Ausdruoksmöglichkeiten zur Verfügung steht, stellt sich mir seinem Spiel in Gegensatz zur Menschenbühne und nützt bewußt den einzigartigen Zauber und die ureigenen Qualitäten der Marionetten aus, die ja Zumindestens in seiner Auffassung alle zum Mystischen, zum Märchenhaften und zur Groteske weisen. So hat Richard Teschner sich unter Ausschluß fast aller anderen Ideen seine eigene Zauber- und Märchenwelt aufgebaut, die in dem von ihm „Figurenspiegel“ genannten Marionettentheater zur Umwelt in Beziehung tritt. Hier konnte er zu einer künstlerischen Stileinheit kommen, denn dieses Theater ist aus einem Kopf entsprungen und in seiner Gesamtheit mit einem Paar Händen gemadit. Er macht alles selber. Kein Handwerker könnte es ihm besser machen. Sein Atelier enthält neben einer Medianiker-und Tischlerwcrkstätte mit elektrisdiem Antrieb eine Unmenge feingeordneter Werkzeuge, die den verschiedensten Handwerkergruppen angehören und die er ausnahmslos mit einer Gründlichkeit und einer Fachkenntnis handhabt, die uns aus dem Staunen nicht herauskommen lassen. Nur so kann Teschner eben alles allein bewältigen. Er ist Bauherr, Architekt, Baumeister und Handwerker seiner Puppenwelt in einer Person.

Sein Theater ist bei einem Blick hinter die Kulissen ein außerordentlich komplizierter Organismus, auf den der Künstler sein ganzes technisches Können und nicht weniger seine ganze Erfindungskraft jahrzehntelang konzentriert hat. An alles ist dabei gedadit. Es gibt Vorrichtungen für feuerspeiende Berge, Blitze, rauchschwarzen Drachenodem und natürlich Beleuchtungseffekte ohne Grenzen. Und in dieser Umwelt leben seine Puppen, stumm und doch beredt durch die Kunst ihres Meisters und seiner beiden bewährten Assistentinnen. Da die menschliche Spradie aus künstlerischen Gründen ausgeschaltet bleibt, weil sie weder im Stil noch im Format zu den Marionetten paßt, erschwert er sich naturgemäß die Arbeit ganz wesentlich, denn es mag nidit leicht sein, Gefühls- und Willensäußerungen durdi stumme Figuren auszudrücken, aber Teschner, der Augenmensch, bevorzugt eben die Sprache der Farben und Formen als Ausdrucksmittel. .Lediglich eine leise Spieluhrenmusik wird als Untermalung der Bühnenvorgänge verwendet. Die Voraussetzung aber dafür, daß die Puppen in der Hand Teschners und seiner beiden Mitspielerinnen schlechthin jeden Ausdruck erzielen können den ihnen die Regie vor-sdireibt, ist ihre selbst von Tesdiner einzigartige hochentwickelte Bewegungstechnik in allen Gliedern.

Wie führt nun Teschner seine Marionetten? — Seine ersten Puppen die er 1906 in Prag schnitzte, führte er noch — wie das bei den normalen europäisdien Marionetten der Fall ist — von oben an Schnüren. Durch holländische Freunde kam er in den Besitz von orientalischen Marionetten. Nun besdiäftigte er sich lange Jahre hindurch gründlich mit dem Fernen Osten, dessen starker Einfluß auch von da ab in allen • seinen Kunstleistungen vorübergehend sidit-bar wird. Hier lernt er auch die Stil- und Stimmungseigenheiten der Marionetten in ihren tiefen Zusammenhängen kennen, macht sich als Künstler Gedanken darüber, warum wohl die Chinesen mit lebensgroßen Marionetten spielen, deren jede drei bis vier Menschen zum Bewegen braudit, macht sidi Gedanken darüber, warum dieses einige Hundert zählende Personal nicht einfacher und billiger selbst Theater spielt; macht sich Gedanken darüber, warum wohl der Javane nächtelang bis zum grauenden Morgen die Schatten der Wajangfig'iren auf der hellen Leinwand vorbeiziehen läßt. — So ist er endgültig dem Puppenspiel verfallen und paßt sich in der Art der Puppenführung den chinesischen und javanischen Marionetten an: Durch ein kompliziertes System von Fäden, die an einem von unten geführten Haltestab zusammenlaufen, werden von innen aus Rumpf und Kopf bewegt, während die Hände von der zweiten Hand des Spielführers mit Hilfe von langen, ganz dünnen Stäbchen ebenfalls von unten geführt werden. Das übernommene javanische Prinzip hat der Künstler mit der ihm eigenen Gründlichkeit vollendet weiterentwickelt und mit den in idealisierten Proportionen geformten Puppenkörpern zu einem wunderbaren Ganzem vereinigt. — Mit diesen Figuren spielte Teschner nun vorerst javanische Legenden, machte sich aber wieder langsam aus dem orientalischem Kreis frei und zog immer mehr deutsche Märchenfiguren in seine neuen Schöpfungen mit ein, in denen letzten Endes immer das Lichte über die dunklen Mächte siegt. Der Hanswurst aber blieb und bleibt aus seinen Spielen verbannt.

Draußen in Gersthof in Wald- und Weinbergnähe hat der Künstler seinen Thespiskarren eingestellt. Sein großes Maleratelier wandelt sich über die Winterspielzeit in ein „Theater der 49 Sitzplätze“, ohne seinen ursprünglidien Verwendungszweck verkennen zu lassen: Die Seitenvitrinen sind mit den Kunstmarken und Sairmlungen gefüllt; das Auge des Besudiers streift vom Kinderspielzeug eines berühmten Atapachenhäupt-lings über Kleinplastiken und Bilder des Meisters zu den eigenartigen javanischen Sdiattenfiguren und findet einen Ruhepunkt erst an der Stirnseite des prächtigen Ateliers, wo ein kreisrunder goldener Rahmen von ungefähr eineinhalb Meter Durchmesser, den die Zeichen des Tierkreises umgeben, in eine schwarze Wand eingelassen ist. Nachdem es im Zusdiauerraum dunkel geworden ist, erhellt sich in dem kreisrunden Rahmen allmählich das Bühnenbild, das vom Zuschauerraum durch eine große Hohlglasscheibe getrennt ist. Obwohl dieser Hohlspiegel bei Bühnenbeleuchtung nicht zu sehen ist, so trägt er doch zur Plastik der Bewegung bei; trotz der Schärfe des Bildes, der Figuren und ihrer Bewegungen ist der Gesamteindruck besonders weich und geschlossen. Durch dieses ins Große übertragene Guckkastenprinzip ist die Trennung des Spieles von der Umgebung voll gelungen. Die Wirklichkeit des „Figurenspiegels“ lebt in anderen Dimensionen als in denen unserer vertrauten Welt. Richard Teschner will uns auch nicht ihr Abbild geben, sondern das Abbild der Welt der Märchen und Wunder, die in seiner Künstlerpersönlichkeit ruht. ein Abbild seiner Figurenwelt, die er in den runden Figurenspiegel gebannt hat, eine Welt der Symbolik und der Allegorie, in die Unwägbares hineinspielt, keineswegs aber Unspürbares.

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