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Eine Kunst zwischen Sesseln

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„Keine Puppe, es ist nur eine schöne Kunstfigur“ sagt, bei Clemens Brentano, die Gackeleia, um das väterliche Puppenverbot zu umgehen. Auch beim Wiener Puppenspieler Erwin Piplits ist es keineswegs nomenklatorischer Verschmocktheit, sondern höheren Notwendigkeiten zuzuschreiben, wenn er das Wort

„Puppentheater“, so oft es im Zusammenhang mit dem, was er tut, gebraucht wird, sofort korrigiert: „Theater mit Puppen“. ,

Denn ein Puppentheater gehört nach landläufiger Ansicht weniger in den hehren Bereich der Kultur als jenen der Schaustellerei. Bei einem Theater, ob mit oder ohne Puppen, ist das schon anders. Auf das Theater kommt es an — nicht zuletzt bei den ohnehin spärlich und sporadisch fließenden Subventionen.

Ob Puppentheater oder Theater mit Puppen, ob Hand- oder Stabpuppen oder Marionetten, en miniature, lebens- oder überlebensgroß, ob auf höchstem künstlerischem Niveau oder durch die Gleichgültigkeit rein kommerzieller Ausübung tief unter (einstiges) Jahrmarktniveau herabgedrückt: das Spiel mit Puppen ist eine Kunstübung mit uralter Geschichte. Die Vielfalt der Formen, die sie entwickelt hat, ist längst nicht mehr überblickbar. Aber die Traditionen dieser Kunstübung sind zerbrochen, wie Gackeleias Kunstfigur. Puppenspiele, Marionettenspiele, Schattenspiele hatten einst nicht nur Unterhaltungs-, sie hatten auch eminente Kommunikations-, Informations-, Sozialfunktionen. Die modernen Kommunikations- und Unter haltungsmedien haben ihnen, zumindest in den herkömmlichen Formen, den Garaus gemacht. Den Ritterspielen der schwertkämpfenden „Pupi“ im sizilianischen Acireale ebenso wie den türkischen Schattenspielen „Karagöz“ oder den javanischen Stab-Schattenpuppen.

Puppenspiele, um bei diesem Wort als Überbegriff zu bleiben, haben sich als eine überaus schwer, eigentlich überhaupt nicht, konservierbare Kunstform erwiesen. Wo sie ihre Funktion verloren hatten, und damit ihr traditionelles Publikum (oder mit dem Publikum die Funktion), und nur noch aus folkloristi- schen oder musealen Erwägungen weitergeführt wurden, erwies sich das, was dabei herauskam, als Sache von eher zweifelhaftem Wert. Für die Kunst, mit Puppen zu spielen, ist der Satz, daß Stagnation Verfall bedeutet, ein besonders unbarmherziges Gesetz.

Wert als künstlerisches Ausdrucksmittel, und damit Leben, hat das Puppenspiel nur dort, wo es konsequent weiterentwickelt wird. Wo es immer wieder nach neuen Inhalten und Formen sucht. Aber leider ist das Puppenspiel eine Kunst, die einen sehr hohen Aufwand erfordert. Personellen Aufwand, Zeitaufwand, Engagement, wenn man will Besessenheit.

Seit dem Zweiten Weltkrieg kamen neue Impulse vor allem aus den Oststaaten. Aus Polen vor allem und aus Rumänien. In Bukarest gibt es ein zentrales Puppentheater mit einem Personalstand, der einem „Menschentheater“ alle Ehre machen würde, und fünf Spielstätten in verschiedenen Teilen der Stadt. Im Westen gibt es etwa den Schweden Meschke, dessen Inszenierung des „Ubu roi“ während der Wiener Festwochen zu sehen war.

Auch von Wien gingen und gehen sehr wesentliche Weiterentwicklungen dieser Kunstform aus. Während die Puppen von Richard Teschner in der Theatersammlung verrotten, zerreibt sich, mit Erwin Piplits, eine der ganz großen Begabungen des Puppenspiels im Kampf mit unbezahlten Rechnungen, im Kampf um die Termine seiner Helfer, ohne die er nicht spielen, denen er aber natürlich keine Existenzgrundlage bieten kann, da er selber keine hat, im Kampf um Räume, in denen er proben kann, und nicht zuletzt um einen Lagerraum. (Ein riesiges Problem, seit er mit lebensgroßen Figuren arbeitet.)

Das Puppenspiel als Institution, als eine zwischen allen Sesseln auf dem harten Boden der Not sitzende Kunst, und in Wien die bedrängte, tief unter jedes Hilfsarbeiter-Minimum eingeschränkte Existenz des Erwin Piplits, bedeutet eine Herausforderung an unser wirtschaftliches System. Die Frage lautet: Kann ein „kapitalistischer“ Staat wie Österreich für eine Kunst, die sich selbst dann, wenn sie erfolgreich ist, nicht seihst erhalten kann, und deren Förderungswürdigkeit einstweilen im Bewußtsein einer auf Burg und Oper (und allenfalls eine Wiener Schule) eingeschworenen Bevölkerung einstweilen noch nicht verankert ist, wenigstens ein Zehntel dessen aufbringen, was ein „sozialistischer“ Staat wie Rumänien für sie übrig hat — aber ohne die im Osten damit verbundenen Einschränkungen der künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten? Oder direkter: Kann Österreich für die Kunst dea Puppenspiels nicht wenigstens pro Jahr halb soviel erübrigen wie für die Bundestheater an einem einzigen, aber an jedem einzelnen Tag des Jahres?

Es könnte natürlich. Das Problem besteht lediglich darin, es ihm be- wußtzumachen. Wobei vor allem zwei Informationsdefizite zu existieren scheinen. Eines, was die Förderungswürdigkeit, ein anderes, was den durch die Förderung zu ermöglichenden Aufwand betrifft. Letzteres ist womöglich größer als ersteres.

Das heißt: Welche Entwicklungsmöglichkeiten, und welche internationalen Wirkungsmöglichkeiten, in Piplitsens „Theater für Puppen“ stecken, spricht sich neuerdings herum. Die jüngste Veranstaltung der Zentralsparkasse und ihres Kunstfonds („Kunst in der Kassenhalle“) könnte hier mitgeholfen haben, einen Bann zu brechen. Das „Pupo- Drom“ (neues Markenzeichen des „Theaters mit Puppen“) des Erwin Piplits und seiner Mitarbeiter (unter denen vor allem Ulrike Kaufmann und Anna Maria Eckhoff zu nennen sind) ist noch auf keine „Masche“ festgelegt, sondern in voller Entwicklung begriffen. Der „Zirkus“, eine „Show der Dinge“, in der Gegenstände des täglichen Lebens zu einem künstlerischen Eigenleben erwachen, beschreitet einen völlig anderen Weg als die „Stradafüßler“. Letzteres Stück hat eine Handlung, aber nicht die auf dem Theater der Puppen oft qualvoll deplazierten Dialoge. Es handelt sich um eine visuelle Umsetzung der wörtlich rezitierten (und lediglich gekürzten) Pinkafelder Chronik von einer Räuberbande des frühen 19. Jahrhunderts, die sich „die Stradafüßler“ nannte. Die Handlung, der Chronik wie des Spiels, ist so einfach wie lehrreich: Zuerst bringen die Räuber die Bürger, dann die Bürger die Räuber um. Die Figuren haben keine komplizierte Mechanik. Die Schauspieler sind sichtbar, bewegen die Figuren unter den Augen des Publikums. Als Material dienten gefundene Gegenstände. Alte Körbe, Hefen, Ofenrohre von burgenländischen Misthaufen.

Es sind nicht zuletzt die weiteren Pläne, an denen Piplits arbeitet, die es notwendig erscheinen lassen sollten, das Problem seiner Arbeitsbedingungen zu lösen. (Die weiteren Projekte: Ein Stück über „Die Bürger von Schilda“ und eine „Schlacht von Mogersdorf“ aus der Sicht der Dorfbewohner, die die Lasten der Schlacht tragen.)

Hier wäre das zweite Informationsdefizit zu erwähnen. Theater mit Puppen , ist erstens keine Freizeitbeschäftigung und zweitens keine Sache für ein möbliertes Kabinett. Vor allem, wenn sich die Künstler nicht auf die optische Wirkung ihrer Puppen verlassen, sondern wenn die Aufführung mit der technischen Perfektion der Arbeit steht und fällt. Wenn etwa das Ausspringen eines Ensemblemitgliedes (nicht, weil es nicht mehr will, sondern weil es Geld verdienen muß) tagelange, wenn die Neueinstudierung einer Produktion (nach Fertigstellung der Puppen und Dekorationen) wochenlange Probenarbeit erfordert. Platzraubende Probenarbeit, in Anbetracht der Größe der Figuren.

Das heißt, daß Erwin Piplits tatkräftiger als bisher gefördert werden sollte — und auch von mehr Stellen als bisher. Wobei ihm Soforthilfen in Form einmaliger Subventionen zwar kurzfristig aus der Patsche helfen, nicht aber das Problem prinzipiell lösen. Dieses Problem heißt: Eine Spielstätte als Heimstatt für ein Theater, das Österreich im Ausland bereits mehrfach Ehre gemacht hat und noch viel mehr Ehre machen könnte. Am besten ein nicht zu kleines, stillzulegendes Kino. (Derlei soll es sogar in recht zentraler Lage geben!)

Dazu müßte eine regelmäßige finanzielle Stützung kommen, denn tragbare Eintrittspreise sind selbst bei ausverkauftem Haus kaum in der Lage, den Aufwand zu decken. Fixe Forderungsbeträge oder eine Subventionierung der Eintrittskarten — über die Zweckmäßigkeit cįes einen oder anderen Systems wäre zu reden. Doch zu setzen wären Taten.

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