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Die Macht des Staunens

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Von E.T. A. Hoffmann gibt es eine wunderbare Satire auf das zeitgenössische Theater, den Text „Seltsame Leiden eines Theater-Direktors” aus dem Jahr 1806, in dem sich zwei Vertreter dieser Zunft über Arger und Zwietracht im täglichen Theaterbetrieb unterhalten. Einer von ihnen hat die Lösung gefunden. Er ist Direktor eines Marionettentheaters und kann die Vorzüge seiner hölzernen Schauspieler gar nicht genug preisen. Sie wären fügsam, uneitel, brauchten keinen Souffleur, geradezu himmlische Eintracht präge das Zusammenleben der Truppe, von der materiellen Redürfnislosigkeit ganz zu schweigen.

An solche „praktischen” Gründe haben Airan Berg und Martina Winkel, die Veranstalter des Puppenthea-terfestivak „Die Macht des Staunens” in den Räumen des Wiener Künstlerhaustheaters, wohl nicht gedacht, als sie vor fünf Jahren erstmals ihr mittlerweile international beachtetes Projekt ins lieben riefen. Es ging ihnen vielmehr darum, die Vielfalt dieser in Österreich noch immer vernachlässigten Theaterform zu veranschaulichen. Mittlerweile geht man in die dritte Runde, und Airan Rerg kann mit Stolz vermerken: „Puppentheater ist in den letzten Jahren ein Synonym für modernes Theater geworden, ein visuelles starkes Bildertheater, das nicht nur immer mehr Eigenständigkeit gewinnt, sondern auch ein Ort für formale Suche und Experimente ist.”

Als Inspirationsquelle für Theatervisionen ist Puppentheater schon lange anerkannt. Man denke beispielsweise an Heinrich von Kleist, der in den künstlichen Gebilden auf der Bühne jene Grazie wiederentdeckte, die, wie er in seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater” schreibt, dem Menschen mit seiner Unschuld verlorengegangen ist oder an die

Theaterentwürfe der Avantgarde der 20er Jahre, insbesondere Gordon Craig, der mit seinem „entpersönlichten” Schauspieler, der „Über-Marionette”, ein unerreichbares Idealbild erschuf, dem er fast schon mystische Verehrung schenkte.

Die Praxis sah immer und sieht noch heute anders aus. „Fahrendes Volk” im Mittelalter, später als „Handwerk” eine Randerscheinung der Volkskunst, wird Puppentheater heute vor allem mit dem Kindertheater identifiziert und zum Teil sogar als „Kasperltheater” abgewertet. Ein Faktum, das stets Differenzierungen und Erklärungen erfordert, denen sich die Veranstalter diesmal entziehen indem sie ausschließlich Erwachsenenproduktionen eingeladen haben. „Uns ist es wichtig zu zeigen, daß hier eine Entwicklung stattfindet, international wie in der heimischen Puppentheaterszene”, erklärt Airan Berg das ungewöhnlich breite Spektrum des Angebots, das sich über Schattentheater, Spiel mit Marionetten, mit Stabpuppen, Objekten, Masken, Körperpuppen und Tanzelementen erstreckt.

Gespielt wird in der modernen offenen Form, bei der die Spieler als sichtbare Partner ihrer Puppen agieren, in manchen Produktionen vereinen sich die unterschiedlichen Erscheinungsformen oder uralte Traditionen des Puppentheaters gehen eine Symbiose mit modernen theatralen Ausdruckformen ein. Wie zum Beispiel bei dem Japaner Hoichi Okamo-to, der aus den Wurzeln des traditionellen japanischen Puppentheaters, dem Bunraku, schöpft, das noch älter als das No- und Kabuki-Theater ist. Mit dem Stück „Komachi” erzählt er eine alte Legende über eine wunderschöne, aber einsam gebliebene Poetin. Aus New York kommt der von der New York Times schlicht als „Master” betitelte Eric Bass mit seiner mehrfach preisgekrönten Arbeit „ Au-tumn Portraits”, einer subtilen und humorvollen Geschichte über das Leben, das Altern und den Tod, aus Jerusalem Yehuda Almagors mit Pär Lagerkvist düsterem Stück „Der Zwerg”, aus Deutschland das Figurentheater Tübingen mit der skuril-len Produktion „Flamingo Bar” und erstmals ist auch ein Puppenspieler aus England mit dabei, Stephen Mottram, der mit Hilfe vieler kleiner Holzpuppen die düstere Zukunftsvision „Animata” entwirft.

Mit Spannung darf man auch die Produktionen der heimischen Vertreter erwarten, die diesmal ausschließlich Uraufführungen zeigen. Airan Berg und Martina Winkel setzen sich in ihrem eigenen Projekt „Macht-Geil” mit der David-Geschichte aus der Bibel auseinander, und wer glaubt, die klassischen Helden der Literatur von Siegfried über Herkules bis Old Shatterhand seien in den ewigen Jagdgründen gut aufgehoben oder Shakespeares große Dramengestalten könnten nur von Charakterdarstellern gespielt werden, wird von Christoph Bochdanskys Fallstudie über das Wilde der Männer „Das Buch der Kerle” und Christian Suchys Objekttheater „inmitten (m)einer stille” eines Besseren belehrt werden.

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