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Paradiesgärten des Propheten

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In Gegenwart des Sheikh ei Aznar, des höchsten geistlichen' Würdenträgers des Islam, wurde das britische Festival „Die W«lt des Islams“ von der Königin eröffnet. Über Nacht würde Londfon zum Treffpunkt von Kunstsammlern und -händlern, Liebhabern und Fachleuten, und nicht nur in Museen, sondern auchÖin Privatgalerien und Auktionshäusern, wie Sotheby und Chrüpe, im Rahmen von Kolloquien, Kongressen, Symposien und^Emi-naren, Vortragsreihen und Konzerten gewinnt der^irfKucher Einblick in eine Welt, die ihm bisher verschlossen wai>und die sich ihm m ihrer ganzen Pracht,offenbart.

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In Gegenwart des Sheikh ei Aznar, des höchsten geistlichen' Würdenträgers des Islam, wurde das britische Festival „Die W«lt des Islams“ von der Königin eröffnet. Über Nacht würde Londfon zum Treffpunkt von Kunstsammlern und -händlern, Liebhabern und Fachleuten, und nicht nur in Museen, sondern auchÖin Privatgalerien und Auktionshäusern, wie Sotheby und Chrüpe, im Rahmen von Kolloquien, Kongressen, Symposien und^Emi-naren, Vortragsreihen und Konzerten gewinnt der^irfKucher Einblick in eine Welt, die ihm bisher verschlossen wai>und die sich ihm m ihrer ganzen Pracht,offenbart.

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Mehr als 600 kostbare Teppiche und Keramiken, Webereien und Kacheln, Glas-, Jade-, Bergkristall-, Marmor-, Elfenbein- und Metallgegenstände, Manuskripte und Malereien befinden sich in der Hay-ward Gallery und legen Zeugnis ab für elf Jahrhunderte „Kunst des Islams“ von den Pyrenäen bis Indien. Reichverzierte Korane sind in der „King's Library“ des British Museum zu besichtigen, während in der „Prints and Drawings“ Gallery desselben Museums Malereien der mohammedanischen Höfe Indiens Kunde von dem großzügigen Mäzenatentum der Mogulen bringen. Ziselierte und mit Silber eingelegte Metallgegenstände befinden sich im Victoria & Albert Museum, Kodizes und Apparate der „Science and Technology“ im Museum der Naturwissenschaften, und die noch lebende Tradition von Architektur und Kunstgewerbe kommt im Völker-kundemuseum, dem Commonwealth

Institute und der reichdokumentierten Musikinstrumentensammlung des Horniman Museum zu ihrem Recht. Die Ausläufer dieses Kunstmarathons reichen bis nach Sheffield und Manchester, -wo Qachquais aus dem Iran und zentralpersische Teppiche ausgestellt sind, und prächtige Kataloge und Sonderveröffentlichungen, anschauliche Konzerte, Schallplatten und Fernsehfilme ergänzen die Ausstellung aufs Trefflichste. So etwas hat es wohl kaum je zuvor gegeben. Es ist ein einmaliges Unternehmen, eine großartige Leistung, und es vermittelt ein unvergeßliches Erlebnis. Kerne Kosten und kerne Mühe wurden gescheut, um sämtliche Aspekte islamischer Kultur und Zivilisation zu belegen und 250 Museen, Bibliotheken und Privatsammlungen aus 30 verschiedenen Ländern, u. a. auch Österreich, an dem Projekt zu beteiligen.

Nahezu unfaßbar ist die Einheit dieser Kultur, die im Jahre 621 in

Medina ihren Ausgang nahm, mit blitzartiger Geschwindigkeit auf die benachbarten arabischen Länder übergriff und bereits 732, hundert Jahre nach dem Tode des Propheten, ein Gebiet umfaßte, das sich von Arabien nach Nordafrika und von Spanien nach Samarkand erstreckte. Graeco-römische, persische, südostasiatische und chinesische Kulturelemente wurden absorbiert und einer neuen Kultur einverleibt, die völlig durch den Koran, die niedergeschriebene Offenbarung Gottes, bestimmt ist.

„Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet.“ Fünfmal täglich werden diese Worte von Kairo bis Teheran und von Bagdad bis Damaskus von den Minaretts verkündet. Sie werden in reich verzierter Kalligraphie auf Papier gezeichnet, auf Glas gemalt, in Seide gewirkt, in Holz geschnitzt, in Bronze ziseliert, in Stern gemeißelt, in Lehm geformt, auf Häusern, Gewändern, Teppichen und Glasfenstern, Holztüren, Gebrauchsgegenständen und Manuskripten angebracht. Dasselbe Motiv, dieselbe Sprache und derselbe Glaube prägen Kunst und Lebensart der 600 Millionen zählenden mohammedanischen Gemeinde.

Dem Wort Gottes, wie es im Koran festgelegt ist, kommt eine Bedeutung zu, der man im Westen kaum etwas zur Seite stellen kann. In einer Zivilisation, die bis dahin auf mündlicher Überlieferung beruhte, er-

oberte das geschriebene, das schön geschriebene Wort und somit die Schönschrift, die Kalligraphie, neben Architektur den ersten Rang unter den Künsten des Islams, und zusammen mit Arabeske, geometrischem Muster und figürlicher Darstellung bestimmt sie seitdem die Ornamentik des Islams.

Pflanzen und Tiere, Abstraktes und Gegenständliches fügen sich so nahtlos und unauffällig in den dekorativen Plan, daß es oft schwer ist, zu bestimmen, wo die Schrift aufhört und die Ranke beginnt, wo sie ineinander übergehen, sich in ein geometrisches1 Muster auflösen, in zierlicher Arabeske verschlingen und in unendlicher Variation vervielfältigen. Das Auge wird nicht müde, sich an der Vielfalt in der Einheit zu ergötzen. Die Freude an Pflanzen und Blumen, Gärten und Teichen kennt keine Grenzen. Sie schmücken die Paradiesgärten des Propheten.

Auch Lernen ist ein religiöser Akt, und das Erwerben von Wissen gehört zu den vornehmsten Pflichten jedes Mohammedaners. Nicht umsonst erfreute sich der Orient im Mittelalter eines so hohen Ansehens. „Ex Oriente lux“ bezog sich nicht nur auf Kunst und Dichtung, sondern vor allem auf Philosophie, Rechtssprechung und Mathematik, Medizin und Astronomie. Wir wissen, daß die Bibliothek im kaiserlichen Palast von Schiraz 360 Räume umfaßte, daß Cordova nicht nur zahlreiche Moscheen, sondern auch 70 Bibliotheken und 900 öffentliche Bäder besaß, daß sich in Kairo die älteste noch bestehende Universität, die tausendjährige al Azhar, befindet und daß Observatorien und Ho-

spitäler im Orient bereits im Mittelalter verbreitet waren. Werkzeuge und Apparate, Quadranten und Kompasse, Pumpen, Wasseruhren und Meßgeräte, üppig, gebundene medizinische Abhandlungen und pharmakologische Tabellen im naturwissenschaftlichen Museum belegen die Entdeckungen' mohammedanischer Gelehrter und die farbfreudige Darstellung anatomischer Befunde ebenso wie die kunstvollen Verzierungen medizinischer Kodizes, weisen darauf hin, daß Kunst und Wissenschaft zu jener Zeit eine untrennbare Einheit bildeten.

Was zur Zeit in England gezeigt wird — eine so lückenlose und so reichhaltige Dokumentation islamischer Kunst, Wissenschaft und Lebensweise dürfte sich zu unseren Lebzeiten kaum noch einmal verwirklichen lassen. Sie wurde nur durch beträchtliche finanzielle Zuwendungen von Golf- und Nahostländern ermöglicht, und ohne öl-gelder wäre es kaum möglich gewesen, das astronomische Budget zu decken. Vielleicht sollte man im Auge behalten, daß mit der Planung bereits vor der Ölkrise begonnen wurde. Daß sie der Durchführung zugute kam, könnte man fast als eine höhere Fügung betrachten. Sie warf zwar einige Schatten auf das Unternehmen, schmälerte jedoch nicht den ästhetischen Genuß der Besucher und das Verdienst der zahlreichen unermüdlichen und fachkundigen Mitarbeiter, die zum Erfolg der Ausstellung beitrugen und die Verwirklichung des Projekts zustande brachten.

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