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Canterbury polemisiert

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Es ist auf den ersten Blick nicht leicht erklärlich, warum der Erzbischof von Canterbury, Dr. Fisher, in diesem Augenblick mit seiner ganzen Autorität einen polemischen Angriff auf die katholische Kirche unterstützen mußte. Dr. Fisher benutzte das Forum der „Convocation“ der anglikanischen Kirche zu der von der gesamten englischen Presse an führender. Stelle veröffentlichten Erklärung, daß die Katholiken seit einiger Zeit ihre Propaganda verstärkt hätten und exklusivere Forderungen denn je stellten. Er empfahl seinen Zuhörern dann eine von einer anonymen Gruppe anglikanischer Pfarrer verfaßte Broschüre, „Unfehlbare Fehlbarkeiten“, die soeben von der „Society for the Promotion of Christian Knowledge“ herausgegeben wurde — die erste Auflage ist bereits vergriffen ...

Der Ausfall des anglikanischen Erzbischofs kommt um so überraschender, als Dr. Fisher erst vor kurzem gegen die Behandlung Kardinal Wyszynskis öffentlich protestiert und den Kardinal sowie dessen gläubiges Volk der Gebete und Sympathien aller Christen in England versichert hatte. Der Erzbischof von Westminster, Kardinal Griffin, sprach damals dem anglikanischen Primas den Dank der englischen Katholiken aus, und diese Erklärung dürfte in protestantischen Kreisen der anglikanischen Staatskirche unliebsame Wirkungen hervorgerufen haben. Dr. Fisher ist nämlich nicht nur Erzbischof von Canterbury, sondern zugleich auch der Präsident des „Britischen Kirchenrats“, und wann immer er sich in einer für Katholiken und Anglo-Katholiken freundlichen Weise ausläßt, erhebt sich sogleich ein Sturm der Entrüstung in den Kreisen der nonkonformistischen Kirchen, denen der bedrängte Erzbischof dann mit einer gegenteiligen Erklärung Rechnung tragen muß.

Der Angriff ist von den englischen Katholiken mit Ruhe aufgenommen worden. Die vier katholischen Wochenblätter beantworten Punkt für Punkt und in sachlichem Ton die Anklagen des anglikanischen Pamphlets.

Die Broschüre der anonymen anglikanischen Pfarrer ist jedoch weniger als Signal zu einem neuen antikatholischen Eeldzug zu werten denn als symptomatischer Ausdruck der gegenwärtigen theologischen Unsicherheit der englischen Staatskirche. Nicht umsonst befassen sich die Autoren in dem Hauptteil des 38 Seiten umfassenden Pamphlets mit dem anglikanischen Anspruch, die wahre katholische Kirche zu sein, und mit dem Bestehen auf die Gültigkeit der anglikanischen Weihen. Der erstere Anspruch erinnert lebhaft — dies wurde von Dr. Heenan, dem Bischof von Leeds, im „Universe“ wie auch vom „Tablet“ betont — an die berühmte Schlagzeile der „Times“, als einmal ein starker Nebel den Kanal einhüllte: „Kontinent isoliert.“ Aehnlich suchen jetzt die anglikanischen Apologeten zu beweisen, daß sich nicht sie, sondern die katholische Kirche seit dem 16. Jahrhundert, als Papst Pius V. Königin Elizabeth I. exkommunizierte, im Schisma befinde, während die anglikanische die Be-wahrerin der wahren Katholizität geblieben sei. Die katholischen Antworten haben es leicht, mit Berufung auf nicht katholische Historiker, wie Maitland, Gardener, Frere, zu beweisen, daß das Ergebnis der Reformation in England wie auch des Opfertodes der katholischen Märtyrer eine völlig neue Kirche war, deren Glaubensartikel von der früheren, vom heiligen Augustinus in England begründeten katholischen Kirche, in wesentlichen Dingen abwichen. Der von Königin Elizabeth I. eingesetzte Erzbischof Whitgift sagte: „Bisher bedeutete Priester jemand, der ein Opfer darbringt; jetzt heißt es Ministrant des Evangeliums.“ Das ameri-. kanische „Prayerbook“ verordnet, daß es nur zwei Sakramente gibt, leugnet „die Wandlung der Substanz des Brotes und Weines“ und beschreibt die Messe als „blasphemische Fabeln und gefährliche Täuschungen“.

Was den Anspruch auf Gültigkeit der anglikanischen Weihen betrifft, so wurde in dem von König Eduard VI. autorisierten Ordinal von 1550 der Begriff eines opferbringenden Priestertums abgeschafft und das Wort „Altar“, das im katholischen Ordinal nicht weniger als 60mal vorkam, von dem des „heiligen Tisches“ ersetzt. In der Regierungszeit Eduard VI. wurden überdies etwa 60.000 Altäre katholischer Kirchen zerstört und durch Tische ersetzt. Papst Leo XIII., der 1896 in „Apostolieae Curae“ die anglikanischen Weihen als ungültig erklärte, wird von den anglikanischen Autoren der „intellektuellen Unredlichkeit“ bezichtigt, weil er das Vorwort des Prayerbook des Jahres 1550 übersah, in dem nämlich die Absicht bekanntgegeben wird, „die Weihen von Bischöfen, Priestern und Diakonen fortzusetzen“. Im Text jedoch, mit dem Papst Leo XIII. sich befaßte, war das Wort „Opfer“ ausgemerzt worden. „Was fortzusetzen' auch immer die Absicht der Reformatoren gewesen sein mag“, schreibt Dr. Thomas Holland, der stellvertretende Superior der „Catholic Missionary Society“ im „Catholic Herald“, „die Absicht, das katholische Priestertum fortzusetzen, bestand nicht; vielmehr war es die Absicht, dieses auszuschalten.“

Weitere Anklagen, die das anglikanische Pamphlet gegen die katholische Kirche erhebt, richten sich gegen das katholische „Ehemonopol“, die „Intoleranz“ der Katholiken und die „Kundentreiberei“ zu Konversionen. Bischof Heenan bemerkt dazu in seiner Entgegnung:

„Die Katholiken werden von diesem Angriff eher verwirrt als verwundet sein. Wir sind bereit, zu glauben, daß diese Autoren den jetzigen Augenblick der Veröffentlichung ihrer Broschüre mit Widerwillen, aber von der Stimme ihres Gewissens angetrieben, gewählt haben ... Aber heute, da eine Verfolgungszeit, gefährlicher als je unter Nero, ständig an Unmenschlichkeit zunimmt, können wir nicht mehr tun, als unsere Liebe für unsere anglikanischen Brüder wieder zu betonen und ihre Gebete für die ,Kirche des Schweigens' zu erbitten.“

Im gleichen Sinne wird dieser anglikanische Angriff von anderen katholischen Stimmen in England beurteilt. Die englische Presse hat dem anglikanischen Angriff und den katholischen Antworten weiteste Verbreitung gegeben, und zwar in einer Form, die auf eine Verurteilung des anglikanischen Schrittes schließen läßt, wie dies auch etwa aus dem Großteil der dem „News Chronicle“ zugegangenen Leserbriefe zu schließen ist. Selbst das offizielle Organ der anglikanischen Kirche, die „Church Times“, scheint durch das Vorgehen des Erzbischofs in Verlegenheit gebracht worden zu sein. Sowohl „Tablet“ wie „Catholic Herald“ weisen darauf hin, daß die heutigen Kirchenverfolgungen und die Säkularisierung der westlichen Welt das Zusammenstehen aller jener, die an Gott und Seine Offenbarung glauben, zur „verzweifelten Notwendigkeit“ machen. Der anglikanische Angriff dürfte kaum diesem Ziele dienlich sein. Dieser Angriff ist noch in der vergangenen Woche von dem bekannten protestantischen Theologen und Dogmatiker, Dr. Nathaniel M i c k 1 e m, mit einer ähnlichen Broschüre unterstützt worden. „The Pope's Men“ versteigt sich zu der Behauptung, daß es in marxistischen Ländern mehr religiöse Freiheit gebe als in katholischen, mit Ausnahme von Oesterreich und Irland. Doktor Micklem leitet seine scharfe Kritik katholischer Erziehungsmethoden und „katholischer Intoleranz“ mit einem Lob der deutschen Dominikanerpatres ein, „mit denen mich vor dem Kriege unverhüllte Bruderschaft in Christus verband“. Auf beide Angriffe könnte mit Newmans Worten geantwortet werden, die dieser vor 100 Jahren in einer Kontroverse mit dem Anglikaner P u s e y gebrauchte:

„Vor langer Zeit gab es einen, der sein Schwert mit einem Myrtenkranz schmückte. Sie haben Ihren Olivenzweig mit einem Katapult abgeschossen.“

Wie es jedoch auch zu Newmans Zeiten der Fall war, können derartige Geschosse den gegenteiligen Erfolg zeitigen und in anglikanischen Kreisen selbst die Sehnsucht nach dem unfehlbaren Lehramt der katholischen Kirche bestärken.

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