Exemplarischer Christ der Moderne

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Am 19. September wird Papst Benedikt XVI. in Birmingham John Henry Newman (1801–1890) seligsprechen. Vom anglikanischen Kirchenreformer zum katholischen Kardinal: ein Weg zur Freiheit eines Christenmenschen.

Der „erste“ Newman: Der junge Charismatiker erfährt, dass christlicher Glaube kein Traditionsgut ist, sondern in der mystischen Erfahrung einer persönlich-individuellen Berufung ernsthaft leben heißt. Aus freier Zustimmung tritt er 1845 in die katholische Kirche ein.

Der „zweite“ Newman: Der akademische Lehrer und Prediger in Oxford, der zur Reform der anglikanischen Staatskirche aufruft? Der Gründer der katholischen Universität in Dublin, der das Ideal der freien, unverzweckten Bildung, dem neuen (und heute siegreichen) Universitätsideal der Utilitaristen entgegensetzt. Die Universität ist für ihn kein Supermarkt, wo effizient und marktgerecht Ausbildungsdosen angeboten werden, sondern ein Netz von Personen, die sich Rechenschaft geben über das Wissen der Gesellschaft.

Der „dritte“ Newman: Der Konvertit, der zur „irischen Dienstmädchen-Religion“ übertritt und damit ins gesellschaftliche Out. Der bald die Defizite der Kirche Jesu Christi erkennt: mangelnde Bildung, falsche Zuversicht auf Macht und Befehl, und eine unzureichende Laienschaft. Ein Konvertit ohne „Konvertitis“, weil er seine Herkunftskirche achtet und seinen langen Lebensweg als Erweiterung und Integration so unterschiedlicher christlicher Glaubensformen erlebt. Er stiftet eine selige Unruhe in diese Kirche ein: Leben heißt, sich wandeln, und vollkommen sein heißt, sich oft gewandelt zu haben. So lautet die Leitidee jenes Buches, mit dem er sich in die Kirche hineingeschrieben hat.

Der „vierte“ Newman: Schutzpatron aller, die mit brennendem Gewissen nach der Wahrheit suchen, immer wieder neu, auch in der wahren Kirche, die oft meint, sie zu besitzen. Häufig wird sein Trinkspruch zitiert: Erst das Gewissen, dann der Papst. Weniger angenehm ist seine These, dass es zwischen Atheismus und römischem Katholizismus deswegen logisch kein Drittes geben könne, weil eine Offenbarung Gottes notwendigerweise mit jener Autorität ausgestattet sein muss, die sie beansprucht. Gerade weil er die Unfehlbarkeit der Kirche immer verteidigte, legte er großen Wert darauf, dass deren Instanzen plural sein müssen: Papst und Bischöfe, die Kirchenväter, der Konsens der Theologen und aller Glaubenden.

Christ in einer neuen Weltepoche

Für mich ist er der exemplarische Christ in einer neuen Weltepoche des Glaubens! Ganz kurz sein Leben: Am 21. Februar 1801 wird John Henry Newman in London geboren. 1816 kommt er nach Oxford ans Trinity-College. Ab 1833 tritt er in der „Oxford-Bewegung“ für eine an der Alten Kirche orientierten Reform der anglikanischen Staatskirche ein. Auf dem Höhepunkt seines Einflusses als Anglikaner wird seine Interpretation der 39 Artikel, der anglikanischen Glaubenssätze, verurteilt.

Am 9. Oktober 1845 wird er in die römisch-katholische Kirche aufgenommen. Nach einem Studienaufenthalt in Rom gründet er in England die Ordensgemeinschaft Oratorium in der Tradition Philipp Neris, zunächst in Maryvale, dann in Birmingham. Richtig Erfolg hatte er in der katholischen Kirche aber nicht: Die Gründung der katholischen Universität in Irland, eine englische Bibelübersetzung, die Übernahme einer theologischen Zeitschrift für Laien, die Gründung eines Oratoriums in Oxford. 1864 scheint er am Ende, auch wegen der Intrigen seiner innerkirchlichen Gegner. Seine kritische Position zur Unfehlbarkeitsdefinition des Ersten Vatikanischen Konzils behagt vielen nicht. Nach dessen Verkündigung nahm er es in wörtlicher Form an; und das bedeutete: in einer minimalen Interpretation.

Eine Kultur der Glaubenslosigkeit

Spät kam er zu Ehren, 1879 machte ihn Papst Leo XIII. zum Kardinal. Als er am 11. August 1890 starb, ehrte ihn ganz England wie einen Heiligen. Er hat selber gespürt und erlebt, dass die „christliche Welt“ zu Ende geht und eine neue Situation, die er am Ende seines Lebens als Kultur der Glaubenslosigkeit bezeichnete, aufzieht.

In solcher Zeit wird der Glaube nicht „vererbt“, sondern durch persönliche Aneignung verwirklicht. Gottesbekenntnis und Selbstannahme waren für Newman tief miteinander verbunden: Ich kann nur mit mir an Gott glauben. Deshalb gab es für ihn seit seiner Jugend nur zwei selbstevidente Wesen: Ich selbst und mein Schöpfer (myself and my creator). Daher steht jeder Menschen in seinem Gewissen unmittelbar vor Gott – und niemand darf sich in diese Beziehung hineinmischen. Daher dienen Papst und Kirche dieser ersten Gegenwart Christi und Gottes im Herzen jedes Menschen.

Diese letzte Diskretion jedes einzelnen Menschen vor Gott achten wir dadurch, dass wir vorbehaltlos andere Freiheiten anerkennen. Dieses Gewissen ist aber nicht Beliebigkeit und subjektive Willkür, sondern wächst im Ernst des eigenen Lebens, in der achtsamen Aufmerksamkeit auf den Ruf Gottes an mich. Gottes Ruf aber ist immer überhörbar. Daher wachsen alle Glaubenden nur in einer Kultur der Aufmerksamkeit. In der modernen Welt aber – das war Newmans Hauptanliegen – muss diese Kultur in einen umfassenden Bildungsprozess integriert sein. Nicht die Vernunft, sondern die Fantasie ist die Mutter des Unglaubens.

Schwindet die Idee Gottes?

In den späten Jahren prophezeite Newman eine Zeit des umfassenden Unglaubens, in der die Idee Gottes aus dem Geiste der Menschen verschwinden könnte. Deshalb kämpfte er gegen jene Formen des theologischen Liberalismus, die Wahrheit in der Religion zurückweisen und Glaubensfragen als Geschmacksfragen ansehen.

Doch gegen alle Untergangs-Hysterie riet er zu einer tiefen Gelassenheit. Die Glaubenden sollen tun, was sie immer tun: beten und Gutes tun. Dazu gehört seiner Meinung nach aber auch, die Wahrheit zu suchen und zu umarmen, wo auch immer wir ihr begegnen.

Daher können wir offen zugeben, dass wir manches nicht verstehen, das meiste nicht wissen, oder auf viele Fragen auch keine Antwort wissen. Wer glaubt, hat tausend Schwierigkeiten, aber deshalb keine Zweifel, weil nicht das Wissen, sondern die Beziehung trägt. Denn Glauben bedeutet nicht, über alles Bescheid zu wissen, sondern aus einer tiefen, innigen Beziehung mit Christus zu leben. Christus ist aber in dieser Welt immer verborgen: Daher ist ein Christ jemand, der auf Christus schaut, der hofft und voller Erwartung in seinem Leben bleibt. Christ ist, wer das Bild Christi in seinem Leben realisiert.

Newman lebt, was auseinanderzufallen droht: charismatische Frömmigkeit und intellektuelle Zucht im sorgsamen Werten von Erfahrungen und Argumenten, Innerlichkeit und Weite des Gedankens im geschichtlichen Blick. Seine Katholizität meint immer: Gewissen und Papst, Dogma und Liberalität, Geschichte und Wahrheit, Entschiedenheit und Weite, Heiligkeit und Kritik.

Eine Erfahrung machen viele, die ihm geistig begegnen, sanft aber unendlich ernst fordert er auf: „Suche nach dem Licht Christi, wo immer es dir aufleuchtet!“

* Der Autor ist Dogmatik-Professor an der Uni Innsbruck und Vorsitzender der Internationalen Deutschen Newman-Gesellschaft

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