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Englische und römische Katholiken

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Das Klima der heutigen Beziehungen zwischen Anglikanern und englischen Katholiken leidet noch stark unter den historischen und psychologischen Konflikten der Vergangenheit. Die Schwierigkeit, sie zu überbrücken, wird im Ausland oft unterschätzt. Die anglikanische Kirche ist heute nicht mehr, wie im 19. Jahrhundert, stolz auf ihr protestantisches Erbgut. Die großen Konvertiten, Newman und Manning, haben dazu beigetragen, daß heute die „katholischen“ und nicht mehr die evangelischen und kalvinistischen Richtungen überwiegen. Mit der „Oxford-Bewegung“ des vergangenen Jahrhunderts setzte jene große innere Erneuerung ein, die zur Gründung vieler anglikanischer Ordensgemeinschaften führte und sich von der reinen Bibeltradition und einem nur ethischen Christentum abwandten. Der im wesentlichen katholische Krönungsgottesdienst des vergangenen Jahres charakterisiert diese Entwicklung. Die „Church of England“ ist nicht „protestantisch“ und leugnet, dies je gewesen zu sein; sie sieht sich als „den reformierten Arm der katholischen Kirche in England“ an.

Logik war nie eine englische Tugend und Logik darf auch ebensowenig auf die „Church of England“ angewendet werden wie etwa auf die ungeschriebene englische Verfassung oder gar auf den englischen Nationalsport, Cricket. In allen drei Fällen handelt es sich um ein Mysterium des Inselreiches, in das man hineingeboren werden kann, das man instinktiv oder gefühlsmäßig begreift, das sich jedoch allem rationellen Verständnis verschließt. England ist eine Monarchie und Demokratie zugleich und die Mischung dieser Regierungsformen ist- sein politisches Geheimnis. Sein religiöses Geheimnis ist die gleichermaßen unverständliche Mischung von Protestantismus und Katholizismus in der anglikanischen Kirche. Man könnte hundertmal auf dem Papier die Unmöglichkeit einer solchen Mischung beweisen; das stört den Engländer nicht. Die Hauptsache ist: I t i s a living fact, it works. Das Leben ist wichtiger als der Buchstabe.

Das Unvermögen vieler Katholiken, auf diese psychologisch-pragmatische Haltung einzugehen, ist ein großes Hindernis auf dem Wege einer fruchtbaren Begegnung. In anglikanischer Sicht sind die englischen Katholiken Erben jener kontinentalen Entwicklung, die seit dem Konzil von Trient und.dem englischen Bruch mit Rom einsetzte.

„In mancher Beziehung", schrieb P. Bruno Scott James, selbst ein Konvertit, in der katholischen Wochenzeitschrift „The Tablet", „fühlt sich der Engländer mehr in der Kirche des Mittelalters zu Hause; in mancher Hinsicht hat der Anglikanismus einen weit mittelalterlicheren Geschmack als der Katholizismus. Ich spreche von dem Geschmack und nicht von der Substanz. Die meisten Leute beurteilen das Essen und Trinken nach dem Geschmack und nicht nach der Substanz. Die ganze Ausdrucksweise unserer volkstümlichen Gebete und Gottesdienste ist dem Engländer fremd. Er mag nicht häufig in die Kirche gehen, aber wenn er geht, will er an dem Gesang der Psalmen teilnehmen. Sein Gehör harmoniert mit den herrlichen Rhythmen des .Book of Common Prayer'. Versetzt man ihn in eine unserer katholischen Kirchen, wo etwa der Rosenkranz in großer Schnelligkeit und Undeutlichkeit hergeleiert wird, wird er sich verloren und verirrt vorkommen."

Der englische Katholizismus mi't seinen irischen und italienischen Einflüssen, die seit der Wiederherstellung der katholischen Hier archie vor hundert Jahren das religiöse Leben beherrschen, ist erst heute auf jener materiellen und geistigen Ebene angelangt, von der aus der von Newman vorgezeichnete Weg zum Anschluß an die eigenen, bodenständigen englisch-katholischen Traditionen gefunden werden könnte.

Man hat kürzlich hier bei den Bonifatius- feiern in Plymouth und in der Benediktiner- abtei Buckfast feststellen können, wie schwer dieser Anschluß ist. Die alten Kathedralen und Dorfkirchen, die das äußere Bindeglied mit der vorreformatorischen Zeit darstellen, sind anglikanisch, und der ganze Ton des dort gefeierten Gottesdienstes, der anglikanischen „Messe“, scheint dem Durchschnittsengländer zu besagen, daß die katholische Linie nie unterbrochen worden ist. Hinzu kommt die geschichtliche Erinnerung an eine Vergangenheit, in der die alte Religion als Bundesgenossin der englischen Landesfeinde auftrat. Die heutigen Prozesse gegen katholische Bischöfe in den kommunistischen Staaten schockieren den Anglikaner, aber in ihm ist auch noch die Erinnerung an jene Zeit lebendig, in der katholische Engländer und eine katholische Königin den Erzbischof von Canterbury, Cranmer, auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Der Verweis auf die Hinrichtung von Thomas Morus vermag diese Erinnerung nicht zu schmälern.

Die volkstümlichen „Guy-Fawkes"-Feiern, alljährlich am 5. November, mahnen an den Versuch, das englische Parlament in die Luft zu sprengen. Die Absicht des 16. und 17. Jahrhunderts, England mit Gewalt zur katholischen Kirche zurückzuführen, blieb erfolglos. Solche Methoden durften nicht gelingen. Der Gewissenskonflikt, in den die Exkommunizierung der Königin Elizabeth I. ihre katholischen Untertanen stürzte, und der spätere Konflikt zwischen der Treue zu Rom und der Treue zum eigenen Lande, dem, erst das Unfehlbarkeitsdogma 1870 ein Ende setzte, lastet noch schwer auf den heutigen Beziehungen zwischen Anglikanern und Katholiken.

Die anglo-katholische Partei der Church of England findet sich gleichermaßen von der antikathohschen Richtung der großen Mehrheit der von Dr. Fisher vertretenen offiziellen anglikanischen Partei wie von der der englischen Katholiken verstoßen. Den Anglikanern wollen sie nicht in eine rein protestantisch-ökumenische Bewegung folgen, und die Katholiken erkennen ihren Katholizismus nicht an.

„Wir anglo-kathoiischen Priester", schrieb einer von ihnen an den Herausgeber des „Tabiet", „betrachten uns als »orüsagen heimatlose römische Katholiken mit der Aufgabe und Verpflichtung, unsere Herde zu weiden in dem Zwischenstadium unserer Trennung (an der wir »chuldlos sind) von der Mutterkirche, die wir zärtlich lieben, respektieren und die unsere ganze Stütze ist.“

Die katholische Ablehnung einer Wiedervereinigung durch Anerkennung der anglikanischen Weihen scheint den Anglikanern eine „bedingungslose Unterwerfung“ zu bedeuten. Viele englische Katholiken mögen diesen Eindruck bestärken; tatsächlich jedoch verlangt die Instruktion des Heiligen Offiziums über die ökumenische Bewegung keineswegs eine solche „Unterwerfung“ unter den Papst. Vielmehr spricht sie theologisch weit präziser von der Notwendigkeit der Anerkennung der Wahrheit de primatu iuris- dictionis Romani Pontificis. Der Papst besitzt eine autoritative Vormachtstellung in bezug auf die juridische Struktur der Kirche, die, obwohl ein wesentlicher Teil des mystischen Leibes Christi, doch, wie Papst

Pius XTT. In der Enzyklika M y s t i c i Corporis Christi betont, „eine völlig niedrigere Ordnung darstellt im Vergleich zu den geistigen Gaben, die diesen bereichern und ihm Leben geben“. Das heißt, daß wenn Christen in der rechten Beziehung zu Gott und Christus stehen, diese ipso facto dem Papst unterstehen.

Manche englische Katholiken erkennen heute die Notwendigkeit einer scharfen Unterscheidung zwischen den rein-dogmatischen Fragen und jenen der kirchlichen Disziplin. Auf letzterem Gebiet braucht es nicht um die „bedingungslose Unterwerfung“ zu gehen. Der englische Jesuitenpater A. A. Stephenson hat jetzt öffentlich darauf hingewiesen, daß beispielsweise das Zölibat zu diesem letzteren Gebiet gehört und daß verheiratete anglikanische Geistliche, die sich zum katholischen Priestertum berufen glauben, nicht durch ihre Ehe davon abgehalten werden sollten. Das Beispiel des deutschen Pater Goethe ist für diese anglikanischen Priester von größter Bedeutung, und die Kirche hat hier damit bewiesen, daß derartige

Fragen kirchlicher Disziplin wandilbar sind, selbst wenn auch die Tätigkeit dieser verheirateten Priester vorläufig von der öffentlichen Seelsorge ausgeschlossen bleibt.

Nach Schätzung des anglo-katholischen Pfarrers Hugh Ross Williamson soll es einige hundert anglikanische Geistliche geben, die eine solche Konzession zum sofortigen gemeinsamen Uebertritt zur katholischen Kirche bewegen würde. Und daß eine Verständigung auf dem Gebiete der kirchlichen Disziplin fruchtbar sein kann, bewies schließlich in der Vergangenheit die Haltung des hl. Athanasius und Hilarius im 4. Jahrhundert, die letzten Endes die Unterdrückung des Arianer- tums ermöglichte und dadurch ein östliches Schisma verhindete. Zu einem solchen Schritt ist auf beiden Seite eine geistige Klarheit erforderlich, die heute vielleicht noch nicht hinreichend vorhanden ist, die sich aber von den alten Polemiken und gegenseitigen Bekämpfungen freizumachen beginnt. In der vereinigenden Liebe zur Kirche werden sich dann englische und römische Katholiken zu verständigen wissen.

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