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Schlagzeilen in der Presse

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Am folgenden Tag erschien die Neuigkeit in Schlagzeilen auf den Titelseiten der großen englischen Zeitungen: „Guardian“: „Theologe verläßt die römischkatholische Kirche“, „Daily Telegraph“: „Priester verläßt die Kirche und heiratet“, „Times“: „Professor verläßt die Kirche, Angriff auf das römische System“ usw. Die meisten Zeitungen beschränkten sich darauf, auszugsweise die Presseerklärung wiederzugeben, ergänzt durch Lebensdaten und Photos von ihm und seiner Verlobten Florence Hender-son, einer katholischen Theologiestudentin aus den USA. Der „Guardian“ brachte zusätzlich im Innern der Zeitung einen Kommentar von G. Moorhouse mit der Überschrift „The road from Rome“. Er schrieb, man dürfe die Angelegenheit nicht mit der Bemerkung abtun: wieder ein Priester mehr, der heiratet; dieser Schlag sei für den Katholizismus so schwer wie vor hundert Jahren die Konversion Newimans für die Anglikaner; und er schloß mit der Frage: „Wie soll es nun mit der Kirche weitergehen?“

Wer ist dieser Mann, dessen Bruch mit der Kirche einen solchen Kommentar hervorrufen konnte und noch Wochen nachher die Gemüter beschäftigt?

Charles Davis, 1923 in Bristol geboren, begann 1940 seine theologischen Studien im St. Edmund's College in Ware, dem Priester-semiinar der Erzdiözese Westminster. Nach der Priesterweihe 1946 setzte er seine theologischen Studien an der Gregoriana in Rom fort und kehrte 1949 nach St. Edmund's zurück, um zunächst Fundamentaltheo-logie, später Dogmatik zu dozieren. 1960 wurde er Chefredakteur der „Clergy Review“, die unter ihm dank ihrer Offenheit für die heutigen Probleme einen beachtlichen Aufschwung nahm, 1965 wurde er von St. Edmund's nach Heythrop berufen, der erste Nicht-Jesuit, der hier einen festen Lehrauftrag erhielt. Charles Davis war ohne Zweifel einer der bekanntesten katholischen Theologen Englands: Konzilstheologe, einziges englisches Mitglied des Redaktionskomitess von „Goncilium“, Mitglied der im November 1966 gebildeten anglikanisch-katholischen Arbeitsgruppe.

Es ist nicht verwunderlich, daß sich die Diskussion am herausfordernden Kommentar von G. Moorhouse entzündete und sich so zunächst in Leserbriefen an den „Guardian“ niederschlug. Der katholische Soziologe A. Spencer, der noch in der letzten von Davis redigierten Nummer der „Clergy Review“ den Mangel an Kommunikation und echter, freier Meinungsbildung in der katholischen Kirche beklagt hatte, schrieb: „Diejenigen, welche im Kampf verbleiben, erfahren durch seinen Verlust eine beklagenswerte Schwächung. Aber der Verlust eines glänzenden Theologen bedeutet nicht notwendig, daß die gegenwärtige Erneuerung zum Stillstand kommt, noch bedeutet er, daß die Kirche am Zerbrechen ist.“ So sehr es berechtigt war, die Übertreibungen des Kommentars im „Guardian“ auf ein rechtes Maß zurückzuführen, so gewiß ist es übers Ziel hinausgeschossen, wenn nun auf einmal gesagt wird — wie es in einer anderen Zuschrift geschehen ist —, Charles Davis sei im Grunde kein bedeutender, sondern ein sehr leichtgewichtiger Theologe gewesen. Man merkt die Absicht und wird verstimmt.

Die Reaktion vieler Katholiken könnte man charakterisieren als wohlwollend-mitleidiges Nicht-be-greifen-Können: sie konnten seinen Schritt überhaupt nicht verstehen, beugten sich aber vor seiner Gewissensentscheidung und hüteten sich, ihn zu verurteilen. Jedoch nahmen ihm viele die Publizität übel, mit der er seinen Bruch mit der Kirche umgeben hat; sie übersahen dabei aber, daß in seinem Fall Publizität unvermeidlich und daß es deshalb auch für die Kirche sicher besser war, daß die Nachricht sich nicht nur auf der Ebene der Gerüchte und Mutmaßungen verbreitete.

Es dürfte klar sein, daß ein Entschluß wie der von Charles Davis sehr tiefe und komplexe Wurzeln und Gründe hat, die nicht, auch nicht von ihm selbst, adäquat in Worte gefaßt werden können. Er selber hat im „Observer“ (1. Jänner 1967) in einer ausführlichen Darlegung seiner Gründe unter anderem geschrieben, daß die Eigenart und Stärke seiner Reaktion gegen die institutionelle Kirche weitgehend von seiner persönlichen Eigenart und seinem persönlichen Lebensweg geprägt sind. Es kann sich aber hier nicht darum handeln, darüber zu spekulieren, was sich im Innern dieses Menschen, wohl schon seit Jahren, abgespielt hat; es soll auch nicht die objektive Richtigkeit seiner Vorwürfe nachgeprüft werden, sondern wir wollen versuchen, die Fragen zu sehen, die uns der „Fall Davis“ stellt, denn wir glauben, daß da viele Probleme offen ausgesprochen werden, die auch andere Menschen beschäftigen, vielleicht anderswo noch mehr als in England.

R. Haughton, katholische Schriftstellerin, sandte an den „Guardian“ folgende Leserzuschrift, die hier als Stimme für manche Davis nahestehende katholische Intellektuelle zitiert werden soll: „Die Nachricht ist ein harter Schlag für die ganze Kirche. Jene unter uns, die ihn kennen, wissen um den qualvollen Kampf, der dieser Entscheidung vorangegangen sein muß; wir wissen auch um die Wahrheit der Anklagen, die er gegen die institutionelle Kirche vorbringt. Wir teilen die Scham, die er gefühlt haben muß ob all der Dinge, die im Namen Christi getan und gesagt werden. Er hat unser tiefstes Verständnis und unsere Sympathie, und wir hoffen, daß er uns sogar von außen weiterhin helfen wird. Aber obwohl wir sehen, was er sieht, und Tag für Tag damit leben und darunter leiden, können wir nicht tun, wie er getan hat. Die Kirche ist immer noch die Kirche, und in dieser Zeit des Zusammenbruchs müssen wir durchhalten und wirken und beten, damit aus den Trümmern etwas erstehe.“

Manche Nichtkatholiken haben gespürt, daß der „Fall Davis“ auch sie angeht, und zwar nicht im Sinne einer oberflächlichen, unökumenischen Genugtuung über einen Schlag für die katholische Kirche, sondern weil Charles Davis durch seine Tat behauptet, daß die Kirche Christi mit keiner der bestehenden Kirchen zusammenfalle und so jede der bestehenden Kirchen für irrelevant erklärt und in Frage stellt. Er steht so im Zusammenhang mit der geistigen Strömung, die oft mit dem Stichwort „religionsloses Christentum“ gekennzeichnet wird und die, im Anschluß an die Namen Bon-hoeffer und Robinson, neue Formen christlicher Präsenz in der Welt sucht.

Ein Professor von Oxford schließt seine Leserzuschrift: „Er denkt nicht nur, daß die institutionellen Kirchen unsere eigene — die anglikanische — (so gut wie die — katholische — von Mrs. Haugthon) für das Christentum ein Hindernis werden, er glaubt auch, daß eine neue Form christlicher Präsenz in der Welt im Entstehen begriffen ist, obwohl weder er noch wir klarsehen können, was es gegenwärtig damit auf sich hat. Wenn dem so ist, dann ist seine Tat ein theologisches Ereignis, das wir sehr ernst nehmen müssen. Die sich um die Kirche sorgen, müssen auch mit ihm sein auf der Suche nach neuen Formen. Solange wir nicht gezeigt haben, wie eine echte christliche Präsenz innerhalb der institutionellen Kirche entstehen und diese umgestalten kann, stellt sein Entschluß eine beständige Frage dar, die wir nicht abtun können.“

Desmond Fisher — bekannter katholischer Journalist, bis vor kurzem Redakteur des „Catholic Herald“, ein Freund von Charles Davis — schrieb im „Spectator“ vom 30. Dezember 1966: „Viele haben begriffen, daß sie herausgefordert wurden, ihr eigenes Verständnis der Kirche und ihre Bindung an sie genauer zu überprüfen.“ Und in der anglikanischen Wochenzeitung

„Ohurch Times“ vom 13. Jänner 1967 ist Fisher unter dem Titel „Die Herausforderung durch Charles Davis“ den Problemen, die sein Austritt stellt, weiter nachgegangen.

Es ist zu hoffen, daß die englischen Katholiken — und nicht nur Sie — diesen Fragen und Problemen nicht einfach ausweichen, auch nicht sie zu unterdrücken suchen durch eine noch stärkere Betonung der traditionellen autoritären Strukturen, sondern sie als Fragen sehen und anerkennen und durch eine echte und tatkräftige Erneuerung zu beantworten suchen.

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