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.Gelegen oder ungelegen!

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I.

Wenn es neben Weimar eine Stadt gibt, die vielleicht noch lebensmächtiger als die; Residenz Goethes beweist, daß die sogenannte Ostzone in Wahrheit in der Mitte Deutschlands liegt, so ist dies Wittenberg, die Stadt Martin Luthers, (Beiiin, das europäische, möge aus dieser Betrachtung ausgeklammert bleiben). Dies Wittenberg aber, im geistigen Sinn verstanden, besagt, daß der Protestantismus heute jene Kraft ist, die in dieser Stunde vielleicht das entscheidendste Wort zum Bestehen der wesensmäßigen Substanz jenes Kerndeutschlands zu sagen hat, das sich eben weder mit Bonn, noch viel weniger mit Berlin-Pankow, erschöpft oder auch nur erschöpfen kann. Das Deutschland, das nicht zwischen den Fronten in einem spirituellen Niemandsland zu Hause ist, das nicht über den Fronten in den gedachten Räumen Pastor Niemöllers schwebt, sondern das (hier kann man nur einen Pleonasmus anwenden) i n Deutschland liegt.

Diese Sätze schreibe ich als gläubiger und meiner einen, heiligen und apostolischen Kirche treuer Katholik, dem jeder liberalisierende falsche Irenismus fremd und odios ist. Ich schreibe sie im Bewußtsein der breiten, mit Zulassung Gottes zwischen den Konfessionen aufgerissenen Kluft, die nur die Gnade Gottes am entscheidenden Punkt wieder schließen kann.

Ich schreibe sie im Bewußtsein der konfessionellen Diasporasituation unserer römisch-katholischen Brüder und Schwestern im lutherisch-protestantischen Mitteldeutschland, die damit weder verkleinert noch weggeleugnet werden soll. Ich schileibe sie, weil sie meinem Glauben nach die Wahrheit sind und weil die Wahrheit geschrieben werden muß. Und ich schreibe sie, um die Bedeutung eines evangelischen Mannes für die Christenheit (dies jetzt ganz wörtlich verstanden) klarzulegen, den Freundschaft und Kampfgemeinschaft mit dem verewigten Kardinal von Berlin, Graf Preysing, bis zum letzten Atemzug verband, dessen Beileidstelegramm zum Tode Kardinal Faulhabers zu den klassischen Dokumenten der wesenhaften Christlichkeit dieses Entscheidungen fordernden Jahrhunderts gehören wird. Und ich schreibe sie, um einds Mannes Werk zu ehren, der den vielleicht schon sehr bald zum geistigen Führer des deutschen Episkopats wachsenden, dem Neuen zugewandten Erzbischof von München, Wendel, in seinem Privathaus zum offiziellen Gast hatte, in jenen Tagen, da er als evangelischer Bischof von Berlin dem Katholikentag das gleiche Siegeszeichen des Kreuzes zur Verfügung stellte, unter dem sich ein Jahr zuvor unsere evangelischen Brüder am gleichen Ort zum Zeugnis versammelt hatten.

II.

Bischof Dr. Otto Dibelius, gewählter Primus inter pares der evangelischen Kirche Deutschlands, steht in diesen Tagen nicht zum erstenmal in den Schlagzeilen auch jener Presse, die von religiösen Wirklichkeiten nur die sensationelle Oberfläche zu bieten wagt. (Religion ist Mode, zudem im politischen Kampf recht gut verwendbar!) Wir wissen, daß er die Einladung des Patriarchen von Moskau zu einem offiziellen Freundschaftsbesuch bei der orthodoxen Christenheit angenommen hat. Und es ist weiter bekannt, daß sich Bischof Dibelius, der korrekte Jurist, dessen Predigten zuweilen schneidende Plädoyers sind und nichts vom erbaulichen Pastorenton mehr an sich haben, zu diesem ganz ungewöhnlichen Besuch die Genehmigung der Häupter seiner Synode einholte. Daß er nicht allein, sondern in der Begleitung zweier der markantesten Köpfe des Protestantismus, des Hannoveraner Bischofs Lilje, dessen „Sonntagsblatt“ zu den mutigsten publizistischen Organen in Mitteleuropa gehört, und des in Dresden unbestechlich und unerschütterlich seines Amtes waltenden Bischofs Hahn, Bruders jenes zu Riga 1920 ermordeten Bischofs Traugott Hahn, fahren wollte.

Und wir haben aus der Tagespresse erfahren, daß wenige Stunden vor dem geplanten Abflug eine überraschende Absage aus Moskau kam. Patriarch Alexej sei erkrankt und könne nicht empfangen. Ein neuer Termin dieses zunächst mit viel Aplomb angekündigten Besuches wurde nicht angegeben. Soweit die Erinnerung an allgemein bekannte Meldungen. Was aber hat sich vermutlich hier wirklich zugetragen? Wir wagen die Behauptung, daß es sich hier um ein Geschehen handelt, zu dem kein Kommentar „hinter den Kulissen" gegeben werden kann (wir würden einen solchen auch den dafür bezahlten „Informierten“ jeder Couleur neidlos überlassen), sondern dessen letzte Wirklichkeit vielleicht nur in Annäherung mit jener verglichen werden kann, die einst Attila zwang, bei den Mauern Roms vor dem waffenlosen Bischof Leo umzukehren. (Die Apostelfürsten seien in den Lüften erschienen, erzählt die fromme Legende, wirtschaftliche und strategische Schwierigkeiten verlangten den Rückzug, doziert der positivistische Historist, das Ganze war ein von der schon damals schlauen Kurie inszenierter Theatertrick, auf den der naive Barbar hereinfiel, spöttelt ein moderner Komödienautor.) Vielleicht werden wir morgen schon in der Presse lesen, daß der Patriarch im rechten Augenblick plötzlich wieder gesund geworden sei und nun Bischof Dibelius selbstverständlich planmäßig empfängt... Wir verwehren niemandem, dieser Meldung dann zu glauben und damit dgn „Fall" für erledigt anzusehen. Wir aber glauben etwas anderes:

III.

Die Akteure der Gegenseite kennen wir nicht. Wir wissen zwar aus der Kirchengeschichte, daß die wesentlich ost- christliche Frömmigkeit nichts fremder und suspekter empfindet als den Protestantismus, daß die Häupter der orthodoxen Kirche jeden Gesprächsversuch, der etwa von Kalvin eingeleitet wurde, geradezu mit theologischem Abscheu zu- rüdcwiesen, ein des Kalvinismus nur verdächtiger Patriarch sogar lebendig verbrannt wurde, aber wir wissen nicht, welche Argumente außerkirchlicher Art den Patriarchen von Moskau heute zu diesem betont brüderlichen Einladungsschreiben bewogen .haben, an Bischof Dibelius, der als Repräsentant der altpreußischen Union die Synthese zwischen lutherisch und helvetisch-kalvinistischem Bekenntnis zu verkörpern sucht. Daß diese theologischen Differenzen dem Kreml von Herzen gleichgültig sind, wissen wir, aber schließlich war das Einladungsschreiben von einem Kirchenfürsten unterschrieben, der trotz des neunhundertjährigem Schismas, trotz allem, was man von seiner persönlichen Schwäche und seinem Irrtum berichtet, die Handauflegung der Apostel bei seiner Weihe empfing. Wir wissen das alles nicht. Aber wir wissen eines: wer Bischof Dr. Otto Dibelius ist. Und wer seine ausersehenen Begleiter gewesen wären.

Bislang hat die Sowjetunion mit ihren ausländischen Besuchern wenig Glück gehabt (Shaw und Dreiser, Gide und Celine kamen sehr kritisch wieder). Aber irgendwie hat sich ihnen die Magie der atheistischen Gegenkirche doch mitgeteilt. Und mehr wollte man vielleicht gar nicht. Bei diesen drei Protestanten aber schien man im letzten Augenblick mit Recht zu erkennen, daß hier jede Empfänglichkeit für den bewußten Virus undenkbar sein mußte. Wir haben Bischof Dibelius oft predigen gehört, wir haben seine glasklare und vornehme Schrift über die „Grenzen des Staates („Furche"- Verlag, Tübingen) studiert„und wir haben die hektographierten Abschriften seines berühmt gewordenen Protesthirtenwortes des Jahres 1949 zu Brandenburg gelesen, dessen Mut und evangelischer (hier von Evangelium abgeleitet) Bekennereifer sich nur mit den Hirtenbriefen des Löwen von Münster, Clemens August Graf Galen, gegen das Verbrechen des Hitler- faschismus vergleichen läßt. Dieser Kirchenobere hat nichts vom hektischen Schwärmer, vom pathetischen „Donnerer" an sich. Er trägt zu Hause die Samtweste des gepflegten Gelehrten, und er scheut sich nicht, auf der Kanzel in der heiligen Nüchternheit seiner schneidenden Argumente die geballte Faust in die Hosentasche unter dem schwarzseidenen Talar zu vergraben. Die Elemente des Lutherischen und des Kalvinischen versehwi- stern sich in ihm, aber das Kämpferische, Dynamische beider Glaubensrichtungen ist bei dieser Mischung dominant geblieben. Gleich weit entfernt von dieser „Mitte“ ist die staatsfromme pietistische Gottergebenheit eines orthodoxen Spät- Luthertums wilhelminischer Schule, gleich weit entfernt aber auch das düstere und kalte Feuer der extremen Barthianer. Denn zu diesen zwei Elementen tritt bei Bischof Dibelius das Dritte, für die Gegenwart Verschollene, Verfemte, Verdunkelte, jenes Altpreußentum der Humboldtschen Humanität, der hugenottischen Noblesse, das in Theodor Fontane seinen Ausklang fand und von der schimmernden Wehr des Parvenüs und Amateurpredigers Wilhelm niedergetreten wurde, jenes Preußentum, das heute viel-, leicht nur mehr im Werk seines Cato Rudolf Pechei und im Gedenken an die Männer des 20. Juli, die eigentlichen deutschen Patrioten, lebt. Vor der Legierung dieser drei Elemente scheint es den kommunistischen Alchemisten doch etwas unheimlich geworden zu sein. Preußentum in der Art der Seydlitz-Leute meinetwegen. Luthertum Niemöllers auch, Kalvinismus der Ultra-Barthianer auch, aber alle drei Elemente in einer Mitte, das war vielleicht doch zuviel.

Dies aber ist heute die Mitte Deutschlands. Kein Kenner der Verhältnisse wird behaupten, daß der angestammte Katholizismus dort zulande ohne die durch die jahrhundertelange Symbiose erhaltene Prägung zu denken wäre.

IV.

Bischof Dibelius also ein fulminanter Antibolschewik, ein wackerer Feldkurat der neuen „Kreuzzugsarmee", deren christliche Mitstreiter ja Präsident Truman aufforderte, „Kleinigkeiten" beiseite zu stellen? Aus all den vorgenannten Gründen ist er es eben nicht. Er hat keine „schwache" Stelle, die er mit Selbstbetäubung verdecken müßte, er hat es nicht nötig, geheime innere Affinität mit aufdringlichem Renegateneifer zu vertuschen. Er braucht seine Festigkeit gegenüber der totalitären Gefahr nicht vor irgendwelchen Schreibstubenstrategen zu rechtfertigen. Denn er steht an der wirklichen Front. Und er wäre als Mann der geistigen Front ungebeugt und unbestechlich auch nach Moskau gefahren, so, wie er in diesen Tagen an Stalin persönlich wegen des Justizterrors in der DDR geschrieben hat, mit keiner anderen Legitimation als der des Täufers: „Es ist dir nicht erlaubt...“, so, wie er allsonntäglich in den Mariendom geht und dort das Evangelium predigt, gelegen oder ungelegen. Der Mariendom aber liegt im Sowjetbereich Berlins!

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