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Im Katholizismus wird Inspiration und Hoffnung gesucht

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Der Katholizismus wird zunehmend attraktiver für Mitglieder der Anglikanischen Kirche. Als im November die Entscheidung fiel, daß auch Frauen Priester werden können, gab das für viele Anglikaner, die in letzter Zeit zum Katholizismus ubergewechselt haben, den letzten Ausschlag.

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Der Katholizismus wird zunehmend attraktiver für Mitglieder der Anglikanischen Kirche. Als im November die Entscheidung fiel, daß auch Frauen Priester werden können, gab das für viele Anglikaner, die in letzter Zeit zum Katholizismus ubergewechselt haben, den letzten Ausschlag.

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Wie viele andere Säulen des britischen Establishment, angefangen von der Monarchie bis zum großen nationalen Pferderennen, ist die Kirche von England ganz augenscheinlich nicht mehr das, was sie einmal war. Nach und nach verlieren viele ihrer Anhänger den Glauben an ihre Fähigkeiten, in Zeiten der Unsicherheit und des Zweifels soliden spirituellen Halt zu geben. Sie ist, für ih-reKritiker, beinahe eine Kirche ohne Gott in einer gottlosen Gesellschaft geworden. Es gab einmal eine Zeit, da wurde die Kirche von England als die „Tory-Partei beim Gebet" bezeichnet. Davon kann heute nicht mehr die Rede sein, da die Kirche auf dilettantische Weise das ganze politische Spektrum abgewandert hat, sodaß viele nicht wissen, wo sie wirklich steht.

Auch werden an die Autorität der Kirche in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft, wo es mehr Moslems als Methodisten und mehr praktizierende Katholiken als Anglikaner gibt, ganz andere Anforderungen gestellt.

Während der Thatcher-Ära wurden die Beziehungen der Kirche mit den Konservativen gespannt. Ihre Kommentare zu sozialen Angelegenheiten tendierten dahin, Verbrechen und Armut in den Städten direkt mit der Regierungspolitik in Verbindung zu bringen. Viele Priester beschuldigten die Regierung der Polarisierung der Gesellschaft und letztlich der Unfähigkeit, den sozial-liberalen Konsensus, der vorher im Regierungsdenken vorherrschend war, fortzusetzen.

Die Kirche hielt fest an den alten Werten des bevormundenden Staates und einer kollektivistischen Gesellschaft mit all ihrer riesenhaften Bürokratie, die die Initiative des einzelnen erstickt hatte.

In einer Rede an die Kirche von Schottland 1988 schlug Thatcher zurück, als sie meinte, im Christentum ginge es nicht um soziale Reform, sondern um spirituelle Läuterung. Viele wurden damals vom Klerus enttäuscht, der die Rolle von gesellschaftskritischen Theologen spielen wollte und alles, von der Kopfsteuer bis zur Demontage des staatlichen Gesundheitswesens kritisierte.

Die Begleiterscheinung war eine Bewegung weg von der Tradition, was Sonntagsmesse und Ritus anlangt. Der Versuch, ein zeitgemäßes modernes Bild abzugeben, erschien manchen als Abgleiten in eine triviale Karnevalsatmosphäre, die für religiöse Institutionen unpassend erscheint. Verbunden damit war ein Rückzug vom Orthodoxen und von altbewährten Glaubensgrundsätzen, die die Kirche all die Jahre zusammengehalten hatten. Daher wollen viele, die jetzt eine Heimat in der Katholischen Kirche suchen, eine klare Position zu moralischen Fragen vorfinden, und sie sind bereit, eine verordnete hierarchische Gesellschaftsauffassung zu akzeptieren. Für sie kann die Malaise, die die britische Gesellschaft in Politik und Religion erfaßt hat, auf ein Fehlen einer Vision und eines sinnvollen Ziels zurückgeführt werden, wie es die jüngst konvertierte Prominente Ann Widecombe, Minister für soziale Sicherheit, formulierte: „Es ist eine Erleichterung, wenn eine Kirche eine Sünde eine Sünde nennt und es dabei beläßt." Es ist diese Sicherheit und Berechenbarkeit, die viele der neu zum Katholizismus Bekehrten so attraktiv finden. Aber wird sich die katholische Kirche emporschwingen können und den neuen Herausforderungen ihrer neu erworbenen Popularität gewachsen sein?

Voraussetzung wäre, daß sie klare Ziele und eindeutig anerkannte Vorstellungen hat, um die Leere im Leben der Menschen auszufüllen - ein Vakuum, das genauso ein Produkt der Turbulenzen des modernen Lebens und des Endes des Kalten Krieges ist, wie auch des Glaubensverlustes im Anglikanismus. Viele streben jetzt eine sterile Diskussion über Moderne versus Konservativismus an. In Wirklichkeit aber suchen sie emsthaft nach spiritueller Führung, die auf Ordnung und Stabilität, nicht aber auf Anarchie aufgebaut sein könnte. Die Aufgabe der Katholischen Kirche wird darin bestehen, diese neuen Mitglieder zu inspirieren und nicht, wie früher, sie mit fruchtlosen Kontroversen und verwässerten Traditionen zu konfrontieren. In Großbritannien herrscht, wie in anderen Ländern auch, eine zunehmende Gefahr von Defaitismus, gerade wo die europäische Wirtschaft so zerbrechlich und Politiker so skandalumwoben erscheinen.

Das Hauptaugenmerk heute gilt dem, was die Kirche den Leuten, die wirklich verloren und auf der Suche nach Inspiration und Hoffnung sind, bietet. Wie in der Politik dürfen Pragmatismus und Modernität nicht die Antwort auf diese einschlägigen Fragen sein. Um eine Zersplitterung, wie sie in der Politik nur allzu üblich geworden ist, zu vermeiden, bedarf es klarer und präziser Antworten von Seiten der Kirchenführer. Sollte die Kirche darin versagen, könnten von einer zukünftigen Generation, die nur allzu oft von einem „fehlenden Gott" enttäuscht wurde, radikalere Dogmen in Betracht gezogen werden.

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