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König Tomislav und seine späten Enkel

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Die Kroaten. Der Schicksalsweg ein Südslawenvolkes. Von Rudolf Kiszling. Verla; Hermann Böhlaus Nachfolger, Graz-Köln 1956. 266 Seiten. Preis 110 S

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Die Kroaten. Der Schicksalsweg ein Südslawenvolkes. Von Rudolf Kiszling. Verla; Hermann Böhlaus Nachfolger, Graz-Köln 1956. 266 Seiten. Preis 110 S

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In diesen Wochen geht der Blick wieder donau-abwärts. Aber nicht nur das Auge, auch das Herz ist bei den Völkern des Donauraums, mit denen uns auch heute noch soviel verbindet, was nicht nur Geschichte ist. Die spontane Reaktion der Oester-reicher auf den heroischen Freiheitskampf ihres Nachbarvolkes belehrt manchen Skeptiker wohl eines besseren.

Aber noch etwas anderes wurde in diesen wenigen Tagen der ungarischen Freiheit, in denen plötzlich das Schemen einer Neuordnung im Donauraum Gestalt anzunehmen schien, diskutiert: Die Frage „Sind wir überhaupt gerüstet für eine neue Begegnung mit unseren Nachbarn?“ Das abermalige Niedergehen des Eisernen Vorhanges, 60 Kilometer von Wien, enthob uns abermals dieser „Sorge“. Doch was heute nur ein kurzer, allzu kurzer Traum war, kann morgen schon wieder Wirklichkeit sein, muß es, aller Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit der Stunde zum Trotz, übermorgen werden ... Die Gesetze der Geographie und Geschichte waren letzten Endes stets die stärkeren ...

Für jene neue Begegnung mit den Völkern des Donauraums und des europäischen Südostens liefert der in den letzten Jahren mit einer Reihe wertvoller historischer Publikationen hervorgetretene General-staatsirchavar a. D. Rudolf Kiszling durch das vorliegende neue Buch einen wertvollen Beitrag. Seine Aufmerksamkeit gilt dem Volk der Kroaten, das als „Dritter im Bunde“ — mitunter für, mitunter gegen — in der freundschaftlichen, aber auch kämpferischen Begegnung der Oesterreicher und der Madjaren in der Vergangenheit stets eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat. „Die Kroaten. Der Schicksalsweg eines Südslawenvolkes“: so der schlichte und anspruchslose Titel, den Kiszling über sein neues Werk gesetzt hat. Er läßt der Vermutung Raum, der Verfasser sei dein gar nicht guten Beispiel nicht weniger Repräsentanten unserer historischen Schule gefolgt und hätte sich etwa eingehend über die frühe Geschichte des Kroatenvolkes verbreitet, dessen Reichsgründung vor der Jahrtausendwende sein volles Interesse geschenkt, den ungarisch-kroatischen Dualismus berücksichtigt, gewiß auch noch die jahrhundertelange Verbindung der Kroaten mit dem Haus Habsburg gewürdigt und 1918 abrupt seine Untersuchung abgeschlossen. Eine Begründung wäre leicht: Was nachher geschehen ist — und es ist sehr vieles und sehr viel Bitteres geschehen — sei gerade in dieser Ecke Europas noch so von der Parteien Gunst und Haß verzerrt, daß ein zünftiger Historiker bei. der Wahrheitssuche und -findung kapitulieren müsse.

Der Verfasser ist — und dafür muß ihm Dank gesagt werden — diesen Weg des geringsten Widerstandes nicht, gegangen. Im Gegenteil: ein alter . Soldat wagt sich auch in seiner Eigenschaft als Historiker mitten ins Getümmel. Der Schwerpunkt von Kiszlings Darstellung liegt bei den letzten blutigen Jahrzehnten.

Der Verfasser bringt für seine Arbeit nicht nur das. Rüstzeug des Historikers, sondern persönliche Erfahrungen im Umgang mit dem kroatischen Volk mit. Eine erste Einsicht in die Aufzeichnungen Glaise-Horstenaus, der ja als „Deutscher General in Kroatien“ einige Stationen der kroatischen Passion aus nächster Nähe beobachten konnte, kommt hinzu. So kommt es wohl auch, daß Kiszling bei mehrmaliger und nachdrücklicher Distanzierung von dem Regime Pavelic (an einer Stelle wird ausdrücklich festgehalten, daß von dieser Seite Untaten geschehen sind, „die zu beschreiben sich die Feder sträubt“, S. 205) in der großen Auseinandersetzung mit Tito dennoch dem „Unabhängigen Staat Kroatien“ mit einer gewissen Aufgeschlossenheit und Nachsicht gegenübersteht. Wohl reizt es den Militärhistoriker Kiszling, die Jahre 1941 bis 1945 im kroatischen Raum hauptsächlich kriegsgeschichtlich zu * behandeln. Das ist verständlich und durchaus nicht ohne Interesse. Allein, vielleicht kommt dabei die Erhellung der großen Tragödie der kurzlebigen kroatischen Staatsbijdung doch etwas zu kurz. So wie für den alten, schlichten bosnischen Bauern der Einmarsch der deutschen Truppen sich mit der Vorstellung der Rückkehr unter das Szepter des Kaisers Franz Joseph 1. verband, so versuchten auch die besten kroatischen Elemente dort anzuknüpfen, wo der Faden 1918 gerissen war. Doch so wie nicht die Truppen des Kaisers Franz Joseph, sondern' die Bataillone Hitlers und die Standarten Himmlers ins Land kamen, so traten auch jene Versuche gegenüber den Träumen von einer Neubegründung des Reiches König Tomislavs und den Serbenmassakern der Ustaschenkommandos zurück.. Ein äußeres Zeichen war die nach österreichischem Vorbild erfolgte Uniformierung der immer mehr in den Hintergrund tretenden regulären Armee gegenüber der nach dem Muster der faschistischen Miliz eingekleideten Ustascha. Es ist schon so: Uniformen verraten mitunter mehr von dem Charakter eines Gemeinwesens als papierene Deklarationen ... Die Phantasien vom zweiten Reich König Tomislavs machten bald der Wirklichkeit Platz. Diese aber hieß ein Gemeinwesen von Gnaden der Achse, gesegnet mit Demarkationslinien, belastet mit einer Führung durch politische Abenteurer, Bruderkämpfe und Keitels hochmütiges Wort an Glaise beim Scheiden von seinem Posten in Agram: „Sind Sie froh, daß Sie den Untergang dieses schäbigen Staates nicht miterleben müssen“ (S. 211). Am Ende dieses Irrweges eines vielgeprüften Volkes aber standen die auch heute noch vielfach unbekannten Gräber der Tragödie von Bleiburg. Dort lieferten die Engländer 1945 das auf österreichischen Boden übergetretene Gros der kroatischen bewaffneten Macht den gnadenlosen Rächern ans Messer. (Eine Million an Toten verlor das vier Millionen zählende kroatische Volk 1941 bis 1945: ein erschütternder .Blutzoll Wie viele davon auf Seiten des Pavelic-Staates starben und wie viele als Parteigänger des Kroaten Josip Broz alias Tito . ums Leben kamen, wird wohl nie völlig geklärt werden körfrien.)

War es nur ein geographischer Zufall, daß' die mißbrauchten Söhne Kroatiens ausgerechnet auf österreichischem Boden Zuflucht und Asyl suchten? Wir glauben kaum. So wie — vom Verfasser leider nicht erwähnt , —das in Stockerau stationierte kroatische Bataillon im “April 1945 eine-sichere Stütze für jene patriotischen Kräfte war, die Wien das Schicksal,, von Breslau und. Budapest ersparen wollten, so schienen zehntausehdcn Kroaten die Karawanken ein schützender Zaun.

Damals war;..Oesterreich aber. nur. eins geographischer Begriff. -Heute ist es mehr. Heute hat es trotz seiner Neutralität oder gerade deshalb? — auch wieder eine Aufgabe gegenüber den Völkern,: mit denen wir so lange unter einem gemeinsamen Dach gehaust haben, zu erfüllen. Das vorliegende Buch helfe mit, die Geister zu schärfen.

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