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Kroatische Verluste

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Das kroatische kulturelle Leben, tonangebend bei den Südslawen und als geistige Macht westlicher Provenienz ein Faktor, der sich auch im heutigen Jugoslawien durchzusetzen verstand, hat im letzten halben Jahr schwere Verluste erlitten. Kurz hintereinander sind bedeutende Männer mitten aus reifem Schaffen gestorben.

Am 24. Oktober verloren die Kroaten ihren bekanntesten Maler und Graphiker Tomislav Krizman. Er zählte zu den großen Talenten des kroatischen Zweiges der Wiener Secession. Als Schüler Felician Myrbach-Rheinfelds und William Ungars war er mehr als ein Jahrzehnt mit dem Wiener Kunstleben eng verbunden. Im Besitze der sicheren ästhetischen Kultur eines alten europäischen Kunstzentrums, an Hand deren Gesetze er als Lehrer und Künstler durch vier Jahrzehnte seine Landsleute zu gültigem Künstlertum führte, schuf er der jungen kroatischen Nationalkultur in Graphik und Kunstgewerbe neue Zweige eigenständiger Entfaltung.

Acht Tage darauf verschied nach längerer Krankheit Anton B a r a c, ein führender südslawischer Literaturhistoriker und Geisteswissenschaftler. Nicht nur die kroatische Moderne verdankt ihm ihre künstlerische Höhe, die gesamte kroatische Literaturgeschichte machte durch ihn den großen Schritt von rein kausaler, formelhafter Betrachtung zur modernen, ganzheitlichen Wissenschaft. Aus seiner Feder stammt auch die einzige südslawische Gesamtsicht der literarischen Entwicklung der südslawischen Völker.

Inmitten der Arbeit an der Uebersetzung der Divina Commedia, einem Werk, für das er als Kenner der italienischen Dichtung und Künstler des Wortes wie geschaffen war, wurde der zweite Literaturfachmann, Mihovil K o m b o 1, am 9. Jänner vom Tode ereilt. Schüler der Wiener Universität, Verfasser der besten Darstellung der kroatischen Literatur der Renaissance und des Barocks, der literarischen Glanzzeit Ragusas und Dalmatiens, gründlicher Kenner italienischkroatischer geistiger und künstlerischer Beziehungen, meisterhafter Uebersetzer Goethes, Puschkins, gehörte Kombol, obgleich in letzter Zeit etwas in den Hintergrund geschoben, was er aber mit dem ihm eigenen Scharm lächelnd zu ertragen verstand, zu den Repräsentanten des kroatischen geistigen Lebens. Sein kirchliches Begräbnis glaubte die einheimische Presse beanstanden zu müssen.

Auch das Forschungsgebiet linguistischer Wechselbeziehungen zwischen der romanischen und slawischen Welt wurde seines bedeutenden Vertreters beraubt. Am 3 Februar starb Petar S k o k, Schüler der Wiener linguistischen Schule, ein Ortsnamenforscher europäischen Rufes, würdig, mit den beiden großen kroatischen Philologen Vatroslav Jagic und Milan Resetar genannt zu werden.

Die kroatische Dichtung verlor am 12. November Tin U j e v i c, das eigenwilligste Talent der Moderne. Er war ein Kind der früh erloschenen Generation des europäischen Symbolismus und ist ihm noch treu geblieben, als die Zeit längst nicht mehr darnach war. Sein Leben lang blieb er ein verstockter Bohemien, den Kopf voller Schrullen, wie er es war in den neun Jahren in Paris am Montmartre. Trotz seines ungeordneten Lebenswandels brachte er es fertig, ein reiches, in alle Winde verstreutes, dichterisches Werk zu schaffen, das manche lyrische Kostbarkeit birgt. Die Honorare ließ er auf der Bank unberührt liegen. Man konnte es kaum glauben, daß er, der wie ein Bettler lebte, in Wirklichkeit, wie es sich nach seinem Tode herausstellte, ein steinreicher Mann war.

Am 21. Dezember folgte ihm der Schriftsteller und Journalist Milan Marjanovic. Im April vermochte er noch den 60. Jahrestag seines Eintrittes ins öffentliche Leben als Wegbereiter der jungen Generation des Prager Zweiges der kroatischen Moderne und Verfechter des Jugoslawismus feiern. Als politischer Feuerkopf kämpfte er während des ersten Weltkrieges für den neuen Nationalstaat, später stellte er seine Auslandserfahrungen dem neuen Staate zur Verfügung.

War der erste eine Künstlernatur reinsten Wassers, der zweite mehr der nationalliberalen, der dritte, Kombol, der konservativen Seite zugetan, war Skok ein reiner Wissenschaftler, hatte Ujevic dem esprit de gauche gehuldigt und sich Marjanovic der nationalen Revolution verschrieben — sie alle zählten zu einer Generation, die ihre Ideen noch direkt aus österreichischen Schulen bezog. Hatten sie alle auch den politischen Weg nach 1918 für den damals einzig möglichen gehalten, so blieben sie doch über alle politischen Wechselfälle hinweg in ihrem kulturellen Schaffen jener geistigen Mitgift treu, die allen Völkern der Monarchie gleichermaßen zuteil wurde und an der diese Völker für alle Zeiten als eine Einheit erkennbar bleiben. So war das Schaffen dieser Männer, über seine nationale Wirkung hinaus, auch noch ein Stück gesamtösterreichischer Geistesgeschichte, deren Bestandsaufnahme noch aussteht und im Augenblick des Verlöschens ihrer letzten Träger als besonders notwendig empfunden wird. Sie würde uns, nebenbei bemerkt, auch das Bestimmen unseres heutigen Standortes erleichtern und uns vor einer geistigen Isolierung schützen.

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