National-Stalinismus

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Der Krieg auf dem Balkan sei das "Gesamtkunstwerk" nationalistischer Eliten gewesen, meint der kroatische Schriftsteller Slobodan Snajder.

Die Furche: Wie sieht das politische Kroatien der Nach-Tudjman-Ära aus?

Slobodan Snajder: In der politischen Landschaft Kroatiens sind jene Kräfte am wenigsten zu erkennen, die den Wunsch haben und dazu beitragen wollen, dass es überhaupt zu so etwas wie einer "Nach-Tudjman-Ära" in Kroatien kommt. Freilich unternimmt die neue Regierung, hauptsächlich unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft, alle Anstrengungen, gewisse negative Errungenschaften des Tudjmanismus zu "suspendieren" oder - zumindest auf proklamatorischer Ebene - aufzuheben. Andererseits bemüht sie sich sehr, das herauszustreichen, was sie für den positiven, ja, geschichtlichen Beitrag Franjo Tudjmans hält. Darin liegt eine gewisse Schizophrenie, und die Frage ist, ob sich dieser Trend fortsetzen wird angesichts der wahren Schwierigkeiten, die riesig sind... Wird die neue Regierung nicht doch wieder nach jener Herrschaftsform greifen, die von Tudjman praktiziert wurde, einem Mann, dem die Demokratie nicht unbedingt Herzenssache war?

Die Furche: Wie wird der 1999 verstorbene Franjo Tudjman heute beurteilt? Und wie geht man mit Tito und der jugoslawischen Vergangenheit um?

Snajder: Das hängt wie immer davon ab, wer der Beurteilende ist. Für die kleinen und großen Nutznießer des Tudjmanismus ist er sicher eine sakrosankte Person, und daran ändert auch die Tatsache seines Todes nichts. Herrschen lässt sich auch aus der Abwesenheit heraus. Noch immer werden an seinem Todestag auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj - das Schönste, was Zagreb zu bieten hat, ist sein Friedhof - flammende und ziemlich laute Reden gehalten, obwohl der Friedhof doch eigentlich ein Ort der Stille ist.

Andererseits verirrt sich kaum jemand in das so genannte "Haus der Blumen" in Belgrad, in dem Josip Broz Tito ruht. Und doch ist es interessant, dass sich heutzutage viele voller Nostalgie der Zeit der Vollbeschäftigung erinnern, des verhältnismäßig guten Systems der Gesundheitsfürsorge, des relativ hohen Standards in Schulwesen und universitärer Lehre, natürlich auch der Tatsache, dass die Völker der ehemaligen Staatsgemeinschaft im Frieden lebten, ohne sich unbedingt gegenseitig umzubringen. Das bezeichnet man in der Psychologie als "Optimismus der Erinnerung", ich meine damit die Neigung, die guten Seiten der Vergangenheit ein wenig zu verbrämen. Die jungen Generationen haben keine Ahnung und entscheiden nach dem "familiären Hintergrund" oder auch gegen ihn, jedenfalls aus einem Verhältnis heraus, das aus ihnen keine selbständig urteilenden Wesen macht. Ich will auch eine ganz persönliche Meinung äußern: Mir persönlich ist unbegreiflich, dass jemand wie Tudjman auch nur das geringste Charisma hervorbringen konnte. Und völlig unbegreiflich ist mir, wie ihm derart viele Intellektuelle, um nicht zu sagen, fast die ganze intellektuelle Elite, unter denen es naturgemäß auch bedeutende Persönlichkeiten gibt, aufsitzen konnten.

Kroatien hätte seine Selbständigkeit nämlich auch ohne den Krieg erlangt, den die nationalistischen Eliten im Zusammenspiel exerziert haben: Der Krieg auf dem Balkan ist eine Art Gesamtkunstwerk. Natürlich wissen wir heute, da tagtäglich neue und wieder neue Details an die Oberfläche kommen, dass der Krieg in Wirklichkeit als Paravent für die Inthronisierung einer neuen "kapitalistischen" Elite gedient hat, die mit dem historischen Kapitalismus nichts zu tun hatte und auch dessen rohe Sitten und Bräuche nicht teilte.

Die Furche: Wie hat sich das kulturelle Leben in den letzten Jahren verändert? Gibt es irgendwelche Behinderungen von Kunst und Medien?

Snajder: Das kulturelle Leben hat sich selbst unters Joch begeben und auf dem Altar des Vaterlandes "geopfert" - das war ein qualvoller Anblick. Ich wollte da nicht mittun und hatte mich daher entschlossen, aus der Ferne zuzusehen - was andererseits meine einmütige komplette Ausschließung aus dem Repertoire aller kroatischen Theater zur Folge hatte.

Dieses Phänomen ist aus der Zeit des Stalinismus gut bekannt. Vergessen wir nicht: Tudjmanismus ist so etwas ist wie National-Stalinismus, obwohl der historische Stalinismus selbst eine chauvinistische großrussische Erscheinung war.

Fürs erste scheint die Garnitur des neuen Ministerpräsidenten Ivo Sanader die Kunst in Ruhe lassen zu wollen, aber man muss sehen. Zur Zeit tobt gerade ein großer Korruptionsskandal in Journalistenkreisen - da sieht man, auch wir sind keine Engel.

Die Furche: Sind die Wunden des letzten Krieges verheilt? Werden auch kroatische Kriegsverbrechen untersucht?

Snajder: Diese Wunden werden im gegenwärtigen Jahrhundert nicht verheilen. Im kroatischen Namen begangene Kriegsverbrechen sind gut untersucht, das Problem liegt nicht bei den Untersuchungen. Das Problem liegt in der fehlenden Bereitschaft der unterjochten Gerichtsbehörden, die notwendigen Prozesse zu führen.

Es gibt nur eine ehrenvolle Ausnahme, das ist der Prozess in Rijeka gegen eine Anzahl eindeutiger Kriegsverbrecher der so genannten "Gospi´c-Gruppe". Das Gericht hat die Strafen verhängt, sie sind aber noch nicht rechtskräftig.

Die Furche: Ist Kroatien isoliert? Ist ein baldiger EU-Beitritt eine wünschenswerte Vision?

Snajder: Mit ein wenig Zynismus könnte man sagen: Wie kann Kroatien isoliert sein, wenn sich fast sein gesamter medialer Raum in ausländischem Besitz befindet (Styria, WAZ, RTL), wenn seine Banken ebenfalls im Besitz ausländischen (größtenteils italienischen) Kapitals sind, wenn die kroatische Telekom nur ein schwächlicher Ableger der mächtigen Deutschen Telekom ist? Natürlich wäre ein Beitritt zur EU wünschenswert: Wenn es schon so ist und Kroatien derart unselbständig ist, dann wäre es besser, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, in der die Einhaltung der Spielregeln zumindest einigermaßen kontrolliert wird. Einen Beitritt zur NATO halte ich allerdings für unnötig.

Die Furche: Wie ist das Verhältnis Kroatiens zu Serbien, wie zu den anderen Nachbarländern heute?

Snajder: Dieses Verhältnis lässt sich am besten mit einem Wort umschreiben: Spagat. Große, für die Öffentlichkeit oft kleinliche Probleme gibt es mit Slowenien. Eine keinesfalls geringe Anzahl radikaler Kroaten hält einen Krieg mit Serbien für nur auf Eis gelegt, hier sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das gleiche gilt im Übrigen auch für Serbien.

Die Furche: Ihr jüngstes Stück, das dieser Tage in Hamburg Premiere hat, beschäftigt sich mit dem kroatischen Konzentrationslager Jasenovac: Wie geht Kroatien mit seiner Ustascha-Vergangenheit um? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die katholische Kirche?

Snajder: Mein neues Drama "Das fünfte Evangelium" beschäftigt sich mit den Geschehnissen im KZ Stara GradiÇska, das zum Komplex des Todeslagers Jasenovac gehörte, wie zum Beispiel Neuengamme bei Hamburg Bestandteil von Sachsenhausen war.

Wir Kroaten tragen, ebenso wie die Österreicher und Deutschen, an einer schweren Vergangenheit, die nicht vorübergehen will, aber lediglich bei uns hat sie sich wiederholt - Sie haben in dieser Hinsicht bisher mehr Glück gehabt.

Die katholische Kirche gehört in diesem Kontext nicht in die Reihe jener gesellschaftlichen Kräfte, die eine umfassende Diskussion zu diesem Thema favorisieren würden, nach der sich die Frage nach dem "Wer ist wer" bzw. "Wer war wer in dem blutigen Drama 1941-45" genauer beantworten ließe.

Die Furche: Kroatien gilt als erzkatholisches Land. Wurde Religion in Kroatien für nationale und politische Zwecke instrumentalisiert?

Snajder: Leider ja, schon immer. Das bedeutet allerdings nicht, dass es im Schoß der katholischen Kirche keine Intellektuellen, Theologen, Priester und ähnliches gäbe, die mit dieser Entwicklung, das heißt mit dem Ausbleiben jeglicher Entwicklung in diesem Sinne, nicht sehr glücklich sind.

Die Fragen stellte Cornelius Hell.

Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof.

Nächster Länderschwerpunkt:

Bosnien-Herzegowina - am 15. April in der furche.

Slobodan Snajder, geb. 1948 in Zagreb,

Dramatiker, Erzähler, Essayist und Journalist, gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Autoren Kroatiens. Sein "Kroatischer Faust" (1981) wurde auch am Wiener Burgtheater und in Deutschland aufgeführt. Snajder - der zur Zeit in Zagreb das Theater ZaKaeM ("Theater der Jungen") leitet - war in der Tudjman-Ära kein wohlgelittener Autor im Land.

Dieser Tage wird in Hamburg sein Stück "Das 5. Evangelium" aufgeführt, das nach Motiven der Tagebuchaufzeichnungen des Ilja Jakovljevi´c (1889-1948) gestaltet ist.

Jakovljevi´c's Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ustascha-KZ Stara GradiÇska sorgten 1999 in Kroatien für großes Aufsehen, weil sie ein erschütterndes Bild der Wechselwirkungen des Lageralltags zwischen Angst und Widerstand, Solidarität und Opportunismus dokumentieren. Motive dieser Texte dienten Snajder als Ausgangspunkt seines Dramas. Stara GradiÇska war ein Nebenlager des - nach Vorbild des deutschen KZ Sachsenhausen erbauten - Vernichtungslagers Jasenovac, dessen Geschichte im gegenwärtigen Kroatien nach wie vor unzureichend aufgearbeitet ist.

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