Schlechter Kommunist, unzuverlässiger Serbe

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Kaum eine Biographie, kaum eine künstlerische Arbeit spiegelt die Geschichte und Widersprüche Jugoslawiens von seinen Anfängen bis zum Zerfall vor zwanzig Jahren so eindrucksvoll wider wie jene des 1922 in Belgrad geborenen und im Vorjahr im Wiener Exil gestorbenen Architekten, Surrealisten, Literaten, Politikers und Dissidenten Bogdan Bogdanovi´c.

Als im Sommer 1991 - zunächst für nur zehn Tage in Slowenien, dann aber umso heftiger für ganze fünf Jahre in Kroatien - der sogenannte Jugoslawienkrieg entbrannte, der im Jahr darauf auch Bosnien-Herzegowina erfasste und 1999 schließlich Kosovo erreichte, ging für Bogdan Bogdanovi´c wie für unzählige andere Menschen in unserem südöstlichen Nachbarland unwiederbringlich die Heimat verloren. Auch wenn der binnen weniger Jahre radikalisierte Nationalismus insbesondere in Serbien und Kroatien oder auch das etwas elitäre Selbstverständnis vieler Slowenen etwas anderes vermuten ließen: Der Großteil der 23 Millionen Einwohner des Vielvölkerstaats identifizierte sich mit dem 1918 als Monarchie aus der Taufe gehobenen und 1945 von Josip Broz Tito als föderative Republik wieder gegründeten gemeinsamen Land der Südslawen mehr als mit seinen - ethnisch alles andere als homogenen - Teilrepubliken.

Während die jüngeren Generationen von klein an auf die Einheit und Brüderlichkeit der hier lebenden Völker und somit auf den nationalen Zusammenhalt eingeschworen wurden, war für die älteren Generationen mit Sicherheit auch die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs identitätsstiftend: Nicht nur die Deutschen, auch Italiener, Ungarn, Rumänen und Bulgaren überfielen und besetzten 1941 das neutrale Jugoslawien - und wurden von Männern und Frauen, ja sogar von Jugendlichen aus allen Landesteilen in einem aufopferungsvollen "Volksbefreiungskrieg“ zurückgeschlagen.

Wider den sozialistischen Realismus

Auch Bogdan Bogdanovi´c war damals ein kommunistischer Partisane, obwohl er einer großbürgerlichen Familie entstammte, die geradezu repräsentativ für das rege und weltoffene Geistes- und Kulturleben in den jugoslawischen Städten der Zwischenkriegszeit stand. Seine Mutter unterrichtete Französisch und war Direktorin an einem Belgrader Gymnasium, sein Vater war Literaturkritiker und später Präsident des jugoslawischen Schriftstellerverbands sowie Direktor des serbischen Nationaltheaters. Der junge Bogdan begeisterte sich, so wie sein Schulfreund Milo Dor, bereits als Gymnasiast für den Surrealismus, der ihm Zeit seines Lebens als künstlerische und philosophische Grundhaltung diente - was ihn nicht zuletzt zum vielleicht weltweit einzigen surrealistischen Architekten machte.

Als solcher fand er im streng auf die Moderne ausgerichteten und von ökonomischen wie technokratischen Zwängen geprägten Architektur- und Bauwesen Nachkriegsjugoslawiens kaum ein Betätigungsfeld, sodass er als ursprünglich denkmalskeptischer Mensch gerade im Memorialbau - der in Jugoslawien wie in kaum einem anderen Land jahrzehntelang Konjunktur hatte - seine Nische fand. Doch auch darin geriet er von Anfang an zur Reizfigur für die kommunistische Nomenklatura. So war seine erste Gedenkstätte aus dem Jahr 1952 am sephardischen Friedhof in Belgrad für die jüdischen Opfer des Faschismus das erste Monument in Jugoslawien, das nicht den Gestaltungsdogmen des sozialistischen Realismus folgte - für viele ein ungeheurer Affront.

Provokation für Extremisten aller Seiten

Anstatt in seinen über vier Jahrzehnte, verteilt über ganz Jugoslawien errichteten zwanzig Denkmälern die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs oder die Bestialität des Holocaust festzuhalten, die Täter zu dämonisieren und die Opfer zu heroisieren, anstatt in damaliger Manier zu mahnen, zu überzeugen oder gar zu erziehen, wählte Bogdanovi´c stets eine zeitlose, offene Formensprache, die - surrealistisch abstrahiert - archaische, antike oder auch regional-folkloristische Symbole aufgriff. Damit versuchte er nicht zuletzt, die ethnischen und religiösen Differenzen innerhalb des Vielvölkerstaats zu überwinden. Die Unbestimmtheit seiner Bauten, der lyrische Umgang mit den zugrunde liegenden tragischen Ereignissen stieß in der breiten Bevölkerung auf große Akzeptanz. So wurden und werden die meisten Gedenkstätten auch als Parks, Freilufttheater, Kinderspielplätze, für Feste oder Rendezvous alltäglich genutzt.

Die Extremisten jeglicher Provenienz hingegen zeigten sich durch den breiten Interpretationsspielraum, den die Denkmäler dem Betrachter lassen, verunsichert und provoziert. So zündeten kroatische Nationalisten 1992 auf Bogdanovi´cs multikonfessionellem Partisanenfriedhof im herzegowinischen Mostar eine Bombe, während serbische Verbände die 24 Meter hohe Blume aus Beton beschossen, die der Künstler am Gelände des einstigen Vernichtungslagers Jasenovac errichtet hatte. Paradoxerweise war dieses Mahnmal vor allem serbischen Opfern gewidmet - der größten ethnischen Gruppe, die während des Zweiten Weltkriegs im sogenannten "Auschwitz des Balkan“ vom kroatisch-faschistischen Ustascha-Regime ermordet wurde. Und dies waren nicht die einzigen Fälle, in denen sich der blindwütige Hass politischer Extremisten gegen alles und jeden (und damit letztendlich auch gegen die eigene Geschichte und Identität) an Bogdanovi´cs Gedenkstätten entlud - die so aus der Vergangenheit, auf die sie Bezug nahmen, in den 1990er-Jahren unvermittelt in die Gegenwart zurückgeholt wurden.

60-seitiger offener Brief an Miloˇsevi´c

Der Künstler, der trotz seiner stets kritischen Haltung - er selbst bezeichnete sich gern als einen "schlechten Kommunisten“, der aber im Unterschied zu seinen Genossen ein Linker blieb, als diese sich nach 1989 zu Nationalisten oder Klerikern wandelten - zum Dekan der Belgrader Architekturfakultät aufstieg und von 1982 bis 1986 sogar Bürgermeister von Belgrad wurde (und auch diese Rolle mit einer gehörigen Portion Surrealismus interpretierte), sah sich für sein Werk auch persönlich angefeindet. Spätestens ab 1987, nach seinem sechzigseitigen offenen Brief an Slobodan Miloˇsevi´c, in dem er den damaligen Machthaber der Teilrepublik Serbien frühzeitig als engstirnigen Kriegstreiber entlarvte, wurde Bogdanovi´c mit öffentlichen Morddrohungen bedacht, auf offener Straße attackiert und bis in seine Wohnung verfolgt - bis er mit seiner Frau 1993 nach Wien emigrierte.

Hier veröffentlichte er bis zu seinem Tod im Sommer 2010 noch mehrere Bücher, die seinen beeindruckenden architekturhistorischen, metaphysischen und humanistischen Kosmos zu erschließen erlauben - und die ganze Kraft und Tiefe seiner Denkmäler zu verstehen helfen. Nicht zuletzt geben sie wertvolle Einblicke in die Heimat des - am ehesten mit Künstlern der Renaissance vergleichbaren - Multitalents, in die Geschichte und in das Wesen Jugoslawiens, in dessen Einzigartigkeit als über Jahrzehnte funktionierende multikulturelle Gesellschaft, aber auch in damalige Irrationalität - oder, wenn man so will, in die Surrealität dieses real nicht mehr existierenden Landes.

* Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien

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