Kriegsverbrecher passen nicht ins Bild

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Bei der Jagd nach kroatischen Kriegsverbrechern ist Präsident Mesi'c allein. Kaum ein Kroate glaubt, dass unter den Kriegshelden auch Verbrecher waren. Lokalaugenschein in einer Stadt, wo Kroaten serbische Zivilisten gefoltert und ermordet haben.

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Bei der Jagd nach kroatischen Kriegsverbrechern ist Präsident Mesi'c allein. Kaum ein Kroate glaubt, dass unter den Kriegshelden auch Verbrecher waren. Lokalaugenschein in einer Stadt, wo Kroaten serbische Zivilisten gefoltert und ermordet haben.

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Gospi'c: 1991 kam es hier zu heftigen Gefechten zwischen kroatischen Verbänden und serbischen Angreifern. Aber auch zehn Jahre danach spricht hier niemand gern über die Gräueltaten, die kroatische Milizen an serbischen Zivilisten verübten. Es waren vor allem Frauen und Kinder, die hier zu Anfang des Krieges von kroatischen Militärs ermordet und danach in einem Massengrab verscharrt wurden. Erst vor wenigen Wochen wurde das Grab geöffnet, die Leichen zu gerichtsmedizinischen Untersuchungen nach Rijeka gebracht. Laut Berichten von Zeugen weisen alle Opfer Spuren von Foltern auf.

Der kroatische Präsident Stipe Mesi'c will mit der Tudjman-Ära abrechnen und setzt alles daran, die kroatischen Kriegsverbrechen aufzuklären. "Jetzt werden bei uns alle Fälle von Kriegsverbrechen untersucht, weil in Kroatien niemand das Recht hat, Zivilisten, Frauen und Kinder zu erschlagen. Alle Verbrecher werden zur Verantwortung gezogen und vor Gericht gestellt", meinte der Präsident gegenüber der furche.

Doch nicht alle Bürger teilen die Meinung ihres Präsidenten: der Hauptbelastungszeuge im Fall des Massakers von Gospi'c, Milan Levar, wurde bei einem Attentat mit einer Handgranate getötet. Er kann nicht mehr vor Gericht aussagen. Seine Frau Vesna befindet sich seit dem Attentat unter Polizeischutz. Obwohl sie ständig Morddrohungen bekommt, will sie in Gospi'c bleiben. Milan Levar wollte ans Licht bringen, dass in seiner Stadt Kriegsverbrechen von den einheimischen Kroaten verübt wurden. "Mein Mann wollte nicht, dass man die ganze Stadt dafür verantwortlich macht. Er wollte das böse Image von der Stadt nehmen und dafür musste er mit seinem Leben bezahlen", erzählt Frau Levar.

Milan Levar nannte konkrete Namen, darunter auch den des kroatischen Kriegshelden General Mirko Norac, der sich als Verteidiger von Gospi'c einen Namen gemacht hat. Norac wurde wegen der belastenden Aussagen verhaftet, doch für seine Anhänger bleibt er trotzdem ein Held. Dieser Meinung sind sehr viele Bewohner von Gospi'c. Auf der Straße hört man Meinungen wie: "General Norac ist kein Kriegsverbrecher - unmöglich. Er hat für Kroatien gekämpft, wir werden ihn für nichts im Leben aufgeben."

Kein Blick ins Archiv Die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit ist vielen in Kroatien ein Dorn im Auge. In Split machen Veteranenverbände dagegen mobil. Sie wollen das Mythos des sauberen Verteidigungskrieges gegen die Serben aufrechterhalten. Kriegsverbrechen passen da nicht ins Bild. Mit einer Unterschriftensammlung, die in Kroatien läuft, versuchen sie eine Volksabstimmung durchsetzen, damit es erst gar nicht zur Prozessen gegen kroatische Kriegsteilnehmer kommt. Das kroatische Volk soll darüber entscheiden, ob einige der kroatischen Verteidiger jetzt als Kriegsverbrecher verurteilt werden. Darüber hinaus sollen die Kriegsarchive mindestens 30 Jahre geschlossen bleiben, fordern die Veteranen.

Nur langsam findet in Kroatien ein Umdenken dahingehend statt, dass es auch im Krieg individuelle Schuld gegeben hat. Doch die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Allein die Menschenrechtsorganisation Helsinki Watch hat über 600 Fälle dokumentiert, in denen serbische Zivilisten von Kroaten ermordet wurden. An eine schnelle Verurteilung der Schuldigen glaubt der Leiter des Helsinki-Komitees Zarko Puhovski aber nicht. Gegenüber der furche zieht er jedoch eine erste ermutigende Bilanz: "Mit der Untersuchung der Massengräber macht Kroatien immerhin den ersten Schritt in Richtung Aufarbeitung. Das offizielle Kroatien der Nach-Tudjman-Ära setzt alles daran, in die Reihe der europäischen Rechtsstaaten aufgenommen zu werden. Ein bitterer Prozess, den die anderen Kriegsparteien in Bosnien-Herzegowina und Serbien noch vor sich haben."

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