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Carl Gustav Ströhm: Wer kommt danach?

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Die Antwort auf die Frage, wer Titos Nachfolger sein wird, ist einfach: niemand. Denn nach Tito kann es niemanden geben, der alles das ausfüllt, was Tito mit seiner Person und seiner politischen Ausstrahlungskraft unter Kontrolle hielt. Ebenso wie de Gaulle, Adenauer, Josef Stalin oder Mao Tse- tung kann auch Tito keinen Nachfolger, ja nicht einmal einen Nachahmer haben. Wenn nach Titos Tod irgendein jugoslawischer Führer sich mit der Toga des „Alten" bekleiden und mit ähnlichem Anspruch vor seine Völker treten sollte, wären Gelächter und Empörung ihm sicher. Die Distanz ist zu groß.

So wird Jugoslawien ohne Tito zwangsläufig ein Jugoslawien minus Tito sein - und das wird sich auf die Innen- wie auf die Außenpolitik dieses Landes auswirken müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Tito in den letzten Monaten oder Jahren seines Lebens noch wirtklich aktiv war oder ob die Macht in Wirklichkeit schon lange nicht mehr von ihm, sondern von anderen in seinem Namen ausgeübt wurde. Auch hier ist das Beispiel Mao Tse- tungs charakteristisch: Mao hat wahrscheinlich in seinen letzten Lebensmonaten überhaupt nicht mehr regiert - aber er hat jene, die regierten und handelten, mit seiner Autorität amgestattet. Im Augenblick, da er die Augen schloß, wurde alles anders. Auch in Jugoslawien wird vieles anders werden, wenn es einmal soweit ist.

Um auf den Tag X vorbereitet zu sein, hat der jugoslawische Partei- und Staatsapparat schon jetzt die Zügel angezogen. Die liberale Phase, als Jugoslawien geradezu an der Schwelle des Pluralismus zu stehen schien und als Neomarxisten, Katholiken untLNa- tionalisten munter durcheinander diskutierten und publizierten, ist vorbei. Das innenpolitische Klima ist schärfer geworden - und je näher der Tag X rücken sollte, desto schärfer könnte es noch werden. Weder für Freunde der Sowjetunion noch für „kritische Marxisten“, noch für Anhänger des westlichen Parlamentarismus ist es ratsam, heute in diesem Lande den Mund allzu weit aufzumachen.

Nach Titos Tod könnte es im Zuge einer Nachfolgekrise zu Unruhen kommen, die Nachfolgekrise könnte zur Nationalitätenkrise werden. Es könnte zu Streiks und Demonstrationen kommen, wie man sie nach dem Tode Francos in Spanien beobachtet hat. Das aber könnte angesichts der exponierten geo- strategischen Lage Jugoslawiens (die mit der relativen Abgeschlossenheit und Isoliertheit Spaniens nicht zu vergleichen ist) bereits genügen, um die Sowjetunion womöglich zur „brüderlichen Hilfe“ zu veranlassen - unter dem Schlagwort, der Sozialismus in Jugoslawien sei gefährdet und Titos Erbe müsse durch Moskau „gerettet“ werden.

Viel wahrscheinlicher als eine sowjetische militärische Invasion ist eine schleichende sowjetische Infiltration Jugoslawiens auf leisen Sohlen. Der Ausgangspunkt für eine solche „Invasion durch die Hintertür“ wäre der Tod Titos. Die Sowjetunion würde dann den Versuch machen, Jugoslawien international zu diskreditieren. Zum Teil geschieht das bereits heute. Außerdem könne die Sowjetunion durch indirekte Methoden die Krisenherde in der jugoslawischen Innenpolitik aktivieren.

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