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Die Prolongation der Generäle

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In Griechehland bebt nicht nur die Erde öfter als irgendwo sonst in Europa. In Griechenland bebt die Erde auch öfter vom Rattern der Panzerketten. Der prolongierte Putsch zerstört bis auf weiteres die Erwartungen, Griechenland könnte zur Demokratie zurückkehren, die Juntaherrschaft werde demokratischen Institutionen weichen, das Militär in die Kasernen zurückkehren.

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In Griechehland bebt nicht nur die Erde öfter als irgendwo sonst in Europa. In Griechenland bebt die Erde auch öfter vom Rattern der Panzerketten. Der prolongierte Putsch zerstört bis auf weiteres die Erwartungen, Griechenland könnte zur Demokratie zurückkehren, die Juntaherrschaft werde demokratischen Institutionen weichen, das Militär in die Kasernen zurückkehren.

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Griechenland ist das letzte Beispiel in der Kette mediterraner Länder, in denen die Militärs bis auf weiteres den zivilen Kräften überlegen sind und diese Überlegenheit auch zu nützen verstehen. Als „Garanten der Ordnung“ bezeichnet sich rund um das Mittelmeer jene Einrichtung, die ziviler Korruption und den Parteiencliquen nur mit Panzerketten ein Ende zu machen glaubt — um treulich bald ebenso tief in den Schlamm des Nepotismus und der Bereicherung zu geraten.

Dabei ist Griechenland ein ideales Beispiel dafür, wie Macht korrumpiert — gleichgültig, ob sie von Zivilisten oder Militärs ausgeübt wird. Die Illusion, die die Obersten Papadopoulos und Pattakos 1967 mit ihrem puristischen Gehabe verbreiteten, ist dahin. Heute zeigt jeder Taxifahrer in Athen dem Fremden die Prachtvillen am Fuße des Lyka-bettos, in denen die Revolutionäre für ein „christliches Hellas“ wohnten; man weiß um den Nepotismus von Papadopoulos, um die Geschäfte seines Bruders. Man nennt hinter vorgehaltener Hand die Beteiligungen an Unternehmungen (auch an ausländischen) der führenden Militärs oder ihrer Sippschaft.

Fürwahr, Papadopoulos und seine Clique mußten in den Augen ihrer Kameraden ja längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt und die Ziele der sogenannten Revolution von 1967 verraten haben. Daß der Gegenputsch so lange auf sich warten ließ, war eher der Schlauheit des Papadopoulos zuzuschreiben als der Stabilität seines Regimes. Damit freilich bricht die wesentliche These der alten wie der neuen Machthaber zusammen: daß es der Armee bedürfe, um „Ordnung“ zu schaffen — weil die Korruption der Moral und des Systems nicht vor Uniformen halt macht.

Das zu verhindernde „drohende Chaos“: es bedeutete für Gisikis und den offenbar neuen „starken Mann“, den Obersten Ioannidis, die Existenz von Parteien, freie Wahlen und damit demokratische Institutionen; die Hellenen sind für die neue Junta ebenso unmündig wie sie es für die alte waren. Mit dem Signet vom „drohenden Chaos“ kann man nun wieder verhaften, Hausarrest verhängen, Säuberungen durchführen. Clique gegen Clique; und dabei geht es nicht um weltanschauliche, ja nicht einmal um politische Differenzen, es geht nur darum, wie man sich Macht sichert und bewahrt: die abgeschobenen Provinzmilitärs gegen die bereits schicken Establishment-Generäle — ein Kampf um die Pfründen.

Der Fall Griechenland wäre freilich nicht so wichtig im weltpolitischen Schach, würde er nicht eine Herausforderung für Europa bedeuten — und stünde nicht das Phänomen der Militärdiktatur neuerlich im Brennpunkt.

Tatsache ist, daß die Liberalisierungsphase des späten Papadopoulos wesentlich durch die Reaktion des demokratischen Auslands, vor allem der USA und der EWG-Länder, bestimmt war. Selbst wenn es (latente) Beziehungen der CIA zu den alten und neuen Putschgenerälen gibt (was wahrscheinlich ist), so darf doch nicht die öffentliche Reaktion in den USA übersehen werden, die einhellig gegen die Militärs in Athen gerichtet war. Und wer die öffentliche Meinung in den USA richtig einzuschätzen weiß, wird verstehen, daß auch weiland Vizepräsident Spiro Agnew die Putschisten tadelte und zur Rückkehr zur Demokratie aufforderte. Der faktische Ausschluß Griechenlands aus dem Europarat und die Stimmung — vor allem in den sozialdemokratischen EWG-

Staaten — gegenüber. Papadopoulos hat diesen überdies vor allem veranlaßt, seine Scheinliberalisierung anzukurbeln.

Damit war von vornherein klar, daß dem Abbau der Gewalt in Griechenland kein dem System inhärentes Muster zugrundelag — sondern daß dieser durch äußeren Druck erzeugt wurde. Und man darf zur Kenntnis nehmen, daß die neuen Machthaber fast spiegelgleich vorgehen werden: in Kalt-Warm-Bädern zwischen Liberalisierung und dem Anziehen der Schraube pendelnd, zwischen ausländischem Druck und inneren Schwierigkeiten balancierend; stets bangend vor den Kameraden in der Armee und den Zivilisten, die die verhaßten Parteien wieder installieren wollen.

Die Militärdiktaturen rund um das Mittelmeer bilden nun nach wie vor fast eine geschlossene Kette: da sind die arabischen Militärstaaten Libyen, Syrien, Algerien und, in gewissem Sinne, auch noch immer Ägypten. In der Türkei zieht sich die Regierungsbildung seit Wochen dahin und den Militärs wird letztlich auch dort wiederum die Schiedsrichterrolle zukommen; Spanien schließlich nähert sich dem Tag, an dem sich entscheiden wird, ob das Land in die Gemeinschaft der europäischen Volldemokratien eintritt — oder ob die Armee unter dem Signet der „Ordnung“ bestimmender Faktor der weiteren Entwicklung bleibt.

Was sich in dieser Polarität abspielt, ist sohin ein Entwicklungsprozeß, der Kategorisierung erlaubt: zwischen Staaten, die einen Rei-fungs- und Läuterungsprozeß hinter sich haben und demokratische Werte über das Absolutheitspostulat der Ruhe stellen — und Systemen in Gärung, für die die Armee die einzige Problemlösung zu sein scheint.

Hinter all dem stehen freilich Gewissensfragen: Muß man mit Regimen paktieren, die zwar pro forma und als strategische Größen diesseits des Eisernen Vorhangs stehen — oder ist der Anspruch europäischer, ja altgriechischer, demokratischer Freiheitstraditionen so schwach, daß sie zur unglaubwürdigen Alternative für das Europa jenseits des Eisernen Vorhangs werden?

Auch in Prag wurde vor fünf Jahren die „Ordnung“ mit Panzerketten

wiederhergestellt.

„Das Unrecht wird beseitigt.“

Mit diesen Worten gab das SPÖ-Zentralorgan den Startschuß für die Strafrechtsdebatte im Nationalrat.

Was jetzt beseitigt wird, ist nicht Unrecht. Beseitigt werden jetzt Menschen: Lebende Menschen.

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