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Diktator als Landesvater?

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In Griechenland spielen sich seit der Vereidigung von Georgios Papadopoulos als erstem Präsidenten der neuen Hellenischen Republik am 19. August völlig überraschende Dinge ab. Fast alle politischen Gefangenen der 1967 errichteten Militärdiktatur sind auf freien Fuß gesetzt worden. Der Ausnahmezustand ist nach mehr als sechsjähriger Dauer aufgehoben; Zeitungen und Kabarettisten stürzen sich, von der Zensur befreit, mit frischer Aggressivität auf die Schwächen des nach wie vor autoritären Regimes. Trotz Preisauftrieb und sozialen Nöten ist Hellas mit einem Schlag wieder das fröhliche Sonnenland geworden, das es bis zum Offiziersputsch des 21. April 1967 gewesen ist.

Man mag einwenden, daß alle diese Maßnahmen keinen echten Fortschritt darstellen, da sie nur der Wiederherstellung der vor der Aufhebung der demokratischen Grundrechte herrschenden Freiheit gedient haben: Papadopoulos hat freigelassen, die er selbst eingesperrt; erlaubt, was er selbst verboten; lächelt, worüber er noch vor einem halben Jahr getobt hat.

Ist das allein schon ein ebenso interessanter wie begrüßenswerter psychologischer und politischer Wandel, so ist der griechische Staatschef doch nicht nur bei der Wiedergutmachung für die harten Diktaturjahre stehengeblieben. Die für September zugesagte Bildung eines Verfassungsgerichtes, das neue Parteigesetz und der nach seit 1913 laufenden Bemühungen der griechischen Gewerkschaften endlich in Kraft tretende Sozialkodex sind Bausteine eines neuen Griechenland, das den goldenen Mittelweg zwischen dem Demokraitiemißbrauch der weiteren und dem Standrecht der jüngsten Vergangenheit zu gehen versucht. Damit ist der ehemalige Artillerieoberst und Geheimdienstler Papadopoulos auf dem besten Wege, vom Diktator zum „Landesvater“ der Hellenen zu werden. Es stellt sich nur die Frage, weshalb der griechische Führer erst so spät und gerade jetzt einen Stil gefunden hat, der die gegen ihn gerichteten Vorhalte im In- und Ausland abbaut. Athener Beobachter sind größtenteils der Ansicht, daß Papadopoulos in erster Linie von den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten Griechenlands zu seinem Liberalisierungsentschluß bewogen wurde.

Hat diese Hypothese auch einiges für sich, so gibt es doch profundere Anhaltspunkte dafür, daß Papadopoulos von Anfang an von einem freiheitlicheren Konzept beseelt war und durch radikale, ihm aber vorerst unentbehrliche Mitarbeiter gezwungen wurde, seinem Regime einen faschistischen Anstrich zu geben. Für diese Ansicht sprechen in erster Linie die mit Papadopoulos' August-Öffnung in Richtung Demokratie verbundenen heftigen Auseinandersetzungen mit den Ultras unter den nach wie vor in Schlüsselpositionen sitzenden Putsch-Offizieren von 1967: der Chef der wegen ihrer Folterpraktiken berüchtigten Militärpolizei ASDEN, Generalleutnant

Tsoumanis, mußte am 24. August nach der Freilassung der politischen Häftlinge seinen Abschied nehmen; der Rechtsaußen des einstigen „Revolutionsrates“ und gegenwärtige Sozialminister, Ioannis Ladas, verweigerte mit anderen Regierungsmitgliedern den ihm von Papadopoulos abverlangten Rücktritt und wurde daraufhin von der Kandidatur im neuen Parlament ausgeschlossen: nur dem ebenfalls nicht gerade toleranten Innenminister Pattakos scheint ein ehren- und einkunftsvolles Ausgedinge als Mitglied des Verfassungsgerichtes auf Lebenszeit sicher zu sein.

Diese Schwierigkeiten, die Präsident Papadopoulos im Interesse der Liberalisierung mit seinen ureigensten Diktaturfreunden in Kauf nahm, sprechen dafür, daß er Amnestie und Rückkehr zum Parlamentarismus von langer Hand vorbereitet hat. Dasselbe Ergebnis liefert eine Untersuchung seines wenig bekannten politischen Werdeganges.

Selbst die Verschwörer vom April 1967 glaubten, mit Papadopoulos nur ein Glied in ihrer umstürzlerischen Kette zu haben, obgleich er es in Wirklichkeit war, der in dem 38köp-figen Geheimbund die Fäden zog und die Weichen stellte. Die Informationen der Athener Kommunisten waren da viel zuverlässiger. Schon am 22. April 1967 haben der großen Verhaftungswelle entgangene Funktionäre der hellenischen KP und ihrer Tochterorganisation EDA ihre Freunde unter den Auslandskorrespondenten darauf hingewiesen, daß sie ihre Hoffnungen in den Außenseiter Papadopoulos setzten. Dieser verbände mit seinen autoritären Methoden eine ausgesprochen fortschrittliche Grundhaltung. Früher oder später werde Papadopoulos auch mit der Monarchie aufräumen: So prophezeit im April 1967, so verwirklicht im Juli 1973.

Spricht das alles dafür, daß Papadopoulos innenpolitisch keinen Wandel durchgemacht, sondern konsequent, aber mit taktischen Umwegen seinem von Anfang an ins Auge gefaßten Ziel nachgegangen ist, so hat er als Außenpolitiker seit 1967 viel dazugelernt. Dabei war für ihn die Schule des großen griechischen Diplomaten Pipinellis entscheidend, der Papadopoulos bis zu seinem Tod als Außenminister — trotz Meinungsverschiedenheiten im Inneren — gedient hatte. Papadopoulos' Wandel vom rauhbeinigen Kasernenhengst zum Diplomaten läßt sich an seinen beiden Zypernerklärungen von 1967 und von 1973 erkennen. Hatte er damals die Insel als eine „südgriechische Provinz“ bezeichnet, was den Auftakt zur Zypernkrise vom November 1967 gab, so hat sich am 24. August 1973 ein ganz anderer Papadopoulos vorgestellt, der im Interesse des Friedens im östlichen Mittelmeer nicht davor zurückscheute, die hellenische Sehnsucht nach der „Enosis“ abzuschreiben, dem in Alterstorheiten verstrickten Nationalhelden Grivas die Leviten zu lesen und selbst dem ihm gegenüber äußerst kritischen Makarios seine volle Unterstützung auszusprechen.

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