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Werden die Offiziere müde?

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Um Griechenland ist es in den letzten Monaten mehr als still geworden. Sehauprozesse, Umsturzversuche und sensationelle außenpolitische Verwicklungen, wie sie seit dem Krisenjahr 1963 und erst recht nach der Machtergreifung der Offiziere am 21. April 1967 an der Tagesordnung waren, sind endlich einmal ausgehliehen, wenn man von den Aufregungen absieht, die palästinensische Partisanen immer wieder ins Land tragen.

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Um Griechenland ist es in den letzten Monaten mehr als still geworden. Sehauprozesse, Umsturzversuche und sensationelle außenpolitische Verwicklungen, wie sie seit dem Krisenjahr 1963 und erst recht nach der Machtergreifung der Offiziere am 21. April 1967 an der Tagesordnung waren, sind endlich einmal ausgehliehen, wenn man von den Aufregungen absieht, die palästinensische Partisanen immer wieder ins Land tragen.

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So sind die letzten innergriechischen Entwicklungen auch ziemlich unbeachtet geblieben, obwohl gerade die seit dem Frühsommer von der Militärregierung vorgelegten Gesetzesentwürfe zu den wichtigsten Fundamenten der neuen Ordnung für Hellas gehören, deren Einführung durch die Obersten seit langem und mit vorherrschender Skepsis erwartet wird.

Es war bei weitem nicht der größte Schönheitsfehler der im September 1968 durch Volksabstimmung eingeführten Revolutionsverfassung, daß das Plesbiszit unfrei und die grundlegenden Artikel des Grundgesetzes von vornherein suspendiert waren. Viel entscheidender fiel die völlige Unverbindlichkeit dieser Konstitution ins Gewicht, bei der fast jeder Artikel mit der stereotypen Wendung schloß: wie durch Gesetz näher zu bestimmen. Als erste dieser Durchführungsge-gesetze, die viel wichtiger sind als die ganze Rahmenverfassung, hatte Athen — damals noch zur Beschwichtigung des Europarates — ein Wahl- und Parteiengesetz angekündigt, doch war es dann das Pressegesetz, das nach einer mehrmonatigen Diskussions- und Probezeit als erstes zum Jahresanfang 1970 in Kraft gesetzt wurde. Nach einer längeren Pause sind jetzt in rascher Folge die Gesetzesvorlagen über die Regentschaft, den Verfassungsgerichtshof, die. Befugnisse des Ministerpräsidenten und den Ministerrat zur öffentlichen Diskussion gestellt worden. Und diese verläuft nach der Gewährung einer gewissen Pressefreiheit nun nicht mehr so monologisch wie 1968 über den Verfassungsentwurf.

Wie schon dieses Grundgesetz, werden auch jetzt dessen Durchführungsbestimmungen zum Teil echten Bedürfnissen, zum Teil aber auch nur den Machtambitionen der Obersten gerecht. Die Errichtung einer bisher in Hellas inexistenten, obersten Verfassungsinstanz und die Regelung der ministeriellen Pflichten, wo sich die Verantwortlichkeiten dem König oder dem Parlament gegenüber geschnitten hatten, sind für Griechenland zweifellos ein Fortschritt; wenn aber das Exil König Konstantins verfestigt, die Regentschaft institutionalisiert und alle Macht im Staat in die Hände des Ministerpräsidenten gelegt wird, so sind nicht die griechischen Bürger, sondern Vizekönig Zoitakis und Regierungschef Papadopoulos die einzigen Empfänger dieser konstitutionellen Präsente. Dabei ist eine beachtliche Akzentverschiebung zwischen dem 1968 in großen Zügen umrissenen Verfassungsrahmen und seiner jetzigen Ausgestaltung nicht zu verkennen. Liefen die Tendenzen des noch vor der Entmachtung der 38köpfigen Offiziersjunta durch Papadopoulos im November 1968 erlassenen Grundgesetzes auf eine oligar-chische Staiatsform hinaus, in der die eigentliche Macht gleichmäßig auf die Spitzen von Armee, Regierung, Verwaltung und Justiz verteilt wurde, so sieht jetzt das Minister-präsidentengesetz ein Einmannsystem vor, das deutlich auf Papadopoulos zugeschnitten ist. Nach seinem Inkrafttreten wird es der frühere Artillerieoberst und Geheimdienstler gar nicht mehr nötig haben, gleichzeitig auch als Außen-, Vertei-digungs-, Informations- und Kultusminister zu fungieren: Seine neuen Kompetenzen umfassen alle Ministterien, deren Ressortcbefs kaum noch die Kompetenzen von Staatssekretären bleiben. Ob nun auch das Parteien- und Wahlgesetz mit derselben Schnelligkeit folgen werden, ist noch dahingestellt, so daß Griechenland in den nächsten Jahren zwar nicht mehr gerade von einer Militärdiktatur, aber immerhin noch durch eine administrativ-autoritäre Einmannherrschaft regiert werden wird. Allerdings haben bereits die Erfahrungen mit dem alles andere als freizügigen Pressegesetz gelehrt, daß der demokratisch gesinnte Grieche jeden dem Regime abgerungenen Millimeter Freiheit hundertprozentig auszunützen weiß. So wird es bei dem neuen Verfassungsgericht Hunderte von Beschwerden gegen Verfassungsdelikte der Diktatur geben, und auch der Widerstand aufrechter Minister wird Papadopoulos weiter zu schaffen machen. Die vielgerühmte Stabilität der außerparlamentarischen griechischen Regierung beschränkt sich nämlich auf ihren militärischen Kern Papadopoulos, Pattakos, Makarezos, während alle anderen Minister zum Teil schon wiederholt ausgewechselt werden mußten. Insgesamt erlebte Griechenland seit dem 21. April 1967 neben dem ersten Kabinett Kollias, in dem die Monarchisten den Revolutionären noch die Waage hielten, schon sieben verschieden zusammengesetzte Regierungen Papadopoulos, wobei die wichtigen Handels-, Sozial-, Justiz-, Unterrichts- und Agrarministerien sowie die Staatssekretäre im Ministerium für wirtschaftliche Koordination am häufigsten von den Umbildungen betroffen wurden.

Außerdem zeigt auch schon die recht kritisch in Gang gekommene Diskussion um die neuen Gesetzesentwürfe, daß die Ordnung des Griechenland von morgen auch ohne Parlament und mit stark eingeschränkter Pressefreiheit von der Bevölkerung langsam wieder mitbestimmt wird. Dazu kommt, daß tausende Auslandstouristen die griechische Zahlungsbilanz gerade in diesem Sommer nicht nur verbessern, sondern das Regime auch zur Mäßigung zwingen. Auch in die entlegensten Winkel und auf die entferntesten Inseln hat sich der Fremdenstrom verzweigt. Griechenlands Bürger finden so leicht den Kontakt zur Außenwelt — und griechische Interna finden auf einfache Weise den Weg in die Weltpresse. Die nackte Gewalt der vor dreieinhalb Jahren an die Macht gekommenen Offiziere zeigt Ermüdungserscheinungen, und sie selbst machen erste Konzessionen. Wenn nur der demokratische Wille des Volkes nicht auch ermüdet, wird die Lockerung und schließlich das Ende der Diktatur nur noch eine Frage der Zeit sein, wobei gar nicht ausgeschlossen ist, daß auch der eine und andere der Putschisten von gestern zum Staatsmann von morgen heranreift.

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