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Wie die „Faulokratie“

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Im Februar 1973 glaubt man in der Athener Panepistimiou- oder Patisionstraße in den stürmischen Frühling von 1967 zurückversetzt zu sein, dessen Unruhen der Machtergreifung der bis heute im Amt befindlichen Militärregierung Papa-dopoulos vorausgegangen waren. Offene Revolte auf der Universität und auf der Technischen Hochschule, in der Umgebung Demonstrationen und knüppelnde Polizisten, Schnellprozesse gegen die studentischen Rädelsführer und Zwangseinziehung anderer zum Armeedienst. Das sind Zustände, wie sie von den Fürsprechern der griechischen Diktatur in den letzten sechs Jahren immer wieder als Begründung für die Suspendierung der demokratischen Freiheitsordnung am 21. April 1967 ins Treffen geführt worden sind. Papadopoulos hat sein totalitäres Experiment wiederholt als Operation bezeichnet, die den kranken Mann Griechenland von der Krebsgeschwulst der Anarchie und der „Faulokratie“, der Korruption des Mehrparteiensystems, heilen werde. Die neuen Studentenunruhen sind ernste Symptome dafür, daß der „heilende Eingriff“ des Artilleristen in den politischen Ablauf ein Mißerfolg zu werden droht.

In diesem Sinne haben sich auch sofort die griechischen Oppositionsführer, an ihrer Spitze der letzte legale Regierungschef Kanellopou-los, geäußert. Sie sind fast geschlossen als Entlastungszeugen für die angeklagten Studenten in die Schranken getreten. Auf der anderen Seite sind diese stürmischen Entwicklungen Wasser auf die Mühlen des extremen Regimeflügels, dem jetzt der von Papadopoulos ohnedies zögernd genug betriebene Abbau von Standrecht und Ausnahmezustand viel zu liberal geworden ist. Der heimliche Führer dieser Ultras ist Oberst Ladas, der, nach längerer Abschiebung als Gouverneur in die Provinz, bei der letzten Regierungsumbildung als Gesundheitsminister ins Kabinett und in die Hauptstadt zurückkehren konnte. Seine Anhänger hatten schon 1969 eine erste Liberalisierungswelle vereitelt und deren Befürworter, den Papadopou-los-Ratgeber Stamatopoulos, zu Fall gebracht. Dieser hatte damals die Erlaubnis für ein öffentliches Volksbegräbnis des linksliberalen Altministerpräsidenten Georgios Papandreou durchgesetzt, das sich zu einem Protestmarsch gegen die griechische Diktatur entwickelte. Kaum war Stamatopoulos 1972 wieder zu Amt und Ehren gelangt, trat er für ein lockeres Regiment auf den bis dahin streng überwachten Hochschulen ein. Zu Beginn des Wintersemesters 1972/73 wurden zum erstenmal seit 1966 wieder Studentenvertretungen gewählt. Doch waren speziell den Hörern der Hochschulen für Technik und Welthandel diese Wahlen nicht frei genug, die studentische Unrast schwelte den ganzen Herbst und Winter hindurch, um sich jetzt in stürmischen Szenen Luft zu machen.

Für die harten Männer unter den griechischen Machthabern ist das ein willkommener Anlaß, für den Fortbestand ihres diktatorischen Systems und den weiteren Aufschub der in Papadopoulos' eigener Verfassung von 1968 vorgesehenen Rückkehr zur Demokratie zu plädieren. Das Volk der Griechen habe mit den Zwischenfällen nur neuerlich seine politische Unreife und die Unersetzlichkeit einer autoritären Staatsführung bewiesen.

Beide Seiten scheinen dabei zu übersehen, daß es sich bei dem Studentenprotest von Athen nicht nur um eine politische Manifestation handelt. Studienprobleme, berufliche Aussichten und jugendliche Demonstrationsfreude spielen ebenso mit wie die, freilich damit verbundene, Aversion der griechischen Intelligenz gegen die Herrschaft des Kasernenhofes im Land der Philosophen und Ästheten. So war die Revolte der höheren technischen Schulen aus-

Oppositionsführer Kanellopoulos: Entlastungszeuge für Studenten schließlich von der Forderung nach Gleichberechtigung mit den Absolventen des Polytechnikums motiviert. Und die führende griechische Mittagszeitung „Ta Nea“, deren erzdemokratischem Verleger Lambrakis man ganz gewiß keine Sympathien für das Militärregime nachsagen kann, hat schon im Jänner in einer Artikelfolge zu Studentenproblemen auf die explosive Situation Griechenlands studierender Jugend hingewiesen, diese aber in der Hauptsache auf unpolitische Faktoren zurückgeführt.

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