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Zuruck zum Rechtsstaat

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Mindestens bis zürn 25. Juni müssen Spaniens Parteien warten, bis sie sich auch offiziell als solche benehmen können. Inoffiziell tun sie es bereits seit. Wochen. Daran ändert auch nichts, daß- kürzlich vorübergehend sechs Sozialisten verhaftet wurden.

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Mindestens bis zürn 25. Juni müssen Spaniens Parteien warten, bis sie sich auch offiziell als solche benehmen können. Inoffiziell tun sie es bereits seit. Wochen. Daran ändert auch nichts, daß- kürzlich vorübergehend sechs Sozialisten verhaftet wurden.

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Wie das Gesetz über Versamm-lungs- und Demonstrationsrecht, sollte auch die Zulassung der Parteien von den Cortes, dem Ständeparlament, durchgepaukt werden. Die Gesetzesentwürfe stammten von dem starken Mann der ersten Regierung Juan Carlos', dem Innenminister Fraga Iribarne, dem jungen Minister für die Bewegung Adolfo Soares und dem liberalen Justizminister Antonio GaWgues. Aber nur die ersten beiden hatten mit ihren Entwürfen im ersten Anlauf Erfolg. Die Änderung des Strafrechts, die den Parteien das Aktionsrecht zusichern soll, schaffte die Hürda der Cortes nicht gleich. Das Gesetz wurde zwar 'grundsätzlich anerkannt, aber doch dem juristischen Ausschuß zur Präzision überwiesen.

Die spanischen Reformer gehen den Weg des Rechtsstaaes. Sie wollen das vermeiden, was die Opposition den .demokratischen Bruch“ nennt, den völligen Neuantfang. Bittere Erfahrungen der spanischen Vergangenheit verbieten der Regierung diesen radikalen Wechsel, zumal er von der Mehrheit des Volkes sogar entschieden abgelehnt würde. „Wir wollen die Demokratie gewinnen, aber den Frieden nicht verlieren“, sagen vor allem die älteren Spanier.

Einen „Bruch“ hatte man gerade im Nachbarland Portugal.erlebt. Nur wenige allerdings ahnen wirklich, wie tief die portugiesische Wirtschaft und damit der soziale Status des iberischen Nachbarvolkes durch eben diesen Bruch zurückgeworfen wurde. Sie wissen nicht, wie eng Wirtschaft, Politik und eigener Wohlstand in ihrem Lande miteinander verwoben sind.

Ging die Verabschiedung des Versammlungsrechtes mit einer nahezu ernüchternden Glätte über die Bühne, so kritisierte eine Reihe der Abgeordneten unerwartet scharf das Parteiengesetz der Reformer. Zum Beispiel der falangistische Politiker Fernandez Cuesta: „Ich halte es nicht für ratsam, zu politischen Formen zurückzukehren, die zeigen werden — und schon einmal zeigten —, daß sie unfähig sind, dem marxistischen Ansturm zu widerstehen.“

Damit war der neuralgische Punkt, die kommunistische Partei, angesprochen. Sol sie zugelassen werden oder nicht? Europas Linke bemüht sich — unter anderem über den deutschen Sozialisten Fellermeier —, Spanien unter Druck zu setzen. Als Vorsitzender der sozialistischen Fraktion im Europaparlament hielt er sich 48 Stunden in Madrid auf und befand: „Wenn Ministerpräsident Arlas Navarro meint, hier seien Felsen bewegt worden — für mich sind das nur Kieselsteine.“ In Spanien fragen sich natürlich viele Politiker nach solchen Worten, wo eigentlich die Reife im demokratischen System liegen soll, wenn seine Gralshüter derartige Fehlurteile von sich geben?

Die Erinnerung an die Unfähigkeit der Zweiten Republik, die Demokratie vor den Erschütterungen einer permanenten Revolution zu retten, bereitet selbst manchem reformfreudigen Politiker Unbehagen. Tatsächlich verwandelte sich Spanien nach dem ruhigen Wahlsieg der Republikaner dm Jahre 1931 in ein Chaos, das von der marxistischen Volksfront geschürt, aber nicht beherrscht wurde. Die republikanischen Politiker, darunter der damalige Führer der CEDA-Partei, 'heute Präsident einer linken christdemokratischen Partei, Gil Robles, attestierte als einer der letzten Redner im Parlament vor Ausbruch des Bürgerkrieges: „Wir leben in einer Anarchie und sind hier zusammengetreten, um der Demokratie das letzte Geleit zu geben“

Als jetzt, 40 Jahre später, bei der Beratung über das Strafgeseta ein ifalangistischer Rechtsanwalt auf offener Straße in der Nähe von Bilbao hinterrücks von Terroristen erschossen wurde, stemmte sich der „Bunker“ der Rechten noch einmal gegen die neue Demokratie. Der Demokratisierungsprozeß ist aber trotz des Widerstandes der Ultrarechten keineswegs gestoppt; er ist bestenfalls verzögert worden.

Spanien steht in der Reihe der westlichen Industrienationen heute an zehnter Stelle, seine Nettolöhne liegen in manchen Gebieten kaum noch unter denen der Bundesrepublik. Soziale Sicherheit, die es bis vor 15 Jahren eigentlich nicht gab, ein neuer Mittelstand und eine in Struktur und Aufgabenstellung weitgehend europäisierte Wirtschaft lassen die Demokratie in den Augen der Reformer daher nur noch als eine politische Konsequenz des auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet bereits Vollzogenen erscheinen.

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