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Gefälligkeitsjuristerei

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Auf den ersten Blick mag dieser Kampf um den Wirksamkeitsbeginn von Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates nicht sehr bedeutsam erscheinen. Bedenkt man aber, daß beispielsweise zur Verwirklichung des Budgets 1968 Abgabenerhöhungen durch Gesetze vorgesehen sind, die dem Bund Mehreinnahmen von monatlich fast 200 Millionen Schilling bringen sollen, dann bedeutet eben die Verzögerung des Inkrafttretens solcher Gesetze um etwa zehn Wochen den Entfall vorgesehener Mehreannahmen von fast einer halben Milliarde Schilling! Die ÖVP befindet sich daher gegenüber den künftigen Möglichkeiten und Absichten der SPÖ im Bundesrat zumindest immer dann in einer Defensivstel-lung, wenn sie den Vorsitzenden des Bundesrates stellt, der im Plenum als Verhandlungsleiter nicht stimmberechtigt ist. In dieser Situation lautet das Fraktionsverhältnis dann sogar: 27 SPÖ- gegen 26 ÖVP-Mit-glieder des Bundesrates.

Darum wurde als erstes in die Debatte geworfen, ob die Bestimmung der Geschäftsordnung, daß der die Verhandlung leitende Bundesratsvorsitzende kein Stimmrecht hat, nicht verfassungswidrig sei. Dieses Argument ist allerdings — wie jede Gefälligkeitsjuristerei — an den Haaren herbeigezogen, weil ja nicht eine bestimmte Person um ihr Stimmrecht gebracht wird, sondern im Interesse der Objektivität der Verhandlungsleitung immer nur der den Vorsitz führende Bundesratsvorsitzende (wie auch im Nationalrat der jeweils den Vorsitz innehabende Präsident) nicht mitstimmt.

Als nächstes wurde mit dem Gedanken gespielt, bei wichtigen Abstimmungen könnte der Vorsitzende sich zum Wort melden und dabei den Vorsitz an seinen Stellvertreter abgeben. Ebenfalls im Interesse einer sachlichen Verhandlungsleitung bestimmt nämlich die Geschäftsordnung des Bundesrates

— ebenso wie die des Nationalrates —, daß der Vorsitzende, wenn er zu einem Tagesordnungspunkt das Wort ergreifen will, den Vorsitz abzugeben hat und ihn erst nach Erledigung des Gegenstandes wieder einnehmen soll. Allerdings ist dies eine „Soll“- und keine „Muß“-Bestimmung, die daher sofort unwirksam wird, wenn auch die Stellvertreter des Vorsitzenden von

diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Im übrigen wäre eine derartige Enthaltsamkeit gegenüber der Verhandlungsleitung zwar nicht so katastrophal wie im Jahre 1933 die Demission aller drei Präsidenten des Nationalrates, aber doch dem Ansehen des Bundesrates kaum för-

derlich. Außerdem ist dieses Problem mit anderer Parteifärbung dann ebenso gegeben, wenn die SPÖ den Vorsitzenden des Bundesrates stellt und daher bei Abstimmungen das Fraktionsverhältnis im Bundesrat 27 ÖVP- gegen 26 SPÖ-Mitglieder lauten wird.

Problematik der Ausschüsse

Die Spitzfindigkeiten verlagern sich deshalb zusehends von den Verfahrensvorschriften des Plenums auf die für die Ausschüsse des Bundesrates geltenden Bestimmungen. Die Ausschüsse müssen nämlich in Zukunft ebenfalls paritätisch zusammengesetzt werden, wobei aber der Ausschußobmann wie jedes andere Ausschußmitglied stimmberechtigt ist. Bei Stimmengleichheit gilt der abgestimmte Antrag als abgelehnt. Wenn also ein Berichterstatter der ÖVP beantragt, gegen einen Gesetzesbeschluß keinen Einspruch zu erheben, und bei der Abstimmung ergibt sich Stimmengleichheit, so ist dies abgelehnt. Allerdings wäre auch ein gegenteiliger Antrag, nämlich Einspruch zu erheben, durch Stimmengleichheit verworfen. Demnach droht die Gefahr, daß die Ausschüsse des Bundesrates überhaupt keine Berichte mehr werden erstatten können. Das freundliche Angebot der SPÖ, es könne ja bei den Ausschußabstimmungen ein SPÖ-Abge-

ordneter abwesend sein, damit wenigstens ein Ausschußbericht an das Plenum gelange, wo allerdings die SPÖ entgegen dem Ausschußantrag einen Einspruch des Bundesrates herbeiführen werde, stieß bei der ÖVP auf sehr geringe Gegenliebe: erstens ist ihr Bedürfnis, im Plenum des Bundesrates überstimmt zu werden, begreiflicherweise nicht allzu groß, und zweitens fiel ihr die juristische Spitzfindigkeit ein, daß die Geschäftsordnung des Bundesrates nur Abänderungs- und Zusatzanträge in der Spezialdebatte vorsehe, weshalb man immerhin die Frage aufwerfen könnte, ob ein solcher gegen den Ausschußantrag insgesamt gerichteter Antrag überhaupt zulässig sei. Natürlich würde diese Auslegung der Geschäftsordnung das Plenum des Bundesrates in eine unnatürliche Abhängigkeit von seinen eigenen Ausschüssen bringen.

Nach dem derzeitigen Stand der Erörterungen liegt die Problematik tatsächlich beim Ausschußverfahren

des Bundesrates. Der einzige Ausweg dagegen, daß die Ausschüsse überhaupt keine Berichte an das Plenum erstatten, besteht darin, ihnen eine Frist für ihre Vorberatungen zu setzen. In diesem Fall beginnt nämlich das Verfahren des Plenums auch ohne Vorliegen des Ausschußberichtes. Allerdings setzt dies eine Mehrheit des Bundesrates voraus, die an einer solchen Friststellung interessiert ist; eine solche Mehrheit ist wieder nicht gegeben, so lange ein Vorsitzender der ÖVP im Plenum nicht mitstimmen kann. Demnach wird es für die SPÖ zwar auch schwierig sein, ihr optimales Ziel zu erreichen und den Wirksamkeitsbeginn von Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates um etwa zehn Wochen zu verzögern, hingegen ist ein Aufschub um acht Wochen zumindest immer dann verhältnismäßig leicht herbeizuführen, wenn das Amt des Vorsitzenden ein ÖVP-Mitglied des Bundesrates bekleidet.

Die zweite Kammer der Bundesgesetzgebung wird also in Zukunft ihre Bedeutung vielleicht am häufigsten dadurch erweisen, daß sie weder gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates Einspruch erheben noch einen Beschluß fassen wird, keinen Einspruch zu erheben. Die Inaktivi-tät des Bundesrates durch acht Wochen macht ihn möglicherweise erst zu einem politischen Faktor, ähnlich wie über die FPÖ in Oberösterreich ein bekannter Journalist jüngst mit beißender Ironie schrieb: „Die Freiheitlichen haben durch Abnehmen zugenommen“. Allerdings besteht immer noch Hoffnung, daß durch bessere Einsicht der beiden großen Parteien wenigstens auf Bundesebene eine solche „Aufwertung“ unterbleibt.

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