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Regierungsleben mit einer Zauberformel

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Regierung und Opposition zugleich können in der Schweiz aufgrund einer „Zauberformel” die Sozialdemokraten spielen. Wie lange wird dieses Spiel noch funktionieren?

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Regierung und Opposition zugleich können in der Schweiz aufgrund einer „Zauberformel” die Sozialdemokraten spielen. Wie lange wird dieses Spiel noch funktionieren?

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Nach Gründung des Bundesstaates 1848 wurde der aus sieben Mitgliedern bestehende Bundesrat (das Kabinett) lange Zeit von „Freisinnigen” aus den protestantischen Kantonen gebildet. Die im Sonderbundskrieg von 1847 besiegten Katholiken vermochten sich zunächst nur mühsam in den Zentralstaat zu integrieren, stellten aber gegen Ende des Jahrhunderts zwei Bundesräte. Eine Bauernpartei gewann ebenfalls einen ständigen Sitz, sodaß lange Jahre der Bundesrat aus vier Freisinnigen, zwei Katholiken und einem Vertreter der Bauernpartei bestand. Inoffiziell bildete sich die Auffassung heraus, man müßte zwei Vertreter aus der französischsprachigen und einen Vertreter aus der italienisch- oder romanischsprachigen Welt einbeziehen, wobei die drei großen Kantone Bern, Zürich und Wadt Anspruch auf einen ständigen Vertreter erhoben.

Die Sozialisten standen in Opposition, wobei sie während des Generalstreiks 1918 auch vor gewaltsamen Methoden nicht zurückschreckten. Die Bedrohung durch den Nazismus führte aber zu einem Umdenken, sodaß 1938 sogar in der Volksabstimmung eine Mehrheit für Aufrüstung der Armee zu erreichen war. Während des Krieges wurde man sich bewußt, daß letztlich alle im gleichen Boot saßen, sodaß die bürgerlichen Parteien erstmals einen Sozialisten als Bundesrat wählten und schließlich in der Zauberformel ihnen zwei Sitze im Bundesrat einräumten.

Der Bundesrat ist eine Kollegialbehörde. Die von der Gesamtheit beschlossene Politik muß von den Mitgliedern in der Öffentlichkeit vertreten werden, selbst wenn dies persönlichen Überzeugungen widerstrebt.

In den ersten Jahrzehnten funktionierte dieses Prinzip nicht schlecht, denn auch die sozialistischen Bundesräte wurden von der bürgerlichen Mehrheit des Parlaments gewählt. Deshalb kamen nicht immer die von der Partei vorgeschlagenen Kandidaten zum Zug, wenn sie den Bürgerlichen allzu radikal erschienen. Damit war ein Mittelweg ermöglicht, der sich bewährte.

Erst in den letzten Jahren entstanden Probleme, als die Partei immer öfters in Opposition ging gegen die Politik ihrer Bundesräte.

Noch fragwürdiger war das Verhalten der Bundesrätin Ruth Dreifuss, die mehrmals das Kollegialitätsprinzip verletzte, um ihre differenzierenden Auffassungen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Deshalb erhoben sich Bedenken gegen die Fortsetzung der Zauberformel, die den Sozialisten gestattet, zugleich Regierung und Opposition zu spielen. Bei der Ersatzwahl für Bundesrat Otto Stich wurde sie noch einmal gerettet, indem der Zürcher Regierungsrat Moritz Leuenberger von der bürgerlichen Mehrheit akzeptiert wurde.

Es lassen sich aber viele Gründe denken, warum eine klare Trennung von Regierung und Opposition einen bürgerlichen Bundesrat zu einer doch entschiedeneren Politik befähigen würde.

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