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Die Renaissance des Föderalismus

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Die Reform des Bundesstaates steht vor dem Abschluß: gleichzeitig mit dem EU-Beitritt sollen die föderalistischen Strukturen gestärkt werden.

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Die Reform des Bundesstaates steht vor dem Abschluß: gleichzeitig mit dem EU-Beitritt sollen die föderalistischen Strukturen gestärkt werden.

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Die Europäische Union schreibt keinem Mit-ghedsstaat dessen in-nerstaathche Aufgabenverteilung - sei sie eher föderalistisch oder eher zentralistisch orientiert - vor. Die EU-Mitgliedschaft bringt unbestritten einen Verzicht auf einen Teil der staatlichen Autonomie mit sich, der in Österreich, wo die Bundesstaatlichkeit schon bisher im Vergleich zu anderen föderalistisch strukturierten Staaten, wie etwa der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz oder den Vereinigten Staaten von Amerika, vergleichsweise schwach ausgeprägt ist, auch zu Lasten der Bundesländer geht.

Die Ambivalenz des Föderalismus in Österreich zeigt sich im Bundes-Verfassungsgesetz: Österreich besteht aus neun selbständigen Gliedstaaten mit Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz. Der über-

wiegende Teil der Gesetzgebungszuständigkeiten ist aber nach der Bundesverfassung dem Bund zugewiesen. Die Stärke des österreichischen Föderalismus resultiert aus den Verwaltungskompetenzen der Bundesländer (Vollzugsföderalismus).

Dazu zählt neben den eigenen Landesverwaltungskompetenzen auch ein Großteil der Bundeszuständigkeiten, der im Rahmen der mitte baren Bundesverwaltung vom Landeshauptmann - er ist dem zuständigen Bundesminister weisungsgebunden - vollzogen, wird Die Stärkung der Bundesländer ist ein wesentliches Anliegen der ÖVP, die Große Koalition legte auch als eines ihrer Ziele „eine strukturelle Verbesserung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung" fest und installierte bereits 1986 einen eigenen Föderalismusminister.

Im Jahr 1989 wurde die „Strukturreformkommission" mit der Erarbeitung einer möglichen Änderung der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern beauftragt, deren Ergebnisse im sogenannten „Kleinen Komitee", dem Bundesminister Weiss als Vorsitzender, Staatssekretär Kostelka sowie die Landeshauptleute Purtscher und Stix angehören, umgesetzt werden. Erstes wesentliches Ergebnis war die Unterzeichnung der politischen Vereinbarung zur Bundesstaatsreform durch den Bundeskanzler, die eine Stärkung der Länder vorsieht.

Die Reform der Aufgaben Verteilung im Bundesstaat muß vereinbarungsgemäß bis längstens zur Volksabstimmung über Österreichs EU-Beitritt als beschlußreife Regierungsvorlage textlich fixiert und spätestens in der aus Anlaß des Beitritts erforderhchen Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen sein. Daher werden die Verhandlungen im Kleinen Komitee auch mit Nachdruck geführt. Derzeit scheint die Umsetzung der wesentlichsten Anliegen der Vereinbarung tatsächlich möglich.

Als im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde, wies einzig die Bundesrepublik Deutschland föderalistische Strukturen auf. In der Zwischenzeit ist es aber zu einer Renaissance des Förderalismus gekommen. Die innerstaatliche Struktur in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist mit jener von 1957 nicht mehr vergleichbar: Neben Tendenzen der Dezentralisierung in Spanien, in Italien und vor allem auch in Frankreich ist insbesondere die Föderalisierung Belgiens bemerkenswert.

Die deutschen Bundesländer erkannten die Gefahren, die den Ländern aus der Entscheidungsstruktur der EU erwachsen. Im Zusammenhang mit der Ratifizierung der europäischen Einigungsakte gelang die Verankerung eines sogenannten Länderbeteiligungsverfahrens in der deutschen Verfassung, das auch in Österreich für die EWR-Rechtsum-setzung eingerichtet wurde.

Die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nach Brüssel und ein gewisses Gefühl der Entfremdung wird die Hinwendung zur Politik im überschaubaren Rahmen -in der Region, im Bundesland, in der Gemeinde - stärken. Diese Ansicht vertritt auch der Baseler Historiker Jakob Burckhardt: „Jede nivellierende Tendenz, sei sie politisch, religiös oder sozial, ist für unseren Kontinent lebensgefährlich. Was uns Europäer bedroht, ist die Zwangseinheit, die Homogenisierung; was uns rettet, ist unsere Vielfalt."

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